Streit über Diäten-Erhöhung "Gauck kann dem Gesetz keinesfalls seinen Segen geben"

Bundespräsident Gauck (Archivbild): Streit über das Diäten-Gesetz
Foto: Wolfgang Kumm/ dpaBerlin - Die Diäten der Bundestagsabgeordneten sollen kräftig steigen - so sieht es jedenfalls ein Gesetz vor, das Bundespräsident Joachim Gauck zur Unterschrift vorliegt. Doch der weigert sich, das Papier einfach durchzuwinken.
Die Opposition aus Grünen und Linken frohlockt, die Union drängt Gauck zur Unterschrift. Michael Grosse-Brömer, parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, sagte der "Welt am Sonntag": "Der Bundespräsident könnte seine Unterschrift unter das Gesetz nur dann verweigern, wenn es ganz offenkundig verfassungswidrig wäre. Dafür gibt es aber in meinen Augen keinen Anhaltspunkt."
Eigentlich sollte die umstrittene Diätenerhöhung zum 1. Juli greifen. Bei Gauck ist das Gesetz aber erst am 19. Mai eingegangen. "Es ist eine komplexe Angelegenheit, die einer sorgfältigen Prüfung bedarf", so eine Sprecherin.
Was sind Gaucks Bedenken? Was sind die kritischen Punkte im Gesetz? Der Staatsrechtler und Parteienkritiker Hans Herbert von Arnim erklärt im Interview, warum der Präsident das Gesetz seiner Meinung nach nicht unterzeichnen darf.
SPIEGEL ONLINE: Welches sind die Probleme beim Diäten-Gesetz, die den Bundespräsidenten zögern lassen könnten?
Von Arnim: Zwei Punkte in dem Gesetz sind meines Erachtens offensichtlich verfassungswidrig. Besonders schwer wiegt die automatische Erhöhung der Abgeordnetenbezüge ab 2016. Der Gesetzgeber muss bei Entscheidungen in eigener Sache bei jeder einzelnen Maßnahme der öffentlichen Kontrolle unterliegen. Das gilt gerade auch für Diäten.
SPIEGEL ONLINE: Was meinen Sie genau?
Von Arnim: Da darf es keinen Automatismus geben. Jede einzelne Erhöhung muss vielmehr laut Diätenurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1975 gesondert vom Bundestag beschlossen werden, um die öffentliche Kontrolle nicht zu unterlaufen. Der Automatismus muss nach dem neuen Gesetz zwar am Anfang jeder Wahlperiode vom Bundestag bestätigt werden. Das kann die Verfassungswidrigkeit aber nicht heilen. Denn jährliche automatische "Anpassungen" an die Steigerungsrate der Brutto-Nominallöhne erfolgen dann über die ganze Wahlperiode, also vier Jahre lang, beziehungsweise im aktuellen Fall 2016 und 2017.
SPIEGEL ONLINE: Wo liegt der zweite kritische Punkt?
Von Arnim: Das Gesetz sieht zudem vor, dass auch Ausschussvorsitzende zusätzliche Funktionszulagen bekommen. Das ist aber laut ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht zulässig.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht Gauck jetzt weiter vor?
Von Arnim: Gauck ist die letzte Instanz, die das Gesetz noch passieren muss. Wenn er es abnickt, können Bürger wie Sie und ich oder außerparlamentarische Parteien nicht vor dem Bundesverfassungsgericht klagen. Und Bundestagsabgeordnete selbst oder die Regierung werden es vermutlich nicht tun. Das wird die Prüfungsdichte, also die Tiefe und Intensität der Prüfung, durch den Präsidenten erhöhen. Wenn die Klagebefugten nicht klagen wollen, die zur Klage Bereiten aber nicht klagen können, ist die Verantwortung des Präsidenten besonders hoch, ein mehrfach verfassungswidriges Gesetz zu verhindern. Für Gauck arbeiten nun Gutachter, er wird sich beim Innen- und Justizministerium erkundigen, Staatsrechtler werden das Gesetz für ihn prüfen. Einen einschlägigen Aufsatz aus meiner Feder hat er schon seit Längerem vorliegen.
SPIEGEL ONLINE: Warum hat es so lange gedauert, bis Gauck das Gesetz vorgelegt bekam? Schließlich wurde es am 21. Februar beschlossen, aber erst am 19. Mai kam es beim Bundespräsidenten an.
Von Arnim: Die Vermutung liegt nicht ganz fern, dass die Regierung mit ihrer stark verzögerten Übersendung des Gesetzes an den Präsidenten auch eine Hinhaltetaktik verfolgte, um eine öffentliche Diskussion der Diätennovelle vor der EU-Wahl zu vermeiden. Denn die Erhöhung der Diäten um 830 Euro zum 1. Juli 2014 und zum 1. Januar 2015 käme nicht nur allen Bundestagsabgeordneten zugute. Sondern auch denjenigen EU-Abgeordneten, die 2009 für die Fortgeltung des deutschen Abgeordnetengesetzes optiert hatten. Dazu gehört auch Martin Schulz.
SPIEGEL ONLINE: Gauck könnte dem Gesetz die Zustimmung verweigern.
Von Arnim: Ja, das Recht und die Pflicht hat er, wenn er das Gesetz für verfassungswidrig hält. Das hat zum Beispiel Horst Köhler auch wiederholt getan. Gauck hat die gesteigerte Verantwortung zu verhindern, dass ein mehrfach verfassungswidriges Gesetz über viele Jahre Bestand hat.
SPIEGEL ONLINE: Welches Ergebnis dieser Prüfung erwarten Sie?
Von Arnim: Ich meine, er kann diesem Gesetz keinesfalls seinen Segen geben. Gauck hat durchaus auch Statur genug, um einen Konflikt mit den Regierungsfraktionen zu riskieren. Der Bundespräsident kann hier ein Zeichen als Bürgerpräsident setzen. Er muss es sogar. Gauck hat gegenüber dem Bürger die Verantwortung für die Verfassungsmäßigkeit der von ihm unterschriebenen Gesetze.
SPIEGEL ONLINE: Was passiert, wenn Gauck das Gesetz ablehnt?
Von Arnim: Dann ist es "gestorben" und kann nicht in Kraft treten. Allerdings haben der Bundestag und auch die Bundesregierung theoretisch die Möglichkeit, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Bundespräsidenten mit der Behauptung zu klagen, das Gesetz sei doch verfassungskonform und der Präsident habe mit der Nichtunterzeichnung eine Pflichtverletzung begangen. Das halte ich persönlich aber für ganz unwahrscheinlich.