Syrische Community nach Anschlagsplänen "Wir konnten beweisen, dass wir nicht so sind wie er"

Monis Bukhari leitet eine der wichtigsten Facebook-Gruppe für syrische Flüchtlinge in Deutschland. Hier berichtet er, wie die Community auf die Anschlagspläne reagierte - und welche Sorgen die Syrer haben.
Monis Bukhari (Archiv)

Monis Bukhari (Archiv)

Foto: SPIEGEL ONLINE

Monis Bukhari, 38, aus Damaskus ist so etwas wie ein Cheflobbyist der syrischen Flüchtlinge in Deutschland. Er leitet die wichtige Facebook-Gruppe "Syrisches Haus in Deutschland", die derzeit mehr als 152.000 Mitglieder zählt. Dort gibt er gemeinsam mit einem Team Hilfestellungen. Er beantwortet Fragen, gibt Tipps für Behördengänge, organisiert Radtouren mit Neu- und Alt-Berlinern und vermittelt zwischen Syrern und Einheimischen.

Nachdem die Polizei am Samstag in einer Wohnung in Chemnitz Sprengstoff fand, veröffentlichte er in der Gruppe den Fahndungsaufruf nach dem mutmaßlichen Terroristen Jaber Albakr und appellierte an die Gemeinschaft, nach dem Verdächtigen zu suchen und sich an die Polizei zu wenden.

SPIEGEL ONLINE: Herr Bukhari, wie haben die Mitglieder in ihrer Gruppe auf die Nachrichten aus Chemnitz reagiert?

Bukhari: Die meisten User waren sehr wütend, als sie von den Anschlagsplänen erfahren haben, und waren sich einig, dass wir Jaber Albakr finden und der Polizei übergeben müssen. Wir sind hierher gekommen, um Frieden zu finden - nicht, um den Frieden zu gefährden.

SPIEGEL ONLINE: Es waren dann wirklich drei Syrer, die Albakr erkannt und die Polizei verständigt haben. Macht das einen Unterschied?

Bukhari: Dass es Syrer waren, die Jaber Albakr festgenommen haben, bedeutet uns sehr viel. Wir haben das Gefühl, dass wir so beweisen können, dass wir nicht so sind wie er - er ist die Ausnahme, wir sind die Mehrheit. Und es zeigt hoffentlich allen, dass wir gegen Terroristen sind und verhindern wollen, dass sie der Gemeinschaft, die uns aufgenommen hat, etwas antun.

SPIEGEL ONLINE: In Deutschland wird seit den Anschlägen von Paris, Brüssel und Würzburg darüber diskutiert, ob Flüchtlinge ein Sicherheitsrisiko darstellen. Wird darüber auch unter syrischen Flüchtlingen gesprochen?

Bukhari: Auch die syrischen Flüchtlinge haben Angst, das unter ihnen Terroristen sein könnten. In den Netzwerken wird viel darüber diskutiert, wie man diese erkennen kann, und viele sind dafür, dass die deutschen Behörden die Asylsuchenden genau überprüfen, bevor sie in eine Unterkunft kommen oder hierbleiben dürfen. Wir haben in unserer Gruppe schon vor Monaten dazu aufgerufen, dass die Menschen sich an die Polizei wenden sollen, wenn sie etwas Verdächtiges hören oder sehen. Viele haben wegen ihrer Erfahrungen in Syrien kein Vertrauen in die Sicherheitskräfte, aber wir erklären ihnen, dass die Polizei hier in Deutschland fair ist und sich an die Gesetze hält und sie den Beamten vertrauen können.

SPIEGEL ONLINE: Wie beeinflusst dieser Verdacht gegenüber Flüchtlingen das Leben von Syrern in Deutschland?

Bukhari: Wir bekommen das jeden Tag zu spüren, auch wenn die Deutschen, mit denen man direkt zu tun hat, keine Angst haben. Viele Syrer haben mittlerweile das Gefühl, beweisen zu müssen, dass sie keine bösen Absichten haben und keine Gewalt nach Deutschland bringen wollen. Sie fühlen sich unter ständiger Beobachtung und wollen nichts falsch machen, deshalb achten sie sehr darauf, wie sie sich verhalten, was sie sagen. Auf der anderen Seite haben viele auch Angst: vor Pegida, der AfD, vor Rechten. Wenn solche Anschlagspläne wie in Chemnitz bekannt werden, fürchten viele Syrer hier Rache.

SPIEGEL ONLINE: Sie bekommen in ihrer Gruppe viele Diskussionen mit. Was wünschen sich syrische Flüchtlinge?

Bukhari: Sie wünschen sich nichts mehr, als dass der Krieg in Syrien endet und nicht hierher kommt. Und von den Deutschen wünschen sie sich, dass sie ihnen das Gefühl geben, hier beschützt zu sein und nicht beschuldigt zu werden.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Interviews wurde Bukhari mit dem Satz zitiert, die syrischen Flüchtlingen würden sich nichts mehr wünschen, als dass der Krieg in Syrien bleibe und nicht nach Deutschland komme. Das war unpräzise formuliert, Bukhari hat natürlich nicht gemeint, dass er sich ein Andauern des Krieges wünsche. Wir haben die Formulierung daher geändert.

Videochronologie der Festnahme von Albakr

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