Islamstreit in Mönchengladbach De Maizière zeigt Flagge gegen Salafisten-Sekte

De Maizière in Mönchengladbach: "Ein Verbot muss beim ersten Mal sitzen"
Foto: Roland Weihrauch/ dpaMönchengladbach - Thomas de Maizière betritt den Saal, grüßt nach links, grüßt nach rechts und bekommt donnernden Applaus. Er nimmt in der ersten Reihe Platz. Hinter ihm sitzen nun 300 Mönchengladbacher. Das Gründerhaus-Theater im Stadtteil Eicken ist damit voll. Seit Tagen haben die Veranstalter keine Anmeldungen mehr annehmen können. Die letzten Stuhlreihen sind mit Gartenstühlen aus Plastik provisorisch erweitert worden. Mehr ging nicht. Ein Stadtteil ist in höchster Erregung.
Sie setzen große Hoffnung in ihn, hier in Mönchengladbach. Sie sehen den Minister aus Berlin als einen Verbündeten, als einen Helfer, der die 600 Kilometer quer durchs Land auf sich genommen hat, um ihnen am Niederrhein beizustehen bei ihrem Kampf gegen die geplante Gründung einer Islamschule in ihrem Stadtviertel. Sie erwarten viel. Und der Minister liefert.
Doch zunächst bekommt de Maizière Ausschnitte aus einer SPIEGEL-TV-Dokumentation über den Verein "Einladung zum Paradies" (EzP) gezeigt. Der Verein plant, seine Zentrale aus Braunschweig an den Niederrhein zu verlegen. Er gehört der islamischen Strömung des Salafismus an, die laut nordrhein-westfälischem Verfassungsschutzbericht für das erste Halbjahr 2010 Gewalt gegen "Ungläubige" befürwortet und die Unterdrückung der Frau propagiert. Die Verfassungsschützer warnen, die Propaganda richte sich vor allem an junge Muslime und an Menschen, die zum Islam übergetreten sind. Sie könne bei einer Radikalisierung in Terror münden.
De Maizière sieht auf der Großbildleinwand Bilder von etwa hundert Muslimen, die, bewacht von eigenen Sicherheitsleuten, auf dem Marktplatz in Mönchengladbach-Eicken beten. Vollverschleierte Frauen und Männer mit Bärten und langen Gewändern, die die Scharia, das Abhacken von Gliedmaßen als Mittel der Bestrafung und öffentliche Steinigungen loben. De Maizière schüttelt den Kopf und blickt zur Seite.
Gekommen sei de Maizière als einfacher Abgeordneter und Integrationsminister, wie er vorab mitgeteilt hat. Auch der Titel der CDU-Abendveranstaltung ist reichlich allgemein gehalten: "Politischer und religiöser Extremismus". Doch es geht um mehr. Für den Innenminister um den schwierigen Umgang mit extremistischen Vereinen und Parteien; für die Bürger aus Mönchengladbach-Eicken um das Leben in ihrem Viertel.
Seine Sätze über ein Verbot klingen wie ein Versprechen
Zunächst berichtet der CDU-Mann Günter Krings von der Situation in Mönchengladbach, seinem Wahlkreis. Eher zufällig sei man im August darauf aufmerksam geworden, dass der Verein hierher umziehen wolle. Die Stadt habe dann, leider mit etwas Verspätung, alle Möglichkeiten genutzt, den Bau des Islamzentrums zu stoppen. Derzeit sind die Eingänge des Gebäudes von der Stadt versiegelt. Nun habe man gehört, der Verein wolle vielleicht sogar auf einen Umzug verzichten. Für Krings sei das vor allem ein Verdienst der Initiative "Bürger für Mönchengladbach", die sich gegen die Ansiedlung der Islamschule gegründet hat.
Wortführer des Eickener Widerstands ist Wilfried Schultz. Der untersetzte Jurist und Theologe wird gefeiert und umjubelt, als er das Podium zu Beginn der Diskussionsrunde betritt. Es wird gepfiffen und gejohlt. In Eicken ist Schultz ein Star. Auch weil er so direkt ist. "Können Sie uns unsere Angst nehmen?", fragt er den Innenminister.
De Maizière lässt es zunächst ruhig angehen. Er sei gekommen, um zuzuhören und sich zu informieren. Vor Schultz' Initiative habe er "ausdrücklichen Respekt".
