FDP-Manöver, Neuwahlen, Minderheitsregierung Ihre Fragen zum Jamaika-Aus - unsere Antworten

Angela Merkel
Foto: Markus Schreiber/ APDie Jamaika-Verhandlungen sind geplatzt - und in Berlin müssen sich die Parteien erst einmal sammeln. Nach dem Scheitern der Gespräche zwischen Union, FDP und Grünen stellen sich drängende Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Wie kann es weitergehen im Land? Neuwahlen? Minderheitsregierung?
Szenarien, die auch unsere Leser beschäftigen. Wir haben Sie deshalb auf Facebook gebeten, uns Ihre Fragen zum Jamaika-Aus zu schicken. Lesen Sie hier zehn Antworten.
"Was würde passieren, wenn Frau Merkel als geschäftsführende Kanzlerin sofort hinschmeißt?" (Susanne Stock)

Angela Merkel
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaAngela Merkel darf nicht "hinschmeißen" - jedenfalls nicht einfach so. Nach Artikel 69 Absatz 3 des Grundgesetzes ist ein Bundeskanzler (oder eine Bundeskanzlerin) auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet, die Amtsgeschäfte "bis zur Ernennung seines Nachfolgers weiterzuführen".
Ausnahmen könnte es bei schwerer Krankheit geben, manche halten auch eine "subjektive Unzumutbarkeit" für einen Weigerungsgrund, oder wenn aufgrund der politischen Konstellation ein Verbleiben im Amt als unvereinbar mit dem Gemeinwohl gelten kann. Ein solcher Fall ist aber aktuell nicht erkennbar.
Fällt der Amtsinhaber aus, kann der Bundespräsident nach herrschender Auffassung auch ein anderes Regierungsmitglied beauftragen, vorübergehend die Amtsgeschäfte des Bundeskanzlers weiterzuführen. Strittig ist, ob er dabei zwingend auf den Vizekanzler zugehen muss, oder ob es auch ein anderes Regierungsmitglied sein kann - insbesondere dann, wenn der Vizekanzler nicht der größten Regierungsfraktion angehört. (Dietmar Hipp, SPIEGEL-Redakteur)
"Wie lange kann die geschäftsführende Regierung maximal weitermachen?" (Klaus Peters)

Mitglieder der geschäftsführenden Regierung
Foto: ODD ANDERSEN/ AFPDafür gibt es im Grundgesetz keine eindeutige Regelung. Zwar ist eine Regierung dazu verpflichtet, geschäftsführend so lange im Amt zu bleiben, bis ein neuer Bundeskanzler ernannt ist. Das Grundgesetz regelt allerdings nicht, wann der neue Kanzler gewählt werden muss.
Allerdings müsse der Bundespräsident dem Parlament binnen einer angemessenen Frist einen Wahlvorschlag unterbreiten, schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Damit könnte der Präsident übermäßig lange Koalitionsverhandlungen beschleunigen. (Mara Küpper, SPON-Dokumentation)
"Wird in vier Jahren im September wieder gewählt oder exakt vier Jahre nach der Neuwahl?" (Marc Runge)

SPD-Wahlplakate
Foto: CHRISTIAN MANG/ REUTERSLaut Grundgesetz findet eine reguläre Neuwahl des Bundestages frühestens 46 und spätestens 48 Monate nach Beginn der laufenden Wahlperiode statt. Der Wahltermin richtet sich also grundsätzlich nach dem Beginn der Legislaturperiode.
Nach einer Neuwahl endet mit erstem Zusammentritt des neuen Bundestages die alte Wahlperiode - und eine neue beginnt. Der jetzige 19. Bundestag hat sich wie vorgeschrieben spätestens am 30. Tag nach der Wahl, am 24. Oktober 2017, konstituiert.
Würde der Bundespräsident den Bundestag vorzeitig auflösen, müsste es binnen 60 Tagen nach Auflösung vorgezogene Neuwahlen geben. Läge der Termin für diese Wahlen etwa im April 2018, und der neue Bundestag würde dann eine volle Legislaturperiode überdauern, müssten die Deutschen ebenfalls frühestens 46 beziehungsweise spätestens 48 Monate nach Konstituierung des neuen Bundestags wieder zur Urne, also wohl im Frühjahr 2022. (Almut Cieschinger, SPON-Dokumentation)
"Ist es nicht verwunderlich, dass die FDP sofort die passende Social-Media-Strategie in der Schublade liegen hatte?" (Daniel Stephani)

