Jamaika-Sondierungen Alles eine Frage der Interpretation

Jamaika-Spitzenpersonal von FDP und Grünen
Foto: Michael Kappeler/ dpaWer ein gemeinsames Papier verfasst, der hat noch keine gemeinsame Linie. Diese Erfahrung machen gerade die Jamaika-Partner in ihrem Abtast-Trialog.
Zwar haben sich die Unionsparteien, FDP und Grüne in der Nacht zum Mittwoch auf ein paar finanzpolitische Grundsätze geeinigt und dies unter dem prosaischen Titel "Sondierungsstand Finanzen, Haushalt, Steuern (24.10.2017)" zusammengefasst und öffentlich gemacht; doch wird seit Bekanntwerden um die Interpretation gerungen.
Insbesondere FDP und Grüne - die beiden Regierungsneulinge im Falle einer Koalitionsbildung - mühen sich am Tag danach um Meinungshoheit.
Das geht natürlich nur gegeneinander.
Den Auftakt machte noch in der Nacht auf Mittwoch FDP-Vize Wolfgang Kubicki: "Wir waren uns einig, dass der Soli abgebaut und abgeschafft wird" - und zwar in der nächsten Legislaturperiode, verkündete er nach den Gesprächen. Die Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der dem Bund jährlich rund 20 Milliarden Euro bringt, ist allerdings eine Frage der Interpretation.
Zwischenergebnis heute - das KÖNNTE eine finanzpolitische Trendwende werden. CL pic.twitter.com/ytUpUFCY3c
— Christian Lindner (@c_lindner) October 24, 2017
Denn im ersten, gemeinsamen Jamaika-Papier heißt es, in einer Art Viererschritt:
- Die Gesprächspartner "wollen einen ausgeglichenen Haushalt".
- Finanzielle Spielräume, die "unter diesen Vorgaben" bestehen, wolle man "gemeinsam erarbeiten".
- Und auf Basis dieser Spielräume sollen "Entlastungsmaßnahmen und Investitionsbedarfe bestimmt" werden.
- Der "Abbau des Solidaritätszuschlags" ist dann nur als einer von mehreren Punkten dieser Entlastungsmaßnahmen genannt.
Darauf zielten am Mittwoch die Grünen ab, gingen mit ihrer Interpretation aber wiederum so weit, dass sie die Abschaffung des Soli gleich gewissermaßen weginterpretierten.
Der Parteilinke Jürgen Trittin, den die Grünen als ihren Experten für Finanzen in die Sondierungen geschickt haben, zeigte sich im ZDF "sehr pessimistisch, was einen kompletten Abbau des Soli unter diesen Bedingungen angeht". Wer einen ausgeglichenen Haushalt einhalten wolle, der könne nicht gleichzeitig den Soli vollständig abbauen.
Später legte Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt nach, wollte von Einigung auf eine gemeinsame Jamaika-Linie in der Finanzpolitik nichts wissen: "Wir haben keine Verabredung in der Sache getroffen." Die Jamaika-Partner hätten lediglich festgehalten, welche Themen sie in der Finanzpolitik auf die Agenda setzen wollen.
FDP-Chef Christian Lindner sagte dem SPIEGEL, dass es tatsächlich keine Einigung, sondern nur eine Themenauflistung gegeben habe. Allerdings wisse Trittin, wie bedeutsam die Abschaffung des Soli sei: "Wir sind überrascht von der Kommunikationsstrategie der Grünen, die hinter verschlossenen Türen sehr viel beweglicher sind als öffentlich."
Der Interpretationskampf um den Soli zeigt, wie sehr die sondierenden Parteien darauf bedacht sind, nicht zu früh und nicht zu viel ihrer eigenen Forderungen preiszugeben. Da Jamaika weder Wunschbündnis noch Politprojekt ist, suchen alle Beteiligten vorerst noch den eigenen, nicht den gemeinsamen Vorteil. Gegenseitige Nickligkeiten inklusive.
Die 52 Mitglieder der großen Jamaika-Sondierungsrunde
Gleichzeitig darf nicht unterschätzt werden, wie kritisch in allen vier Parteien die Sondierungen von jenen verfolgt werden, die nicht zu den unmittelbaren Verhandlungsteams gehören.
So meldete sich am Mittwoch bei den Grünen deren Europaabgeordneter Sven Giegold zu Wort, der auch über eine Kandidatur für den Posten des Parteichefs nachdenkt. Giegold kritisierte die ersten Ergebnisse der Gespräche, da das Sondierungspapier "eine große Lücke beim Thema Geldwäsche und Steuervermeidung" aufweise. Gegenüber dem SPIEGEL nannte er den möglichen Soli-Abbau zudem "ein Geschenk für Spitzenverdiener".
Dabei war, darüber sind sich die Sondierungspartner einig, der Dienstagstermin mit der Finanzthematik noch gar nicht die komplizierteste Jamaika-Übung. Die größte Herausforderung steht an diesem Donnerstag bevor. Denn dann wird vornehmlich über Klimapolitik und Migration gesprochen.
Dabei werden sich wohl CSU und FDP mit ihrer Forderung nach Begrenzung der Zuwanderung auf der einen Seite und die Grünen mit ihrem Wunsch nach einem erleichterten Familiennachzug für Flüchtlinge auf der anderen Seite gegenüberstehen.

Die Position der CDU liegt wohl dazwischen, auch wenn sich die Kanzlerinpartei mit der CSU im Vorfeld auf einen schwarz-schwarzen Kompromiss zur Obergrenze light verständigt hatte: Es dürfen nur 200.000 Flüchtende pro Jahr kommen - außer es kommen mehr.
Während bei den Grünen die Linie gilt, dass dieser intern "Regelwerk" genannte Obergrenzen-Kompromiss ein Kompromiss zwischen den Unionsparteien ist, aber eben keiner zwischen den Jamaika-Partnern, beharrt die CSU entschieden darauf: "Ich sage ganz klar, für uns ist, wenn dieses Papier nicht umgesetzt werden kann, eine Zusammenarbeit in einer Regierung nicht möglich", erklärte CSU-Landtagsfraktionschef Thomas Kreuzer, der zum christsozialen Sondierungsteam gehört.
Nur konsequent, dass Grünen-Chef Cem Özdemir am Mittwoch noch einmal vor übertriebenem Optimismus in Sachen Jamaika warnte: "Solange nicht alles geeinigt ist, ist noch nichts fertig geeinigt."