S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal War Helmut Kohl ein Linker?

Alt-Bundeskanzler Kohl: Ist er etwa ein Linker?
Foto: dapdWenn vermehrter Pathosausstoß ein Grund ist, sich auf das Schlimmste gefasst zu machen, dann boten die Einheitsfeiern am Mittwoch reichlich Anlass, in Deckung zu gehen. Auf der nach oben offenen Pathosskala ließ der 3. Oktober nichts zu wünschen übrig. Alles wurde bemüht, um die Deutschen an ihre europäischen Pflichten zu erinnern: die Solidarität mit den Nachbarn, die Schrecken der Vergangenheit, das Schicksal unserer Kinder und Kindeskinder. Wenn der Integrationsprozess nicht vorankomme, dann hätte "Europa seine Zukunft hinter sich", mahnte Bundestagspräsident und Großredner Norbert Lammert. Eigentlich fehlte nur noch der Dreißigjährige Krieg und das gefährliche Erbe der Preußenzeit.
An rhetorischem Überschwang hat es in der Geschichte des Euro nie gefehlt, und das ist vielleicht schon der entscheidende Geburtsfehler. Wo kein Mangel an großen Worten herrscht, unterbleiben oft die einfachen Fragen.
Wollte man boshaft sein, könnte man darüber nachdenken, ob Helmut Kohl nicht mit seinem Einsatz für die Währungsunion in Wahrheit zum Linken wurde. Der Euro war immer ein idealistisches Projekt, mit allen Schwächen eines solchen Vorhabens. Dass der Mensch an sich gut sei, steht als Annahme am Beginn allen linken Planens, dies ist die Grundbedingung des utopischen Denkens. Nur wer sich einen sehr sonnigen Blick auf das Menschengeschlecht bewahrt hat, kann eine Wirtschaftsordnung anstreben wollen, in der alle von sich aus ihr Bestes geben, auch ohne Aussicht auf die Akkumulation materieller Güter, mit der man sich ansonsten gerne von weniger fleißig oder glücklich agierenden Nachbarn absetzt.
Auf den Euro übertragen bedeutete dieses idealistische Erbe: Die Mitgliedsländer werden ihre nationalistischen Egoismen ablegen, sobald sie erst einmal dem größeren Bund angehören. Die ärmeren werden aus eigener Kraft zu den reicheren Staaten im Norden aufschließen, indem sie sich an diesen ein Vorbild nehmen. Wer bislang hohe Zinsen zahlen musste, weil die Kreditgeber Zweifel an der Bonität hatten, wird das gesparte Geld sorgsam verwahren und später dann dazu nutzen, die Infrastruktur zu modernisieren, die Kinder zu bilden und die Schulden abzubauen.
Arroganz der Elite
Eines der großen Rätsel in der Genese des Euro ist bis heute die Frage, wie ein so guter Psychologe und Menschenkenner wie Helmut Kohl im Ernst an das Gelingen eines solch utopischen Projekts glauben konnte. Eine auch an dieser Stelle schon wiedergegebene Erklärung sieht in der Unterschrift in Maastricht ein Gegengeschäft: Danach war die Zustimmung der Bundesregierung zum Euro der Preis für das Plazet der Franzosen zur Deutschen Einheit. Aber es gab immer Zweifel an dieser Variante.
Der ehemalige CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber, mit dem mein Kollege Georg Mascolo und ich vor kurzem dazu geredet haben, hat eine andere Erklärung. Für Stoiber spricht schon der Zeitablauf gegen die Franzosen-Theorie: Tatsächlich hat Kohl erst im Herbst 1991 von seiner ursprünglichen Position Abschied genommen, dass eine Währungsunion nur zusammen mit einer politischen Union kommen könne. Da war die Einheit aber schon vollzogen. Glaubt man Stoiber, dann war der Euro ein Projekt der Selbstfesselung zur Beruhigung der europäischen Nachbarn. Dieser Lesart zufolge wollte Kohl den anderen europäischen Nationen beweisen, dass der deutsche Riese es wirklich ernst meinte mit seinem Versprechen, ein guter Nachbar in ihrer Mitte zu sein, vor dem niemand mehr Angst haben müsse.
Stoiber war einer der ganz wenigen politisch Verantwortlichen, die Bedenken gegen die europäische Währungsunion hatten und diese auch öffentlich äußerten. Er kann sehr anschaulich erzählen, wie er mit seinen Bedenken abgebürstet wurde; wie man ihn zum Europafeind erklärte und zum "DM-Nationalisten", der seinen Blick zu fest auf den Münchner Kirchturm gerichtet habe. Es lohnt sich, diese "Arroganz der Eliten" noch einmal in Erinnerung zu rufen, sie ist ein Teil der Erklärung, warum die Dinge anschließend so gründlich aus dem Lot gerieten. Der Idealismus verträgt Skepsis nur schlecht. Die meisten hochfliegenden Pläne kollidieren mit der Wirklichkeit, wie man aus Erfahrung weiß, deshalb ist es besser, diese möglichst lange außen vor zu lassen.
Kein Kanzler kann das Scheitern des Euro in Kauf nehmen
Es war immer auch eine sehr deutsche Erwartung, in einem geeinten Europa würden die nationalen Interessen in den Hintergrund treten und schließlich ganz an Bedeutung verlieren. Man erkennt in dieser Hoffnung das Erbe der politischen Romantik. Die tiefe Ironie der Euro-Einführung besteht darin, dass ausgerechnet ein Vorhaben, das die Chancen Deutschlands, friedlich mit seinen Nachbarn zu leben, verbessern sollte, längst das Gegenteil bewirkt.
Das Deprimierende an der jetzigen Lage ist, dass ein Ausweg nicht wirklich erkennbar ist, jedenfalls keiner, dessen Kosten man kalkulieren könnte. Die heutigen Euro-Skeptiker träumen von einer Verkleinerung der Euro-Zone, manche sogar von einem Austritt Deutschlands. Aber kein Kanzler kann das Scheitern des Euro in Kauf nehmen, noch nicht einmal den Abfall eines Mitgliedslandes, dazu sind die damit verbundenen Risiken viel zu groß. Das ist, wenn man so will, der Fluch der Realpolitik: Was auf dem Papier funktionieren mag, kann sie nicht ausprobieren, weil die Irrtumstoleranz im Regierungsgeschäft deutlich kleiner ist als im Lehrsaal.
Man kann allerdings verlangen, dass einem die Moralaufrufe erspart bleiben, wenn die Rechnung kommt. Wer den Schaden hat, braucht nicht noch obendrein eine Erweckungspredigt wie jene am Mittwoch.