Christian Lindner
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaBereits wenige Minuten nachdem FDP-Chef Christian Lindner den Abbruch der Sondierungsgespräche verkündet hatte, veröffentlichte seine Partei im Internet einen Auszug von Lindners Rede - und dessen verkürztes Zitat "Lieber nicht regieren als falsch". Mit diesem Statement möchte sich die FDP möglichst häufig zitiert sehen. Man kann einer Partei, die sich "digital first" auf die Fahnen schreibt, sicher nicht vorwerfen, dass sie ihren Social-Media-Auftritt schnell anpasst.
Die FDP erklärte später, sie habe bereits vor dem Wochenende mehrere Karten für die sozialen Netzwerke vorbereitet - sowohl für den Fall eines Scheiterns der Gespräche als auch für den eines Erfolges. Zu diesem Zeitpunkt waren die Unterhändler noch davon ausgegangen, die Sondierungen bereits am Freitag zum Abschluss zu bringen.
Dennoch steht der Vorwurf im Raum, die FDP habe ihren Abzug bereits länger geplant: "Das war von langer Hand vorbereitet. Dass ihr uns hier einen Tag in Geiselhaft genommen habt, nehme ich euch persönlich übel", twitterte der Grünen-Politiker Robert Habeck. Die Liberalen weisen das jedoch zurück. (Ayla Mayer, SPON-Social-Media-Redaktion)
"Müssen kleine Parteien im Fall von Neuwahlen wieder Unterschriften sammeln?" (Kevin Pengel)

"Schattenkabinett" der Satiriker von Die Partei
Foto: Gregor Fischer/ dpaVorgezogenen Neuwahlen geht die Auflösung des Parlaments voraus. In der Folge wird zwar früher als geplant - jedoch ansonsten regulär neu abgestimmt. Das heißt: Parteien müssen neue Listen vorlegen, Kandidaten sich wieder bewerben. Und kleine Parteien müssen Unterschriften sammeln.
Dazu sind sie laut Bundeswahlleiter verpflichtet, wenn sie "derzeit weder im Bundestag noch in einem Landtag seit dessen letzter Wahl ununterbrochen aufgrund eigener Wahlvorschläge mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten sind". Direktkandidaten benötigen mindestens 200 Unterschriften aus ihrem Wahlkreis. Landeslisten müssen von mindestens 0,1 Prozent und höchstens 2000 Wahlberechtigten eines Bundeslandes unterzeichnet werden. (Kevin Hagen, SPON-Politikredaktion)
"Hat sich Frauke Petry mit ihrem Parteiaustritt verspekuliert - und verliert bei einer Neuwahl ihren Sitz im Bundestag als "Blaue"?" (Axel Patsch)

Frauke Petry
Foto: Frank Rumpenhorst/ dpaEine Neuwahl bedeutet zugleich das Ende der Legislaturperiode - alle Abgeordneten verlieren formal ihr Mandat. Natürlich steht es ihnen frei, erneut anzutreten.
Für Frauke Petry stünden die Chancen dann schlecht. Zwar profitierte sie beim Triumph in ihrem Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge sicher auch von ihrer persönlichen Popularität. Doch man kann davon ausgehen, dass nach ihrem Parteiaustritt allenfalls ein geringer Teil der AfD-Wähler der Vertreterin einer nun anderen Partei ihre Stimme geben würde.
Petry und ihre "Blaue Partei" haben es bislang ohnehin offengelassen, ob sie zu einer Neuwahl antreten wollen. Die Partei befindet sich noch im Aufbau, Landesverbände gibt es noch nicht, zu ersten Veranstaltungen kamen lediglich einige Dutzend Zuhörer. Selbst im Falle einer Kandidatur wäre es höchst unwahrscheinlich, dass sich Petrys Truppe gegen die AfD behaupten kann.
Insofern ist es wohl so: Frauke Petry hat sich verspekuliert - zumindest, wenn sie gehofft hat, den "Blauen" in vier Jahren Bundestag Aufmerksamkeit verschaffen zu können. (Kevin Hagen, SPON-Politikredaktion)
"Müssen wir Angst haben, dass bei den Neuwahlen die rechten Parteien mehr Stimmen erhalten?" (Roman Kastner)

AfD-Fraktionschefs Alice Weidel, Alexander Gauland
Foto: JOHN MACDOUGALL/ AFPDas lässt sich derzeit nicht verlässlich beantworten. Die AfD hofft aber auf einen solchen Effekt. Im aktuellen SPON-Wahltrend würden die Rechtspopulisten sich im Vergleich zur Bundestagswahl leicht verbessern. Manche Experten glauben jedoch, dass eine Neuwahl der AfD eher schadet. Einige Wähler könnten einsehen, "was passiert, wenn man die AfD stark macht: Die Mehrheitsverhältnisse werden schwieriger", sagte etwa Politikwissenschaftler Thorsten Faas dem "Handelsblatt".
Viel wird davon abhängen, welche Themen in einem erneuten Wahlkampf dominieren und ob es der AfD gelingt, diese für sich zu besetzen. Für andere Parteien aus dem rechten Spektrum gilt: Sie spielten zuletzt kaum eine Rolle mehr. Die rechtsextreme NPD ist inzwischen parlamentarisch bedeutungslos. (Max Holscher, SPON-Politikredaktion)
"Was ist, wenn bei Neuwahlen ein ähnliches Ergebnis erzielt wird? Geht dann alles von vorne los?" (Corinna Heim)

