Jens Spahn auf Reisen Endlich mal Musterschüler

Gesundheitsminister Spahn bei der WHO in Genf
Foto: Thomas Koehler/photothek.de / imago images/photothekDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Als Erstes bedankt sich der Gesundheitsminister für das Mitgefühl. Angesichts der Krise in Deutschland ist es wichtig, zu sehen, dass Europa zusammensteht, sagt Jens Spahn. Er macht eine Pause, blickt zu der Übersetzerin an seiner Seite, die seine Worte ins Slowenische überträgt. Der Gesundheitsminister, der in Sloweniens Hauptstadt Ljubljana gerade seinen Amtskollegen zu einer Konferenz zum Thema Pandemiebekämpfung besucht, spricht nicht von der Krise, die seit eineinhalb Jahren die Welt verändert und sein Ressort auf einmal zu einem der wichtigsten Ministerien der Regierung machte.
Er spricht über das Wetter in seiner Heimat.
Während Spahn unterwegs ist in Genf und Ljubljana, tobt in Nordrhein-Westfalen eine der schwersten Unwetterkatastrophen, die Deutschland bislang erlebt hat . Über 100 Tote hat sie bislang gefordert. Die Katastrophe könnte den Bundestagswahlkampf verändern. Vielleicht verdrängt der Klimawandel die Pandemie als Wahlkampfthema. Bundesinnenminister Horst Seehofer fordert das sogar: eine Neuausrichtung des Wahlkampfes.
Spahn kümmert sich im europäischen Ausland aber lieber erst einmal wieder um das andere Thema. Die Pandemiebekämpfung. Schließlich habe die auch mit dem Klimawandel zu tun, betont Spahn auf der Reise immer wieder. Mit Migration. Eigentlich mit allem.
Vor seiner Ansprache macht Spahn einen Spaziergang mit dem slowenischen Gesundheitsminister durch die Altstadt. Einige Slowenen gucken in den Cafés verwundert von ihrem Frühstück auf, einer fotografiert die beiden Minister mit seinem iPad.
Über Nacht sind die Inzidenzwerte in Deutschland wieder signifikant gestiegen. Spahn beunruhigt das nicht mehr. Er weiß, dass die Werte in den nächsten Monaten wieder steigen werden. Aber durch die steigenden Impfquoten nimmt die Bundesregierung zunehmend Abschied von der Inzidenz und andere Werte in den Blick. Die Hospitalisierungsquoten zum Beispiel. Bei einer Impfquote von über 70 Prozent, meint Spahn, werde Deutschland mit den grundlegenden Schutzmaßnahmen im Winter auskommen. Abstand. Hygiene. Alltagsmasken. Lüften.
Slowenien will Tests kostenpflichtig machen
In Slowenien geht man schon mal an, wie man solche Quoten erreichen kann. Der Gesundheitsminister Janez Poklukar will die Tests hier in den nächsten Tagen kostenpflichtig machen, um die Impfungen zu beschleunigen. Auch Spahn kann sich das vorstellen – aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Dann, wenn alle in Deutschland die Chance hatten, sich zweimal impfen zu lassen. Auch in Slowenien schaut man aufmerksam nach Spanien, Portugal und Großbritannien und wie sich die hohen Inzidenzen gerade auf die Hospitalisierungsraten auswirken. Wie der Herbst aussehen wird, weiß auch hier niemand genau. Die Versuche dafür laufen woanders.
Es ist Spahns erste Reise nach Slowenien und vielleicht seine letzte als Gesundheitsminister. Vor dem Besuch in Ljubljana landete der Regierungsjet in Genf zu einem Treffen mit WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Es sind zwei Tage im Ausland, an denen Spahn viel Lob erfährt, das er sichtlich genießt. In Deutschland rügt man ihn für Masken - und Impfstoffbeschaffung, im europäischen Vergleich stehen die Deutschen da wie die Musterschüler. Vor allem natürlich, weil das Geld fließt.
In Genf unterzeichnet Spahn mit einem breiten Lächeln die Verlängerung des internationalen Programms gegen die Pandemie (ACT-A), mit dem Deutschland der WHO 260 Millionen Euro zur Verfügung stellt. Damit gibt Deutschland unter den Mitgliedstaaten den größten Betrag an die internationale Gesundheitsorganisation. WHO-Chef Tedros ist dankbar: Deutschland habe eine führende Rolle in der Pandemiebekämpfung eingenommen. Die Unterstützung komme zur rechten Zeit. Während ein Teil der Welt denkt, die Pandemie sei bereits vorbei, entwickelten sich Virusvarianten, deren Bekämpfung um einiges schwieriger werde.
