Prozess gegen IS-Kämpfer Ein Taugenichts als Terrorist

Angeklagter Nils D. vor Gericht in Düsseldorf: "Hömma, was ist mit dir?"
Foto: Federico Gambarini/ dpaEin Tag im Leben des Nils D. sah etwa so aus: Er schlief bis gegen mittags, surfte ein bisschen im Internet und traf in einem Café seine Kumpels. Dort nahmen sie Drogen, tranken, spielten Karten. "Party" nannten sie das.
D. und seine Freunde aus dem niederrheinischen Dinslaken hatten keine Hobbys, sie begeisterten sich für nichts, sie liebten niemanden außer sich selbst - und sie glaubten auch noch, das sei die große Freiheit. Dabei machte die selbstverschuldete Leere in ihren Leben sie nur fertig. "Ich war ein Kiffer", sagt Nils D., "ich hatte auf gar nix Lust." Zwei Jahre ging das so, dann entdeckte D. den Islam und wurde Salafist. Später reiste er nach Syrien und schloss sich dem "Islamischen Staat" (IS) an.
Von diesem Mittwoch an muss sich Nils D., 25, vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. D. hat in mehr als drei Dutzend Vernehmungen unter anderem längst eingeräumt, in einer IS-Spezialeinheit gedient zu haben. Ungeeignet für den Kampf spürte der 155-Kilo-Mann mit seinen Kumpanen lieber unbewaffnete Deserteure und Abtrünnige auf. "Das Beste, Allerbeste, was es gibt auf dieser Welt, ist der Märtyrertod", faselte Nils D. trotzdem.
Dabei scheint nichts an dem Entschluss, im Herbst 2013 in den Dschihad zu ziehen und eine Sprengstoffweste zu tragen, zwangsläufig gewesen zu sein. Auf die Frage der Vorsitzenden Richterin, Barbara Havliza, weshalb er sich dem Islam zugewandt habe, zuckt der massige Mann mit Brille, adretter Junge-Union-Frisur, Jeans und Sneakers am Mittwochmittag die Achseln: "Weiß ich nicht. War Zufall, würde ich sagen."
Er langweilte sich, dröhnte sich zu, prügelte sich
Nils D. verlor den Halt, als sein Vater eines Tages auszog. Das sei aus heiterem Himmel geschehen, sagt D. heute. Damals war er 15 und schon auf dem besten Wege das zu werden, was Richterin Havliza sarkastisch "eine Stütze der Gesellschaft" nennt. Er langweilte sich, dröhnte sich zu, prügelte sich, stahl, brach ein, beleidigte und bedrohte, zeugte mit 14 Jahren ein Kind, um das er sich nie kümmerte. Er sammelte Bewährungsstrafen und Sozialstunden, verlor wegen des Kiffens seine Ausbildungsstelle, und seine Mutter, bei der er nach der Trennung der Eltern geblieben war, wusste nicht, was sie tun sollte. Konsequenzen habe sein Verhalten eigentlich nie gehabt, so D.
Im Grunde genommen ging das so bis er 21 Jahre alt war. "Sie waren nur für sich selbst auf der Welt und hatten kein Ziel und keinen Bock", sagt Havliza zu Nils D. Doch das änderte sich. Sein Cousin Philip B., ein Pizzabote und lange Zeit ein ähnlicher Taugenichts wie D., hatte schon einige Jahre zuvor den salafistischen Islam für sich entdeckt. Er bearbeitete Nils D. im Auto und am Küchentisch. Philip B. erzählte von Gott, sie stritten sich: "Du kannst mir nicht zu 100 Prozent beweisen, dass es Allah gibt", sagte D. So erinnert er sich heute. Und B., der sich in Syrien als Selbstmordattentäter in die Luft sprengen würde, antwortete schlicht: "Doch."
"Hömma, was ist mit dir? Willst du nicht Moslem werden?
Irgendwann nahm D. bei seinem Cousin einen Koran mit, er begann zu lesen. Im Internet sah er sich Predigten von Pierre Vogel an. Auch seine Kumpels veränderten sich, sie fanden endlich Regeln und eine Struktur, sie entdeckten Sinn im Sein. "Es war ein schleichender Prozess", sagt D. Im August 2011, fragte ihn angeblich Mustafa K., der Jahre darauf mit abgeschlagenen Köpfen für ein Foto posieren würde: "Hömma, was ist mit dir? Willst du nicht Moslem werden? Und Nils D. entgegnete: "Ja."
D. traf sich nun regelmäßig mit seinen Gesinnungsgenossen in einem Vereinsheim im Dinslakener Stadtteil Lohberg, er ging in die Moschee und besuchte salafistische Festivals. Er trank nicht mehr, ließ die Finger von den Drogen und stand schon morgens auf. Der Bürgerkrieg in Syrien beschäftigte ihn. Im Internet sah er sich Videos bekannter salafistischer Vereine an. Vorgeblich bringen sie Spenden in die Region. In Wahrheit aber stehen sie im Verdacht, den Terror zu unterstützen. In D. keimte der Gedanke, ebenfalls in den Bürgerkrieg aufzubrechen. Philip B. und einige andere waren bereits ausgereist, als er wegen des Einbruchs in eine Bäckerei noch im Gefängnis gesessen hatte. "Mein Ziel war mein Cousin", sagt D. "Und der Kampf für die Muslime auf der ganzen Welt."
Um die Reise zu finanzieren, schloss Nils D. ein halbes Dutzend Handyverträge ab und verkaufte die Geräte auf dem Schwarzmarkt. Von Amsterdam aus flog er dann in die Türkei und schlug sich zu seinem Vetter nach Syrien durch. Die Zeit dort sei wenig rühmlich für ihn gewesen, resümiert Richterin Havliza. Daran gebe es nichts zu beschönigen. Immerhin ist D. einer der wenigen Dinslakener Dschihadisten, die ihre Reise in den Terror nicht mit dem Leben bezahlt haben.
Als die Vorsitzende den Angeklagten schließlich fragt, ob er Dinslaken als seine Heimat verstehe, sagt Nils D.: "Ja, jetzt erst Recht." Er klingt in diesem Augeblick ziemlich überzeugend.