Schild am Eingang zur Parlamentarischen Gesellschaft in Berlin
Foto: Bernd von Jutrczenka/ dpaDas ist natürlich Spekulation. Niemand weiß, ob in den Monaten bis zu einer Neuwahl Union oder SPD wieder zulegen können. Dann wären unkompliziertere Bündnisse wieder denkbar: Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün - auch ein rot-rot-grünes Experiment.
Im Moment zumindest bilden die Umfragen keinen wesentlichen Stimmungsumschwung in der Bevölkerung ab. Das heißt: Es ist gut möglich, dass die Parteien auch nach einer Neuwahl wieder vor denselben Problemen stehen, mit denen sie sich bereits jetzt herumärgern. Der Druck, sich zu einigen, wäre dann aber sicher noch einmal höher. Und etwa in der SPD gibt es bereits jetzt Bestrebungen, die Verweigerungshaltung gegen eine Große Koalition aufzugeben. (Kevin Hagen, SPON-Politikredaktion)
"Warum wird nicht ernsthaft über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung diskutiert?" (Gustav Boesehans)

Bundestag
Foto: Silas Stein/ dpaZunächst ein Widerspruch: Es wird durchaus über die Möglichkeit einer Minderheitsregierung diskutiert. In der SPD gibt es dafür bereits Zuspruch. Fraktionschefin Andrea Nahles zeigte sich zuletzt offen für eine von den Sozialdemokraten tolerierte Minderheitsregierung als Übergangslösung: "Da müssen wir drüber reden."
Besonders beliebt ist dieses Modell allerdings nicht. Minderheitsregierungen gelten als instabil und unberechenbar. Manche scheiterten gar bereits beim Start: Heide Simonis fiel in Schleswig-Holstein 2005 in vier Wahlgängen durch, Andrea Ypsilanti wurde in Hessen 2008 von einer kleinen Gruppe Abweichler in der eigenen Partei gestoppt.
Im Falle einer Minderheitsregierung müssen Mehrheiten in jeder Abstimmung neu organisiert werden - das hat für manche einen besonders demokratischen Charme. Allerdings kann sie den parlamentarischen Betrieb auch lähmen. Eine Bundesregierung muss aber handlungsfähig sein - das ist auch eine Lehre aus den schwachen Führungen der Weimarer Republik. (Kevin Hagen, SPON-Politikredaktion)
"Wie läuft das konkret bei einer Minderheitsregierung?" (Christoph Hensel)

CDU-Politiker Angela Merkel, Paul Ziemiack
Foto: Michael Kappeler/ dpaEine alleinige Minderheitsregierung der Union wäre zwar möglich, aber wohl kaum überlebensfähig. CDU und CSU verfügen nur über 246 der 709 Bundestagssitze, ihnen würden also 109 Stimmen für eine absolute Mehrheit fehlen.
Um Gesetze zu verabschieden, bräuchte die Minderheitsregierung zusätzliche Unterstützung aus anderen Fraktionen. So könnte sich beispielsweise eine Koalitionsminderheitsregierung aus Union und Grünen von der SPD dulden lassen. Die SPD erhielte zwar keine Posten, könnte aber in vielen inhaltlichen Fragen mitreden und Akzente setzen.
Möglich ist aber auch eine Minderheitsregierung, die sich für jedes einzelne Vorhaben jeweils eine Mehrheit im Bundestag sucht. Sie könnte dabei mit wechselnden Partnern arbeiten. Eine Unions-Minderheitsregierung könnte so etwa mit der SPD den Arbeitsmarkt reformieren - und die Sicherheitsgesetze mit FDP und AfD verschärfen. Durch die Abhängigkeit von anderen Fraktionen wäre die Regierung womöglich zwar einerseits erpressbar, andererseits eröffneten sich ihr auch Verhandlungsspielräume.
Besonders erschwert werden könnte diese Form der Regierung außerdem durch den Bundesrat. Hier sitzen die Vertreter der Landesregierungen, die in der Regel selbst aus unterschiedlichen Koalitionen kommen und deren Maßgaben folgen müssen. (Almut Cieschinger, SPON-Dokumentation, und Alexander Preker, SPON-Politikredaktion)