Spahn will diese Rolle voll ausfüllen. »Außerdem wird Deutschland wahrscheinlich mehr als die angekündigten 30 Millionen Impfdosen abgeben können«, erklärt er weiter. In den kommenden Monaten erwartet er eine Überversorgung mit Impfstoffen in Deutschland. Zunächst dürfte das vor allem die Vakzine von AstraZeneca betreffen.
Spahn kommt nicht nur mit großen Spenden, sondern auch mit großen Plänen nach Genf. Er will die WHO stärken. Er will einen internationalen »Pandemie-Vertrag« mit größeren Verbindlichkeiten der Staaten zur Zusammenarbeit. Die Welt soll künftig besser auf Pandemien vorbereitet sein. Der Vertrag soll Teil der im November angestrebten WHO-Reform werden.
Es tut gut, mal wieder Gutes ankündigen zu können, so scheint es. »Diese Pandemie ist erst vorbei, wenn sie für die ganze Welt vorbei ist«, wiederholt Spahn einen dieser staatsmännischen Sätze in Genf und Ljubljana. Die Pandemie könne man immer nur »international und gemeinsam« bekämpfen. Er sei einer unter den Gesundheitsministern der 27 EU-Staaten, der sich am längsten im Amt gehalten habe, erwähnt er bei einer Podiumsdiskussion mit Gesundheitsexperten. Es wirkt, als würde er schon einmal Abschied nehmen – und Anlauf für die nächste große Aufgabe.
Patentfreigabe lehnt Spahn weiter ab
Von den wiederholten Fragen nach einer temporären Freigabe der Patentrechte der Impfstoffhersteller lässt sich Spahn die Stimmung dabei nicht vermiesen. »Menschen in Afrika sterben!«, wirft ihm eine Diskussionsteilnehmerin vor. Eine ideologische Debatte, meint Spahn, Hersteller neuer Technologien müssten auch belohnt werden. Und die Firmen kooperierten ja auch: Bis 2022 werde es ein Überangebot an mRNA-Impfstoffen geben, ist sich Spahn sicher.
Auch den Einwurf Tedros', in Deutschland diskutiere man gerade über Auffrischungsimpfungen im Winter, während in anderen Teilen der Welt überhaupt erst das Impfen beginne, pariert er. Ja, das wirke unfair. Trotzdem müsse man ja irgendwo anfangen.
»Deutschland ist aus Überzeugung einer der größten Geldgeber von Covax«, erklärt Spahn weiter in Genf seine Unterstützung für die internationale Impfstoffinitiative. Man gebe das Geld nicht nur aus humanitären Gründen. Sondern auch aus eigenen Interessen. Er meint damit die Entstehung von Virusvarianten und durch Krankheiten bedingte Migration.
Auch in Slowenien schaut man auf zu dem deutschen Gesundheitsminister, der es geschafft hat, mit strikten Coronaregeln die Krankenhäuser vor dem Überlaufen zu bewahren. Im eigenen Land sah das ganz anders aus, erzählt eine Journalistin am Rande einer Pressekonferenz in einem Schloss hoch über der Stadt.
Reiseregeln, Corona-Warn-App, die Gesundheitsminister in der EU hätten alles »in vergleichsweise Rekordzeit miteinander umgesetzt«, erzählt Spahn neben seiner slowenischen Übersetzerin ins Mikro. »Das sind Erfolge, um die uns viele Regionen auf der Welt beneiden«, meint Spahn.
Nun will er mit seinen Partnern der Triopräsidentschaft im Rat der Europäischen Union aus dem Europäischen Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) ein europäisches Robert Koch-Institut machen. Gemeinsame europäische Standards in der Pandemiebekämpfung sollen in den nächsten sechs Monaten beschlossen werden. Für eine Staatengemeinschaft, die sich nicht einmal auf die gleiche Art der Erfassung von Coronainfektionen einigen kann, scheint das ein ehrgeiziges Ziel. Auch darüber, welche Impfstoffe in der EU akzeptiert werden, ist man sich längst nicht einig. Egal.
Spahn sagt, sie wollten nun nicht einfach nur reden darüber, was sie in der Pandemie gelernt haben: »Jetzt heißt es umsetzen.«
Dann steigt Spahn wieder ein in den Flieger nach Deutschland. Dort haben am Nachmittag Staatssekretäre aus seinem und anderen Ministerien über eine neue Einreiseverordnung diskutiert.
Spahn wollte gern eine Testpflicht durchsetzen bei der Einreise nach Deutschland. Egal, ob per Flugzeug oder Auto. Gelten sollte sie für alle, die nicht geimpft sind. Bis zur Landung gab es in der Sache keine Einigung.
Anmerkung: In einer früheren Version des Artikels war von der Triopräsidentschaft des Europarats die Rede. Tatsächlich geht es um den Rat der Europäischen Union. Wir haben die Formulierung korrigiert.