
S.P.O.N. - Im Zweifel links Das ZDF und der kritische Journalismus


Gabriel-Interview im "heute-journal": Echt genervt
Foto: ZDFDie SPD-Mitglieder stimmen bekanntlich über den Koalitionsvertrag ab. Marietta Slomka, Moderatorin des ZDF-"heute-journal", lieferte sich dazu vor laufender Kamera ein kleines Gefecht mit Parteichef Sigmar Gabriel.
Die Salutschüsse, die daraufhin auf dem Mainzer Lerchenberg abgefeuert wurden, hörte man bis Berlin! Ebenso hörbar klopfte Slomka sich selbst auf die Schulter: "Als Journalistin habe ich die Aufgabe, Politiker mit Kritik zu konfrontieren. Und zwar völlig unabhängig davon, wie ich persönlich über ein bestimmtes Thema denke." Auch Thomas Bellut, Intendant des Senders, der nicht gerade für seine Staatsferne bekannt ist, nutzte die Gelegenheit für freundliche Worte an die eigene Adresse: "Wir sind in unserer journalistischen Arbeit unabhängig, egal wer in Berlin regiert."
Das wäre alles so toll, und wir würden unsere Gebühren gleich noch freudiger bezahlen - wenn es denn wahr wäre. Aber leider hat hier nicht die Journalistin den Politiker bloßgestellt, sondern der Politiker die Journalistin. Das Gabriel-Slomka-Gespräch sollte Pflichtstoff an den Journalistenschulen werden. Als Warnung: Nicht jede unkundig-freche Frage ist kritischer Journalismus, und nicht jede patzige Antwort ein Zeichen für politische Unabhängigkeit.
Das Interview: Slomka schaltet nach Hessen, wo Gabriel gerade den SPD-Mitgliedern erklärt, warum sie für den Koalitionsvertrag stimmen sollen. Slomka fragt Gabriel, ob sich so ein Mitglieder-Entscheid mit der repräsentativen Demokratie vertrage und ob er sich "verfassungsrechtliche Gedanken" gemacht habe. Gabriel antwortet: "Nee, weil es ja auch Blödsinn ist." Warum solle direkte Demokratie in einer Partei verboten sein? Slomka erwidert, die Abgeordneten seien nach dem Grundgesetz frei in ihrer Entscheidung, aber die SPD-Basis schreibe ihnen jetzt vor, wie sie abzustimmen haben. "Nee, das ist völlig falsch, was Sie sagen", sagt Gabriel. "Sie schreibt dem SPD-Parteivorstand vor, ob er einen Koalitionsvertrag am Ende mit der Union eingehen soll oder nicht."
Gabriel hat recht, und Slomka hat es nicht begriffen
An diesem Punkt dauerte das Gespräch knapp drei Minuten, und Marietta Slomka wäre gut beraten gewesen, es hier zu beenden. Denn Gabriel hat recht, und sie hat es nicht begriffen. Stattdessen aber wirft sie Gabriel vor, dass seine Parteimitglieder jetzt viel mehr Einfluss auf die Bildung der Bundesregierung hätten als andere Bürger: "Ist das wirklich so ganz einwandfrei demokratisch, und jeder, der das in Zweifel zieht, redet Blödsinn?"
Slomka sagte das im scharfen "Ha! Erwischt!"-Ton. Und spätestens jetzt erinnert sie an Susanne Klickerklacker, das Mädchen aus der "Sesamstraße", das uns den Unterschied zwischen nass und trocken erklärt. Gabriel übernimmt die Rolle des freundlichen Monsters, das ihr den Eimer Wasser über den Kopf kippt. Er erklärt ihr nämlich, dass bei CDU und CSU noch viel weniger Menschen über die Koalition befinden und sagt: "Es ist keine bessere Demokratie in einer Partei, wenn nur der Vorstand entscheidet oder nur der Parteitag."
Zu diesem Zeitpunkt steht die Gesprächsuhr bei 4.28 Minuten - und wenn Slomka jetzt einfach gesagt hätte: "Vielen Dank, Herr Gabriel", wäre sie gerade noch mal so aus der Sache herausgekommen. Stattdessen legt sie nach: "Ich dachte, alle Staatsgewalt geht vom Volke aus."
Da war Gabriel echt genervt. Er erteilte der Journalistin noch ein bisschen Gemeinschaftskunde-Unterricht und bat dann beinahe flehend: "Lassen Sie uns diesen Quatsch beenden." Aber sie ließ einfach nicht locker. Es war schrecklich.
Noch schrecklicher war, dass Slomka nachher dafür gelobt wurde. "Bild am Sonntag" sprach für viele Medien, als sie die Kollegin bejubelte: "Bohrende Fragen sind ihre Spezialität." Zuhören offenbar nicht.
Gabriel beantwortete nur die Fragen, die man ihm stellte
Endgültig ordneten sich die Fronten, als sich CSU-Chef Horst Seehofer beschwerte, mit Qualitätsjournalismus habe das nichts zu tun, und Slomka habe Gabriel abgekanzelt wie einen "Schulbub". Was Slomka da gemacht hatte, war tatsächlich nicht Aufklärung, sondern Aufkläricht, um ein Wort von Lessing zu gebrauchen. Und was Seehofer dazu sagte, war kein Versuch, das "ZDF zu regieren" ("BamS"), sondern einfach die Wahrheit.
Bei dem Konflikt steht einiges auf dem Spiel: Gerade wird vor dem Bundesverfassungsgericht die Frage verhandelt, wie unabhängig von Staat und Parteien eigentlich die öffentlich-rechtlichen Sender sind. Und der Vorwurf an die Politiker, sich zu oft einer puddingweichen Sprache zu bedienen, trifft ja zu.
Gabriel fiel aus dem Klischee vom Pudding-Politiker, das Marietta Slomka brauchte, um ihre journalistische Hartnäckigkeit zu beweisen. Aber das wurde ihr nicht klar. Stattdessen verriet sie ein sonderbares Demokratieverständnis: Wenn eine Handvoll Leute über die Geschicke des Landes entscheidet, eine Elite, ist sie damit zufrieden. Wenn Hunderttausende Parteimitglieder befragt werden, regt sich ihr Misstrauen.
Mit diesem Misstrauen ist die Journalistin beileibe nicht allein. Als es um die Verhandlungen über den Koalitionsvertrag ging, benutzte die "taz" das Wort "feilschen", und die "Zeit" nannte den Kampf um Ministerposten ein "Geschacher". Sonderbare Begriffe in diesem Zusammenhang, die wenigstens nicht von viel Respekt für das Ringen um Kompromisse und Mehrheiten zeugen.
Das sind keine Zufälle. Die Wahrheit ist, dass mancher in der deutschen Öffentlichkeit immer noch Probleme mit dem politischen Interessenausgleich hat. Dem Volk, das über alte republikanische Traditionen nicht verfügt, sind die demokratischen Verfahren suspekt. Tiefsitzende Vorurteile entladen sich in einer gefährlichen Politikerschelte. Ohne Politiker gibt es aber keine Demokratie.
Vielleicht sollte Marietta Slomka - und ein paar ihrer Kollegen - das alles noch mal in Ruhe nachlesen: Sehr zu empfehlen ist das Standardwerk "Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland", unlängst in der 10. Auflage erschienen.