S.P.O.N. - Im Zweifel links Die guten und die bösen Bürger

Grüne und CDU sind die zwei Gesichter des deutschen Bürgertums. Die Grünen sind für die Moderne zuständig, die CDU für das Ressentiment. Darum siegt die Öko-Partei in Stuttgart. Und die Union führt Wahlkampf auf dem Rücken von Asylbewerbern.

Die Nächte sind jetzt kalt. Aber die Berliner Polizei ist noch kälter: Sie hat den Asylbewerbern, die seit Tagen vor dem Brandenburger Tor ausharren, die Decken weggenommen. Nach Polizeiangaben verstoße der "Einsatz von Übernachtungs-Utensilien" gegen geltendes Recht. So geht eine CDU-geführte Behörde gegen die Ärmsten der Armen vor. Das passt. Gleichzeitig hat Merkels Innenminister Friedrich den Kampf gegen angeblichen Asylmissbrauch entdeckt. Er will Sinti und Roma daran hindern, nach Deutschland zu flüchten. Trotz allen Geredes von der modernisierten Union: CDU und CSU sind immer noch die Parteien des Ressentiments.

Wenn die dunkle Seite des deutschen Bürgertums eine Adresse hat, dann ist das die Union. Für den Rest sind inzwischen die Grünen zuständig. Nachdem er in Stuttgart die Wahl zum Oberbürgermeister gewonnen hatte, sagte Fritz Kuhn: "Unser Denken hat sich in Herz und Verstand großer Teile des Bürgertums breitgemacht und ist dort schon hegemonial." Es ist der Teil des Bürgertums, der auf Familie setzt, auf Alltagsmoral, auf ein modernes bürgerliches Selbstverständnis. Es ist der Teil, der sich fragt: Was ist anständig? Was gehört sich?

Die Grüne Claudia Roth musste nicht übertreiben, als sie am Wochenende sagte: "Zur Union fällt mir Mappus ein, fallen mir Plagiate ein, fällt mir die Art und Weise ein, wie sie mit Griechenland in der Euro-Krise umgehen. Das ist alles andere als bürgerlich und anständig." Das ist das Problem der Union: Vom Plagiator Guttenberg über den Schnäppchenjäger Wulff bis zum Innenminister Friedrich, der seinen Wahlkampf auf dem Rücken von Sinti und Roma führen will, hat die Union vergessen, was sich gehört.

Unter Merkel fand eine Entbürgerlichung der CDU statt

Ausgerechnet Sinti und Roma: Gerade wurde ein Mahnmal eingeweiht, um an die deutschen Verbrechen an diesen Volksgruppen zu erinnern. Angela Merkel versprach, dass Deutschland sich für die Rechte der Sinti und Roma einsetzen werde. Die Kanzlerin sagte wörtlich: "Es ist eine deutsche und eine europäische Aufgabe, sie dabei zu unterstützen, wo auch immer, innerhalb welcher Staatsgrenzen auch immer sie leben." Nur nicht innerhalb der deutschen Grenzen. Merkel hat ein Herz für Sinti und Roma, solange sie schön bei sich bleiben. Wehe, sie kommen auf die Idee, das Versprechen in Deutschland einlösen zu wollen. Dann redet Innenminister Friedrich vom "Missbrauch unseres Systems" und will mit vereinfachter Abschiebung und neuen Visa-Regeln die Flucht der Verfolgten aus Serbien und Mazedonien stoppen.

Mit dieser Art von Politik macht die Union sich unglaubwürdig und punktet nur bei einer Schicht, die Wahlforscher schon vor knapp zehn Jahren in der Union entdeckt hatten, wie man einen "Hausschwamm im Keller" (FAS) entdeckt: "ungebildete, hedonistisch disponierte junge Männer der Unterklasse".

Seitdem ist es damit nicht besser geworden. Unter Angela Merkel hat sich die Partei darauf verlegt, gleichzeitig das Sicherheitsbedürfnis der Kleinbürger zu bedienen und die Kapitalinteressen von Banken und Industrie. Sie hat die bürgerliche Mitte vernachlässigt.

Drei Wurzeln nährten nach dem Krieg die Union: das Konservative, das Liberale und das Soziale. Angela Merkel ließ die konservative und die soziale Wurzel verkümmern. Unter ihrer Führung fand eine Entbürgerlichung der CDU statt. Vor acht Jahren hatte Heiner Geißler vor diesem Kurs gewarnt, der die CDU ihren Charakter als Volkspartei kosten und sie "auf den Weg zur 30-Prozent-Partei" bringen werde. Merkel wurde 2009 mit 33,8 Prozent Kanzlerin.

Der Dichter Hugo von Hofmannsthal prägte 1927 den paradoxen Begriff der "konservativen Revolution". Eine solche hat stattgefunden. Die Grünen waren die Revolutionäre. Sie haben einen Konservatismus ohne Ressentiments erfunden.

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