Schmähgedicht auf Erdogan Fall Böhmermann sorgt für Koalitionskrach

ZDF-Moderator Jan Böhmermann
Foto: Ole Spata/ dpa
ZDF-Moderator Jan Böhmermann
Foto: Ole Spata/ dpaDie Kanzlerin will um 13.00 Uhr bekanntgeben, ob ihre Regierung die deutsche Justiz ermächtigt, gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen eines beleidigenden Gedichts über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu ermitteln. Dies hatte die Türkei vor gut einer Woche förmlich verlangt. (Lesen Sie hier die ganze Geschichte im neuen SPIEGEL.)
Das tagelange Zögern der Bundesregierung in der Causa Böhmermann erklärt sich mit einem handfesten Streit innerhalb der Koalition.
Nach SPIEGEL-Informationen konnten sich insbesondere das Kanzleramt und das Auswärtige Amt in den vergangenen Tagen nicht auf eine gemeinsame Linie zu dem Begehren der türkischen Regierung einigen, ein Strafverfahren nach Paragraf 103 des Strafgesetzbuches gegen den Satiriker zu ermöglichen.
Bisher galt: Während das Kanzleramt dem Begehren stattgeben wollte, tendierte das Auswärtige Amt zum Veto. Aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier(SPD) hieß es: "Wir sind skeptisch, ob das Strafrecht der richtige Weg sein kann".
Im Kanzleramt wurde unter anderem mit Präzedenzfällen wie dem der ehemaligen Schweizer Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey argumentiert. Sie war von einem in Deutschland lebenden Schweizer im Internet beleidigt worden und berief sich ebenfalls auf den Paragraf 103 StGB. Gegen den Mann wurde auf Grundlage dessen 2007 ein Strafbefehl erlassen, was einem Urteil gleichkommt, teilte die Staatsanwaltschaft Regensburg mit. Er musste demnach 50 Tagessätze zu je zehn Euro zahlen. Einspruch legte der Mann nicht ein.
Merkel versuchte am Rande des Koalitionsausschusses in der Nacht zum Donnerstag , in Vier-Augen-Gesprächen mit SPD-Chef Sigmar Gabriel und dem CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer einen Konsens zu erzielen. Während Seehofer seine grundsätzliche Bereitschaft erklärte, Merkels Linie mitzutragen, brachte das Gespräch mit Gabriel zu diesem Zeitpunkt keinen Durchbruch.
Video zu Böhmermann: Von der Satire zur Staatsaffäre
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Der Schah, der Schah
Umgangssprachlich nennen Juristen den Paragrafen 103 StGB auch Schah-Paragraf. Der Schah von Persien, mit vollem Namen Mohammad Reza Pahlavi, fühlte sich 1964 durch eine karikierende Fotomontage im "Kölner Stadt-Anzeiger" beleidigt; in diesem Fall erfolgreich: Die verantwortlichen Mitarbeiter mussten eine Geldstrafe zahlen.
"United Stasi of America"
Als 2014 bekannt wurde, dass der US-Geheimdienst NSA die Bundesregierung, Abgeordnete und deutsche Medien ausgespäht hatte, projizierte ein Künstler die Worte "United Stasi of America" an die Fassade der Berliner US-Botschaft, in der sich ein technisch hochgerüsteter Horchposten der Amerikaner befand. Daraufhin prüften die Justizbehörden eine mögliche Beleidigung nach Paragraf 103. Beschwerden der Amerikaner gingen nicht ein.
Putin und Femen: "Fuck Dictator"
Bei der Eröffnung der Hannover-Messe 2013 rannten barbusige Aktivistinnen der Gruppe "Femen" auf den russischen Präsidenten und auf Angela Merkel zu. Eine der Aktivistinnen hatte sich "Fuck Dictator" auf die Brust geschrieben. Einer Beschwerde erteilte Putin noch auf der Messe eine Absage: "Ich sehe darin nichts Schreckliches."
George W. Bush "offensichtlich durchgeknallt" und "blutgierig"
2003 nannte der Marburger Metzger Franz Becker den US-Präsidenten George W. Bush wegen des Irakkriegs, gegen den sich die Mehrheit der deutschen Bevölkerung und auch die Bundesregierung aussprach, "offensichtlich durchgeknallt" und "blutgierig". Die Marburger Staatsanwaltschaft ermittelte wegen des Verdachts der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts. Die US-Behörden lehnten nach Informationen der Humanistischen Union jedoch eine nähere Beschäftigung mit Beckers Äußerungen ab, berichtete die "Frankfurter Rundschau" - Verfahren eingestellt.
"Mörder" und "Faschist" Ronald Reagan
1987 waren linke Aktivisten in Berlin - wie meist - gegen die USA eingestellt. Der amerikanische Präsident Ronald Reagan war auf Transparenten wiederholt als "Mörder" und "Faschist" bezeichnet worden. Die Berliner Polizei ermittelte auf eigene Faust in der Hausbesetzerszene - vorsorglich, um Beweise zu sichern, falls Paragraf 103 greifen sollte. Griff aber nicht.
Schülerin Ina gegen Staatschef Li
"Mörder" stand auf einem Transparent, dass die Münchner Polizei 1994 bei einem Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten Li Peng (hier 2002 mit seiner Frau) der 14-jährigen Schülerin Ina P. wegnahm. Begründung der Polizisten: Wenn sich Li beschwere, sei ein Verfahren gegen die Schülerin möglich. Hintergrund des Protests gegen den Staatsgast war das Massaker an Studenten auf dem Platz des himmlischen Friedens 1989. Li beschwerte sich nicht.
"Wer verhütet, dass der Papst Aids verbreiten hilft?"
Wie die "Süddeutsche Zeitung" im Zusammenhang mit dem Papstbesuch 2006 in München berichtete, mussten sich Demonstranten gegen Benedikt XVI. mit einer Drohung des Polizeichefs Wilhelm Schmidbauer auseinandersetzen. Er sagte, gegen Papstgegner werde man - auch unter Berücksichtigung des 103er - "rigoros vorgehen".
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