S.P.O.N. - Im Zweifel links Was Merkel jetzt machen muss

Europa oder nichts - das muss der Schlachtruf der Kanzlerin sein. Angela Merkel muss jetzt für die EU kämpfen, auch gegen den Widerstand in der eigenen Partei und bei den Wählern. Selbst wenn es die CDU-Chefin das Amt kosten könnte.
Angela Merkels Hände: Die unbekannte Kanzlerin, eine Fremde im Amt

Angela Merkels Hände: Die unbekannte Kanzlerin, eine Fremde im Amt

Foto: Sebastian Kahnert/ dpa

Angela Merkel muss ihrem Land einen Dienst erweisen: Sie muss sich opfern. Sie darf nicht an sich selbst denken und nicht an ihre Partei. Sie muss an die Zukunft der Bundesrepublik Deutschland denken. Diese Zukunft liegt in Europa. Merkel muss die europäische Integration beschleunigen. Jetzt. Sofort. Sie muss das widerspenstige Volk und die zögerliche Partei hinter sich sammeln. Ihr Schlachtruf muss sein: Europa oder nichts!

Vielleicht kostet sie das ihr Amt. Vielleicht zerbricht darüber ihre Regierung. Dann ist das der Preis, den sie zahlen muss.

Gerhard Schröder war bereit, ihn für die Hartz-IV-Maßnahmen zu zahlen. Der Ex-Kanzler hat diese seinerzeit für notwendig gehalten und sie gegen den Widerstand der SPD und ihrer Wähler durchgesetzt. Die Sozialdemokraten erholen sich erst jetzt davon. Europa ist für Merkel, was Hartz IV für Schröder war: Es ist das Projekt, das Ziel, der Sinn ihrer Kanzlerschaft.

Merkel war von Anfang an die unbekannte Kanzlerin, eine Fremde im Amt. Beliebt bei den Menschen. Aber man rätselte: Worum geht es dieser Frau, was treibt sie an, was will sie - außer der Macht? Man hat sonst kein Projekt in dieser Kanzlerschaft gesehen. Aber jetzt liegt es offen zu Tage: Europa. Ausgerechnet die protestantische Frau aus dem Osten muss jetzt Europa retten, das Projekt der katholischen Männer aus dem Westen.

Hilfsmilliarden reichen nicht

Bisher hat sie sich geweigert, die Krise in solchen Dimensionen zu sehen. Sie hat versucht, das Problem da zu lösen, wo es entstanden ist: in den schwachen Ländern des Südens. Aber das genügt nicht. Seit drei Jahren hat nichts ausgereicht, um die Märkte zu beruhigen - zuletzt nicht die 100 Milliarden-Euro-Finanzhilfe für Spanien und nicht der konservative Wahlsieg in Griechenland. Auch die 130 Milliarden Euro, die nach einem Beschluss der vier führenden Nationen der Euro-Zone für Wachstum in Europa freigesetzt werden sollen, werden nicht genügen.

Diese Krise ist eine des Vertrauens. Geld ist greifbares Vertrauen. Und erst wenn Merkel auf Europa vertraut, werden das auch die Märkte tun. Auf dem EU-Gipfel Ende dieser Woche hat die Kanzlerin Gelegenheit zu beweisen, dass sie auf Europa vertraut. Vielleicht ist es die letzte Gelegenheit.

Merkel vertraut bislang nicht einmal ihrem eigenen Parlament und nicht einmal ihren eigenen Wählern. In der vergangenen Woche hat das Bundesverfassungsgericht in großer Klarheit dargelegt: Weil die Kanzlerin Widerstand gegen die Kosten der Euro-Rettung fürchtet, umgeht sie das Parlament, wo sie kann. Das ist ein Fehler. Merkel muss aufhören, sich wie eine Politikerin zu verhalten und den Konflikt zu meiden. Sie muss sich stattdessen wie eine Staatsfrau verhalten und den Konflikt lösen. Merkel muss die Menschen aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit führen und mit der "politischen Unterforderung" Schluss machen, von der Jürgen Habermas gesprochen hat: Europa ist für Deutschland lebenswichtig, und Europa wird Deutschland mehr kosten, als wir bis jetzt gehofft hatten.

Werben für Europa

Wenn man die Deutschen heute abstimmen ließe, würden sie Europa durchfallen lassen. Merkel muss um die Menschen werben - auch wenn es sie am Ende ihr Amt kosten könnte. Von Polizisten und Soldaten wird ständig verlangt, dass sie Leib und Leben für ihr Land und seine Rechtsordnung einsetzen. Merkel muss nur ihr Amt opfern. Dennoch ist das nicht wenig verlangt: Für die Menschen an der Spitze ist die Macht das Leben. Wer schafft es schon, von selbst loszulassen und sich wie Karl V. in die Extremadura zurückzuziehen?

Am Ende wird es eine Volksabstimmung geben, da herrscht inzwischen Einigkeit von Finanzminister Wolfgang Schäuble bis zur Linken-Chefin Sahra Wagenknecht. Die Bankenunion und die Euro-Bonds sind nur die Notmaßnahmen, mit denen der Schwelbrand der Krise erstickt wird. Danach werden die Deutschen ein neues Grundgesetz haben und der Kontinent eine gemeinsame Regierung, eine gemeinsame Politik, ein gemeinsames Schicksal. Das liegt in der Konsequenz der gesamten europäischen Integration seit den Römischen Verträgen.

Deutsche stehlen sich aus Verantwortung

Für eine Umkehr ist es zu spät. Schäubles Leute reichen jetzt die ersten sozusagen offiziellen Zahlen durch, die beschreiben, wie Deutschland zwei Jahre nach einem Zusammenbruch des Euros aussehen wird: fünf Millionen Arbeitslose und eine um zehn Prozent eingebrochene Wirtschaftsleistung. Und das wäre erst der Anfang.

Den Deutschen ist das immer noch nicht bewusst. Sie versuchen immer noch, sich mit dem Verweis auf griechischen Wein und Dolce far niente aus der Verantwortung für ihre eigene Zukunft zu stehlen. Aber es wird den deutschen Arbeitslosen nicht helfen, Griechen und Italienern die Schuld zu geben.

Niemand wird mehr fragen, wo der Zusammenbruch des Euro, der europäischen Integration und des deutschen Wohlstands seinen Ursprung hatte - sondern nur noch danach, wer ihn hätte verhindern können. Das sind die Deutschen selbst. Das ist ihre Kanzlerin Angela Merkel.

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