Jamaika-Endspurt Die [vielleicht] letzte Nacht

Sondierungsort Parlamentarische Gesellschaft
Foto: Kay Nietfeld/ dpaMancher dürfte es eher als Drohung verstanden haben, was FDP-Chefverhandler Wolfgang Kubicki am Donnerstag dem SPIEGEL sagte: "Ich bin der Auffassung, dass wir uns lieber ein paar Tage mehr geben sollten für eine solide und vernünftige Vereinbarung, wenn es heute Nacht nicht klappt." Wie bitte? Noch eine Schleife für die Teilnehmer und Beobachter der zermürbenden Jamaika-Gespräche, die nun schon vier Wochen lang geführt werden? Andererseits: Um die Sondierungen doch noch zu einem positiven Ende zu bringen - was sind da schon ein paar Tage mehr?
Das ist also die Lage, in der CDU, CSU, FDP und Grüne in die (vermeintlich) letzte Sondierungsnacht gehen. Am Freitag, so der bisherige Plan, soll ein Ergebnis vorliegen.
Die vier Parteien sind in gewisser Weise verdammt zu einer gemeinsamen Koalition: Eine Regierungsalternative gibt es nicht, weil die SPD auf ihrer Oppositionsrolle besteht (auch wenn das mancher in der Union immer noch nicht so ganz glauben mag), die Führung einer Minderheitsregierung würde sich wohl nicht einmal die erfahrene Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel zutrauen.
Blieben also nur Neuwahlen. Das Dumme ist allerdings, dass man sich danach - abgesehen von einer dann wohl noch größeren AfD-Fraktion im Bundestag - wohl wieder in der gleichen Lage wiederfinden würde: nämlich eine gemeinsame Regierung bilden zu müssen.
Koalition der Kompromisse
Dennoch ist das Scheitern von Jamaika weiterhin möglich. Daran ändert auch das 61-seitige Entwurf-Papier nichts, mit dem die Sondierer in die Nacht gehen. Zwar enthält es sogar schon eine zweiseitige Präambel mit allerlei Polit-Lyrik. Aber selbst darin befindet sich eine eckige Klammer - übersetzt: ein Dissens. Auf manchen der folgenden 59 Seiten findet man mehr von eckigen Klammern begrenzte Textpassagen als solche ohne, vor allem aber sind die Sondierer bei den bekannten Streitpunkten nach wie vor weit voneinander entfernt.
Eine Koalition von vier Partnern müsste noch mehr als jedes sonstige Regierungsbündnis eine Koalition der Kompromisse sein. Ob das jeder der möglichen Partner, die sich seit fast einem Monat in den Räumlichkeiten der Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber vom Reichstag treffen, wirklich begriffen hat? Am Freitagmorgen wird man mehr wissen.
Jede der Parteien hat halt rote Linien - dummerweise mitunter auf den gleichen Themenfeldern, beispielsweise CSU und Grüne beim Familiennachzug. Das macht die Sache so schwer. Zumal die bayerische Schwesterpartei der CDU wegen der ungeklärten Führungsfrage so durcheinander ist, dass sie in den Sondierungen umso lauter poltert. Die Grünen wiederum müssten ein Sondierungspapier von einem Parteitag absegnen lassen - dafür brauchen sie unbedingt ein paar Erfolge. Und die FDP hat sich so für einige Forderungen verkämpft, vor allem die Abschaffung des Solidaritätszuschlags noch in dieser Legislaturperiode, dass sie sich dabei aus Glaubwürdigkeitsgründen nun durchsetzen muss.
Nur bei der CDU weiß man, außer beim Thema Migration, nicht so recht, was sie eigentlich durchsetzen will. Außer halt, weiterregieren und die Kanzlerin stellen. Also eigentlich wie immer in der vergangenen Jahren.
Merkel hat bisher nicht einmal versucht, Jamaika wenigstens ein bisschen inhaltlich aufzuladen, einen gemeinsamen Rahmen zu entwickeln. Das wirft ihr auch mancher aus der eigenen Partei vor - denn das wäre doch wirklich ihre Aufgabe gewesen als möglicher Kopf dieser Koalition. Aber Merkel ist da vielleicht doch eher beim früheren SPD-Kanzler Helmut Schmidt und seinem legendären Satz: "Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen."
Nüchtern hat doch bisher noch immer geklappt.
Aber klappen sollte es halt schon mit Jamaika - weil sonst wohl auch ihre politische Karriere am Ende wäre. Dass die Union mit Merkel als Spitzenkandidatin in Neuwahlen ginge? Schwer vorstellbar nach dem miserablen Ergebnis bei der Bundestagswahl.

Nun sitzen sie also zusammen: Zunächst die Chefverhandler, dann sollte die große Runde mit 52 Verhandlungsteilnehmern zusammenkommen, anschließend kleine Sondierungsrunden. Kartoffelsuppe, Currywurst, Garnelenspieße und paniertes Schnitzel werden gereicht - wie immer sind die Sondierer in der Parlamentarischen Gesellschaft bestens versorgt.
"Ich glaube, es kann gelingen", sagte CDU-Chefin Merkel am Donnerstagvormittag. Sie hoffe, "dass der Wille da ist, dass etwas gelingt". Auch FDP-Chef Christian Lindner gab sich staatstragend: "Heute ist ein Tag, an dem wir die Menschen mit Mut und Tatkraft und neuem Denken beeindrucken können", sagte er. Grünen-Verhandlungsführerin Katrin Göring-Eckardt sprach von einem "Tag, bei dem wir sehr große Verantwortung spüren" - es gehe schließlich um "das Beste für unser Land".
Große Worte. In ein paar Stunden wird man wissen, was sie gehalten haben.