Pflegenotstand im neuen Jahr Spahns größte Baustelle

Tropf im Krankenhaus: 2020 sollen mehrere Gesetzesinitiativen ihre Kraft entfalten
Foto: Fabian Sommer/ dpa20 Gesetze in 20 Monaten - Gesundheitsminister Jens Spahn hat in seiner Zeit im Amt ordentlich Tempo vorgelegt. Vor allem ein Anliegen wurde dabei zum großen Thema der Legislaturperiode: Wie lässt sich der deutsche Pflegenotstand bekämpfen?
Nun geht Spahns Vorhaben in die nächste Runde. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat 2020 zum Jahr der Pflegekräfte und Hebammen erklärt. Ihnen soll besondere Aufmerksamkeit und Anerkennung zuteil werden.
Gemeinsam mit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Familienministerin Franziska Giffey (SPD) hat CDU-Mann Spahn im Rahmen seiner "Konzertierten Aktion Pflege" eine Reihe von Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, die 2020 in Kraft treten oder ihre Wirkung entfalten sollen.
- Seit Beginn des Jahres ist das MDK-Reformgesetz in Kraft: Es soll den Medizinisch technischen Dienst bei der Prüfung der Zustände in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen von der Krankenkasse unabhängig machen.
- Das Gesetz zur Reform der Hebammenausbildung soll Anfang Januar in Kraft treten. Hebammen werden künftig an Hochschulen mit hohem Praxisanteil ausgebildet und schließen mit einem Bachelor ab. Sie werden während der Ausbildung entlohnt.
- Die Ausbildung als Altenpfleger, Gesundheits- oder Krankenpfleger und als Kinderkrankenpfleger laufen aus. Sie werden durch die Generalistikausbildung ersetzt. Künftig erlernen Auszubildende die Pflege aller Altersstufen und erlangen den in der EU anerkannten Abschluss "Pflegefachmann" oder "-frau". Die Ausbildung ist gratis, und muss vergütet werden, auch Lernmittel werden finanziert.
- Durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz soll unter anderem Pflegefachkräften aus dem Ausland die Einreise erleichtert werden. Es tritt im März in Kraft. Spahn will Arbeitskräfte etwa auf dem Balkan oder den Philippinen rekrutieren.
- Seit dem 29.November ist das Gesetz für bessere Löhne in der Pflege in Kraft. Es sieht verbindliche Lohnuntergrenzen beziehungsweise einen Tarifvertrag vor. Einen Tarifvertrag für die Altenpflege sollen nun erstmals die Gewerkschaft Verdi und die neue Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche (BVAP) abschließen.
- Um die Pflege im Krankenhaus zu verbessern, sollen die Personalkosten für die Pflege am Bett jedes einzelnen Krankenhauses ermittelt und von den Kostenträgern bezahlt werden.

Krankenschwester mit Patient
Foto: Westend61/ Getty ImagesDoch was nach einer Menge Reformen klingt, wird teilweise schon seit Jahren vorbereitet. Experten reichen die Schritte nicht aus.
"Eine MeToo-Bewegung in der Pflege"
Anruf bei einem von Deutschlands bekanntesten Pflegeexperten, dem Sozialarbeiter Claus Fussek in Bayern. Seit Jahren klingelt sein Telefon immer dann, wenn es ein Problem beim Thema Pflege gibt. Am Hörer sind dann Kinder pflegebedürftiger Eltern, Pflegekräfte, Heimleiter, Journalisten.
Internationales Jahr der Pflegekräfte? Fussek lacht. "Das Thema interessiert doch niemanden." Die Gesellschaft habe sich an den Pflegenotstand gewöhnt. Was etwas ändern würde? "Eine MeToo-Bewegung in der Pflege." Auf die wartet Fussek bislang vergeblich.
Fussek räumt zwar ein, Spahn habe das Thema von allen Gesundheitsministern "noch am weitesten bewegt". Doch auch dieser Gesundheitsminister verfüge über keine Handhabe für die Verbesserung der Pflege. So werden die Tarife nicht von der Bundesregierung, sondern zwischen der Pflegebranche und der Gewerkschaft Verdi ausgehandelt. Doch das Pflegepersonal ist schlecht organisiert, nur ein Teil wird von der Gewerkschaft vertreten. Es ist deshalb sehr unsicher, ob die Bezahlung sich verbessern wird.
Auch die neue generalistische Ausbildung macht Fussek Sorgen. Was, wenn dann kein Auszubildender mehr in die Altenheime will, sondern alle nur ins Krankenhaus? Ein Argument, das man in der Szene immer wieder hört.

Der Pfleger Alexander Jorde spricht auf dem Parteitag der SPD Baden-Württemberg
Foto: Stefan Puchner/ DPAAuch dem Pfleger Alexander Jorde gehen die Veränderungen nicht schnell genug. 2017 hat er Angela Merkel in der ARD-Wahlarena die Frage gestellt, warum sie nicht eine Personalquote zur Betreuung von Patienten einführe. Sie versprach ihm, dass durch neue Gesetze die Lage in zwei Jahren hoffentlich anders aussehen würde. Mehr als zwei Jahre später sieht Jorde nur wenig Veränderung.
"Es ist jetzt schon so, dass Schwerkranke abgewiesen werden"
Das Thema bekomme zwar mehr Aufmerksamkeit, doch die politischen Maßnahmen seien noch zu klein, um etwas an der Situation zu ändern. "Es ist jetzt schon so, dass Schwerkranke abgewiesen werden, weil nicht genug Pflegepersonal da ist. Es ist jetzt schon so, dass wir eine der Berufsgruppen mit den meisten Krankheitstagen sind", so Jorde. "Es sterben jeden Tag Menschen aufgrund dieses Mangels." Und es werde in den nächsten Jahren noch schlimmer.
Es sei zwar gut, dass durch das Pflegepersonalstärkungsgesetz, das im vergangenen Jahr in Kraft trat, nicht nur medizinische Leistung, sondern auch Pflege für ein Krankenhaus wieder lukrativ ist - denn so müsse nicht mehr am Personal gespart werden. Doch es sei eben schwer die Menschen zurück- oder neu zu gewinnen. Kurzfristig gebe es immer noch zu wenige Initiativen dazu.
Jorde hat es bereits 2017 zur Bundeskanzlerin gesagt, als sie von Verbesserungen in der Pflege innerhalb von zwei Jahren sprach: "Das kann gar nicht funktionieren." Denn es braucht dafür viel Geld und die Bereitschaft der Gesellschaft, es zu bezahlen. Als Merkel kürzlich beim CDU-Parteitag lobte, die Situation der Pflegebedürftigen sei inzwischen besser, wurde Jorde wütend: "Die Strukturen haben sich verändert, aber an der Situation auf den Stationen hat sich nichts geändert."
Von Angela Merkel hat er nichts mehr gehört.