
Merkel-Dämmerung Isch over


Jämmerlich. Das Ende ist immer jämmerlich. Warum nur schafft es kein bedeutender Staatsmann - und auch keine Staatsfrau - den richtigen Moment für einen Abgang in Würde abzupassen? Nun auch Angela Merkel. Die Frau, die wie keine andere für Stabilität stand und für Berechenbarkeit, hat sich in eine heillose Lage manövriert. Weil sie nicht rechtzeitig von der Macht lassen konnte, wird sie nun erleben, wie ihr die Macht zwischen den Fingern zerrinnt. Man muss wahrhaftig kein Freund dieser Kanzlerin sein, um das als Trauerspiel zu beklagen.
Zuwarten und zugucken - das war ja immer Merkels Rezept. Dieses Mal ist es nicht aufgegangen. Der unberechenbare Herr Lindner von der FDP hat die Kanzlerin in die Ecke gespielt. Nun steckt sie in der Klemme. Und mit ihr das ganze Land. Es ist sehr fraglich, ob das Lindner nützen wird. Aber es ist sicher, dass es Merkel schadet. Sie wird nur darum nicht vom Thron gestoßen, weil niemand sich in ihren Scherbenhaufen legen will. Neuerdings heisst es ja, dass Frauen immer gerufen werden, den Schlamassel aufzuräumen, den Männer hinterlassen. Wen ruft man, um hinter einer Frau aufzuräumen?
Lindners gefährliches Vorbild ist klar
Man tut Christian Lindner sicher nicht Unrecht, wenn man annimmt, dass es nicht Prinzipientreue war, die ihn dazu veranlasste, die Gespräche für die sogenannte Jamaikakoalition scheitern zu lassen.
Lindner entpuppt sich als Spieler, der den Einsatz erhöht, weil er nach dem Hauptgewinn schielt. Es sollte zu denken geben, dass dieser Ehrgeizige mit dem Abbruch des Jamaika-Projekts der Mitte, in der doch hierzulande angeblich alle Wahlen gewonnen werden, die kalte Schulter zeigt.
Aber diese Mitte, deren Koalition "Jamaika" ja gewesen wäre, kümmert Lindner offenbar gar nicht mehr. Er sucht sein politisches Heil darin, die FDP auf nationalliberalen Kurs zu drehen. Sein gefährliches Vorbild ist klar: der Erfolg des noch jüngeren Österreichers Kurz. In einer gar nicht so fernen Post-Parteien-Zukunft, in der endgültig das Primat des Persönlichen obsiegt hat, könnte er, Christian Lindner, der erste gleichsam überkonfessionelle Kanzler der Republik werden. Was für eine grauenhafte Vorstellung.

Ende der Sondierungen: Lange Nacht, lange Gesichter
Wie matt, wie müde wirkt Merkel auf einmal gegen diese Winkelzüge einer neuen politischen Generation. Merkel ist am Ende. Ohne Begeisterung hat sie sich zur Kandidatur entschlossen, ohne Elan hat sie ihren Wahlkampf absolviert, ohne Lust diese Sondierungen mehr begleitet als geführt, die von Runde zu Runde sonderbarer wurden. Und dann ist ihr alles entglitten. Sie hätte guten Grund zum Rückzug.
Was nun? Neuwahlen? Das will im Ernst niemand - Merkel am wenigsten.
Noch so ein lahmer Wahlkampf, und die politische Kultur des Landes hätte sich wundgelegen. Große Koalition? Bloß nicht! Die SPD soll sich davor hüten, Merkel jetzt zur Hilfe zu kommen. Fahnenflucht müssen sich die Sozialdemokraten von niemandem vorwerfen lassen. Es gibt keine Pflicht zu regieren - ebenso wenig wie es ein Recht darauf gibt. Übrigens gibt es auch keine Pflicht zur Selbstzerstörung. Darauf liefe aber eine GroKo-Erneuerung hinaus. Die SPD wird noch gebraucht.
Bleibt noch eine letzte Variante - es wäre auch die einzige, die Merkel Gelegenheit böte zu zeigen, dass sie an der Macht überhaupt noch interessiert ist: eine Minderheitsregierung. Die hat in Deutschland keinen guten Ruf. Zu Unrecht. Wechselnde Mehrheiten gefährden nicht die Stabilität eines Landes - siehe Skandinavien, wo solche Regierungen seit Jahrzehnten in Ruhe und mit Erfolg arbeiten. Im Gegenteil, sie beleben die Demokratie.
Eine Minderheitsregierung kann auf die verfassungsfremde Fraktionsdisziplin verzichten. Und sie befreit das Systen vom ewigen Zwang zum "kleineren Übel". Gleichzeitig stärkt sie das Parlament, weil die politische Auseinandersetzung aus den Hinterzimmern der Koalitionsausschüsse zurück ins Licht der demokratischen Öffentlichkeit wandert. Die SPD-Politikerin Hannelore Kraft nannte ihre Minderheitsregierung in Nordrhein-Westfalen einst die "Koalition der Einladung" - das war ein hübsches Wort!
Angela Merkel sollte jetzt den Mut für eine solche Belebung der deutschen Demokratie aufbringen. Oder den Weg freimachen.
Im Video: "Lindner wollte offensichtlich nicht regieren"