Dschihadisten in Rheinland-Pfalz Razzia bei mutmaßlichem IS-Kommandeur
Sankt Johann, das ist rheinhessisches Bilderbuchidyll: eine Hauptstraße, ein Biergarten, eine gotische Kirche aus dem 14. Jahrhundert. Rund 800 Menschen leben in dem Dorf 20 Kilometer südlich von Mainz, eingebettet zwischen malerischen Weinbergen.
In Sankt Johann leben auch syrische Flüchtlinge. In zwei Häusern im Ort haben sie Zuflucht gefunden vor Krieg und Verfolgung. Doch offenbar sind unter ihnen nicht nur Opfer des Assad-Regimes und der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Nach Recherchen von SPIEGEL TV ist einer der Flüchtlinge in Sankt Johann ein ranghoher IS-Kämpfer gewesen. Im Internet warnen syrische Aktivisten vor dem 32-Jährigen, der sich einst als künftiger Selbstmordattentäter angedient haben soll.
Bassam kämpfte offenbar bei den Dschihadisten in einer Einheit in al-Kasra. Er war mutmaßlich Militärkommandeur in einem Bezirk westlich von Deir al-Sor, einer Stadt im Osten Syriens. Zeugen aus Syrien, mit denen SPIEGEL TV gesprochen hat, beschreiben einen Weg, der typisch ist für viele Syrer seiner Generation. Als der Aufstand gegen das Assad-Regime losbrach, schloss sich Bassam den Rebellen an, dann ging er zu den Islamisten der Nusra-Front. Schließlich landete er beim IS.
Den deutschen Sicherheitsbehörden war Bassam bislang nicht bekannt. Doch die Recherchen von SPIEGEL TV alarmierten sie; an diesem Sonntag ließ der Generalbundesanwalt die Wohnung von Bassam und einem Freund durchsuchen. Der Verdacht: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Hinweise auf konkrete Anschlagspläne hatten die Ermittler aber nicht.
Es ist die zweite größere Polizeiaktion gegen Dschihadisten in Deutschland binnen einer Woche, erst vor wenigen Tagen gab es Razzien in Berlin, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Diese Aktionen hängen aber nicht zusammen mit den Durchsuchungen in Rheinland-Pfalz.
Mehrere Zeugen schildern Bassam unabhängig voneinander als berüchtigten Kommandeur, der für den Tod Dutzender Menschen in Deir al-Sor und Umgebung verantwortlich ist. Seinen Posten hat Bassam offenbar seinem Bruder zu verdanken, der beim IS Scharia-Richter ist. Eigentlich habe Bassam Selbstmordattentäter für den IS werden wollen, sein Bruder habe ihm das aber ausgeredet und dafür gesorgt, dass er Kommandeur wird. Das erzählt ein früherer Vertrauter der Geschwister, der nach eigenen Angaben bei dem Gespräch dabei war.
Im Spätsommer 2015 stoppen Rebellen der mit dem IS verfeindeten Freien Syrischen Armee (FSA) Bassam an einem Kontrollposten nördlich von Aleppo. Die FSA hatte den Tipp bekommen, dass Bassam mit mehreren zehntausend Dollar Bargeld auf dem Weg in die Türkei war. Die Rebellen nehmen Bassam gefangen. Sie nehmen ihm das Bargeld ab. Nach 20 Tagen kommt Bassam unter ungeklärten Umständen frei.
Zurück bleibt die Speicherkarte seines Handys. Darauf massenhaft IS-Propaganda.
Im Herbst kommt Bassam in Deutschland an. SPIEGEL TV spürt ihn in dieser Woche in Rheinland-Pfalz auf. Just in jener Woche, in der die Polizei mehrere mutmaßliche Dschihadisten festgenommen hat, die Anschläge in Berlin geplant haben sollen. Einer der Verdächtigen soll in Syrien gekämpft haben.
Bassam gibt sich harmlos: Ja, das sei schon er, vor dem Aktivisten im Internet warnen. Aber er streitet ab, jemals beim IS gewesen zu sein. "Die lügen. Die schreiben, was sie schreiben", sagt Bassam. Mit seinem Bruder habe er auch nichts mehr zu tun. Warum er damals im FSA-Gefängnis landete, weiß er angeblich nicht.
Stattdessen wolle er sich nun auf seine berufliche Zukunft konzentrieren. Bevor er im Regen verschwindet, sagt er: "Ich will Deutsch lernen und dann als Koch arbeiten."
Die ganze Geschichte sehen Sie im SPIEGEL TV MAGAZIN, Sonntag 7. Februar, 23 Uhr, RTL