Jahrestag des Dresden-Bombardements In Trauer entzweit

Zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg planen Neonazis einen Aufmarsch. In der Bevölkerung regt sich Widerstand. Doch ein Streit über den Umgang mit der Vergangenheit blockiert ein geschlossenes Vorgehen gegen die Rechtsextremen.
Protest gegen Neonazi-Aufmarsch: In keiner Stadt ist die Erinnerung so präsent

Protest gegen Neonazi-Aufmarsch: In keiner Stadt ist die Erinnerung so präsent

Foto: Oliver Killig/ dpa

Als die Bomben der Alliierten niedergegangen waren, riss Henny Brenner den gelben Stern von ihrem Mantel. Sie kletterte aus dem Luftschutzkeller, Dresden brannte. Leblose Körper lagen auf den Straßen. Sie ignorierte das Heulen der Sirenen, den Gestank der verkohlten Leichen. Sie sah Tod und Zerstörung, aber sie wusste auch, dass sie nun frei war.

Wenn Henny Brenner heute von jenem 13. Februar 1945 erzählt, schließt sie die Augen. Sie spricht ruhig über den Tag, der mindestens 20.000 Menschen das Leben kostete, aber sie rettete. Vor ihr auf dem Tisch in ihrer Münchner Wohnung liegt die "Jüdische Allgemeine". Sie ist trotz alledem in Deutschland geblieben, inzwischen ist sie Großmutter.

769 Lancaster-Maschinen der Royal Air Force flogen am 13. Februar 1945 über Dresden hinweg und warfen mehr als 2600 Tonnen Bomben ab. Am nächsten Tag entluden 311 amerikanische Kampfflieger 700 Tonnen. Die Explosionen gruben Krater in die Straßen. Dresden wurde zum weltweiten Symbol für den Bombenkrieg, für manche zu einem "deutschen Hiroshima". Für Henny Brenner bleibt der 13. Februar der Moment ihrer Befreiung vom Nazi-Regime. Sie war Zwangsarbeiterin in einem Zeiss-Werk in der Stadt, am 16. Februar sollte sie in ein Konzentrationslager deportiert werden.

Henny Brenner erzählt ihre Geschichte heute an Schulen und Universitäten. Sie will nicht hinnehmen, dass Dresden im Gedächtnis der Nachwelt bloß die gepeinigte Barockstadt bleibt. Sie greift in eine der empfindlichsten Auseinandersetzungen der jüngeren deutschen Geschichte ein.

In keiner Stadt ist die Erinnerung so präsent

"Das Dresdner Gedenken war jahrzehntelang ein kollektives Verdrängen und gemeinsames Vergessen", sagt der Dresdner Historiker Matthias Neutzner. Sein Kollege Gorch Pieken, Kurator des Dresdner Militärmuseums, kritisiert, die Stadt begreife sich zuallererst als Opfer, ihre faschistische Geschichte werde oft ausgeblendet. "Dresden hat den unsteten Charakter eines Ortes mit romantischen Selbstbild und einer Vergangenheit, die sie lieber nicht diskutiert", schreibt der amerikanische Dramatiker George Packer im Magazin "New Yorker".

Erst allmählich wehren sich zivilgesellschaftliche Gruppen in Dresden gegen das kritiklose Erinnern an die Bombardierung. Auch, weil seit einigen Jahren die Neonazis den Tag für ihre Geschichtsklitterung benutzen. Im vergangenen Jahr zogen am 13. Februar Tausende Neonazis mit Fackeln, Kreuzen und schwarzen Fahnen durch die Stadt. Linke Gegendemonstranten griffen Polizisten an, Müllcontainer brannten, hundert Beamte wurden verletzt. Für Montag haben die Rechten erneut mobilisiert. Aktivisten vom Bündnis "Dresden-Nazifrei" wollen den Aufmarsch unter anderem durch Blockaden verhindern.

Der Streit ums Gedenken wirft in Dresden grundsätzliche Fragen auf, die sich wenige Monate nach Bekanntwerden der neonazistischen Mordserie von Zwickau mit neuer Dringlichkeit stellen: Wie lässt sich an deutsche Opfer im Zweiten Weltkrieg erinnern, ohne die NS-Verbrechen zu relativieren? Wie lässt sich verhindern, dass das Gedenken von Rechtsextremen missbraucht wird?

Zwar waren auch andere deutsche Städte von Luftangriffen im Zweiten Weltkrieg betroffen, bei der Bombardierung Hamburgs im Juli 1943 kamen zum Beispiel mehr Menschen ums Leben als in Dresden 1945, doch in keiner Stadt ist die Erinnerung so präsent wie in Dresden.