Für die Stimmung im Saal sind also erst einmal andere verantwortlich. Bünyamin Basibüyük zum Beispiel. Er ist Vorsitzender des Niederrheinischen Deutsch-Türkischen Freundschaftsvereins und Mönchengladbacher seit vielen Jahrzehnten. Er sagt, der Verein sei "eine Folklore-Gruppe", aber keine Religionsvertretung. Man brauche sie sich nur anzuschauen, ihre Kleidung, ihr Auftreten, und schon wisse man Bescheid.
Oder der CDU-Landtagsabgeordnete Norbert Post, auch ein Freund des klaren Wortes. "Wie weit, Herr Minister, muss sich ein Staat sein Grund und Boden unter den Füßen wegziehen lassen?", endet seine Tirade. Das Publikum tobt. Der Minister schenkt sich ein Glas Wasser ein.
Erst dann startet de Maizière durch. Er verweist auf das Parteienverbot. Doch der Verein, über den man hier rede, sei ja gemeinnützig. Höhnisches Gelächter im Saal. De Maizière referiert weiter über die Möglichkeiten eines Vereinsverbotes, über das Problem der Zuständigkeit von Bund und Land. Darüber, dass seit 2001 fünf Vereine verboten worden sind. Erst nun begeistert auch er die kritischen Mönchengladbacher Zuhörer zum ersten Mal. "Aber eines steht fest, über Vereinsverbote redet man nicht vorher und wägt sie ab: Die macht man oder man lässt es bleiben."
Einmal so gut in Fahrt setzt de Maizière mit Sätzen nach, aus denen das Publikum Hoffnung schöpft: "Ich werde keinerlei Angaben über das Ob und Wie machen. Und das ist in Ihrem Interesse." Es folgt der lauteste Beifall der gesamten eineinhalb Stunden. Die Sätze klingen in den Ohren der Zuhörer nach einem Versprechen: Der Innenminister denkt über ein Vereinsverbot der EzP nach.
"Das gehört zu unserer Kultur", ruft der Minister
Dann beginnt das Frage-Ping-Pong mit dem Innenminister. Es werden Fragen, die engagierte Bürger an den Minister hätten, von Kärtchen vorgelesen: Warum gibt es keinen Islamunterricht an deutschen Schulen? Er, de Maizière, unterstütze jedes Modellprojekt und sei für einen geregelten Islamunterricht. Auch Imame sollten in Deutschland ausgebildet werden, damit "Hinterhof-Imame" keine Chance mehr hätten.
Nächstes Kärtchen, nächste Frage: Und was ist mit einem Burkaverbot? Applaus im Saal und Zwischenrufe. "Wir wollen sehen, mit wem wir reden", ruft eine Frau aus der dritten Reihe. Sie trägt einen blauen Anhänger der Bürgerinitiative am Pullover mit der Aufschrift: "Allen Nachbarn offen ins Gesicht sehen können". De Maizière macht einen Schritt nach vorne und sagt, für ihn mache sich bürgerliche Zivilisation vor allem an drei Dingen fest: Man zeigt sich das Gesicht. Man gibt sich beim Guten-Tag-Sagen die Hand. Und man nennt seinen Namen. "Das gehört zu unserer Kultur", ruft der Minister. Wieder jubelt das Publikum. Doch de Maizière dämpft die Euphorie rasch: Ein Burkaverbot würde vermutlich am Bundesverfassungsgericht scheitern.
Eigentlich sollte de Maizière jetzt einen allgemeinen Vortrag halten über Extremismus, Demokratie und Freiheit, doch darauf verzichtet er. Erneut auf ein Verbot des islamischen Vereins angesprochen, wird de Maizière noch einmal deutlich: "Ein Verbot verbraucht sich, das muss beim ersten Mal sitzen, sonst zeigen sie einem die Nase". Man habe es auf der anderen Seite durchaus mit intelligenten Leuten zu tun.
Der Innenminister meint damit Leute wie Sven Lau, ein zum Islam Konvertierter und Vorstandsmitglied des Vereins "Einladung zum Paradies". Noch am Nachmittag hat er zahlreiche Interviews gegeben. Vor einem Vereinsverbot hat er keine Angst: "Solange wir uns an Recht und Gesetze halten, müssen wir uns keine Sorgen machen", sagt er und fügt an: "Wir sind die Leidtragenden einer Medienkampagne."
Noch also ist das geplante Vereinsgebäude von der Stadt versiegelt, die Räume sind unzugänglich. Ob der Verein jemals dort einziehen kann, ist unklar. Doch die Vereinsmitglieder um Lau haben sich auf einen Verbleib am Niederrhein eingestellt. Das dokumentieren sie auf ihre Weise: Statt in der Moschee beten sie nun davor. Sie haben dort eine provisorische Gebetsstätte errichtet - ein weißes Bauzelt.