Die Sowjets und die DDR setzten die Geschichtsfälschung fort

Der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg hat in einer Studie für die Universität Cambridge das Kriegsgedenken in Dresden, Guernica und Sarajevo untersucht. Er glaubt, der 13. Februar sei in seiner Bedeutung einzigartig, weil sich zwei Mythen darin verbänden: Der Mythos der prachtvollen Kunststadt und der ihrer grundlosen Zerstörung.

Dresden gilt seit August des Starken als Wunder des Barock. In der Romantik wurde die Stadt zu einem deutschen Sehnsuchtsort überhöht. Zum "Elbflorenz". "Dresden liegt unter italienischem Himmel", schrieb Heinrich von Kleist, ohne je in Italien gewesen zu sein.

Die Zerstörung der Altstadt steigerte diesen Mythos. Die NS-Propaganda bediente sich seiner, um Dresden als unschuldige Kunststadt zu inszenieren. Sie verschwieg, dass das Regime dort acht KZ-Außenlager unterhielt, dass Dresden Rüstungsstadt und Bahnknotenpunkt war. Die Sowjets und die DDR setzten die Geschichtsfälschung der Nazis fort. Sie deuteten die Bombardierung als "Barbarei des westlichen Imperialismus". Die vergangene Schönheit Dresden sollte die scheinbare Niedertracht der Zerstörung potenzieren.

Dieser "Doppelmythos", sagt Soziologe Rehberg, habe bis heute Bestand. Zum 50. Jahrestag der Bombardierung, 1995, hielt Bundespräsident Roman Herzog eine Rede vor der Frauenkirche. Er etablierte Dresden als den Ort, an dem das vereinte Deutschland seiner Opfer aus dem Zweiten Weltkrieg gedenkt. Niemand nahm damals die Warnungen des Philosophen Ralph Giordano vor den Geschichtsrevanchisten ernst. Heute bestimmen sie das Bild des 13. Februar.

Es war ein Leichtes für die Neonazis, an das Gedenken der Dresdner anzuknüpfen. Sie griffen die Dresdner Opfer-Legende auf und erweiterten sie mit ihrer antiamerikanischen Hetze: "Die Gleichen, die damals keine Skrupel hatten, Abertausende Zivilisten kaltblütig umzubringen, kennen auch heute keine Skrupel. Von Dresden über Korea, Vietnam und Bagdad zieht sich eine Spur durch das 20. Jahrhundert, die sie auch mit noch so viel Niedertracht nicht den Deutschen in die Schuhe schieben können", sagte NPD-Chef Holger Apfel im sächsischen Landtag. Rechtsextreme Politiker und Wiking-Jugend legten jahrelang am Bauzaun der Frauenkirche Kränze nieder; die Stadt ließ sie gewähren. Noch im Jahr 2000 marschierten Neonazis am 13. Februar nahe der zerstörten Dresdner Synagoge.

"Die Dresdner wollen an diesem Tag keinen Trubel"

Anderswo wehren sich Bürger und Politik gemeinsam gegen Nazi-Aufmärsche. In Dresden verhindert der Streit ums Gedenken jedoch bislang ein geschlossenes Vorgehen gegen Rechts. Der Opferkomplex sitzt so tief, dass die Stadt erst allmählich begreift, dass es mit stillen Erinnern am 13. Februar nicht mehr getan ist.

Das Rathaus hat den Theologen Frank Richter beauftragt, den Konflikt zu entschärfen. Richter gründete zu DDR-Zeiten die Gruppe der 20, die mit SED-Führung und Volkspolizei über politische Forderungen verhandelte. Er leitet die sächsische Landeszentrale für politische Bildung, seit vergangenem Sommer ist er ehrenamtlich Moderator der "Arbeitsgemeinschaft 13. Februar". Frank Richter hat nun zumindest einen gemeinsamen Demonstrations-Aufruf aller demokratischen Parteien gegen die Neonazis zustande gebracht - allerdings für Samstag, den 18. Februar.

Am 13. Februar, dem Tag des Neonazi-Aufmarschs, soll es lediglich eine Menschenkette als Symbol des Widerstands geben. Anti-Nazi-Demos seien schön und gut, aber der 13. Februar gehöre dem "stillen Gedenken", heißt es im Rathaus. "Die Dresdner wollen an diesem Tag keinen Trubel."

Laut einer Umfrage der TU Dresden halten nur 38 Prozent der Dresdner Bürger den Protest gegen die Neonazis für wichtiger als das "stille Gedenken" an die Bombennacht. Ausgerechnet in dem Bundesland, das ein Jahrzehnt lang Unterschlupf für eine neonazistische Mörderbande bot, droht ein entschiedenes Vorgehen gegen Rechts am eigentümlichen Erinnerungskult seiner Bürger zu scheitern.

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