Joschka Fischer im Interview "Die Amerikaner hatten kein Verdun"

Ziehen die Amerikaner nach dem Irak-Krieg gegen andere Nationen los? Der deutsche Außenminister Joschka Fischer hielte eine solche Serie neuer "Abrüstungskriege" für verhängnisvoll. Im SPIEGEL-Gespräch kritisiert er den amerikanischen Umgang mit der Uno - und ruft Europas Politiker auf, endlich ein Gegengewicht zu bilden.

Hamburg/Berlin - Unter dem Eindruck des Krieges im Irak warnte Fischer davor, Demokratie und Abrüstung auch künftig mittels militärischer Gewalt durchzusetzen. "Ich kann und will mir nicht vorstellen, dass wir vor einer Serie von Abrüstungskriegen stehen", sagte Fischer in einem SPIEGEL-Gespräch. Er forderte, Instrumente für friedliche Lösungen den Vorzug zu geben und Möglichkeiten der Uno fortzuentwickeln.

"Es darf nicht sein, dass wir am Ende nur noch die Alternative haben, entweder eine furchtbare Gefahr bestehen zu lassen oder aber in einen Abrüstungskrieg getrieben zu werden." Der Außenminister kritisierte, dass Amerika sich nicht den Regelwerken der internationalen Ordnung unterwerfe.

"Einsatz der militärischen Potenz"

Zwar sei die "Macht der USA für Frieden und Stabilität in der Welt ein ganz entscheidender Faktor", räumte Fischer ein. "Doch eine Weltordnung kann nicht funktionieren, in der das nationale Interesse der mächtigsten Macht das Definitionskriterium für den Einsatz der militärischen Potenz dieses Landes ist." In der Welt müssten "die gleichen Regeln für die Großen, die Mittleren und die Kleinen gelten".

Eine Alternative zu den Vereinten Nationen und dem Weltsicherheitsrat sieht Fischer derzeit nicht, eine Rolle Amerikas als alleiniger Weltpolizist lehnte er ab. Zwar sei die militärische Macht der Amerikaner unerreicht. Politisch aber würden sie schnell an ihre Grenzen kommen, wenn sie die Interessen der anderen Mitglieder der Staatengemeinschaft nicht beachteten.

"Hat nichts mit Feigheit und Schwärmerei zu tun"

Es habe in der Irak-Frage keinen "echten transatlantischen Dialog" gegeben, bedauerte Fischer. Dies sei indes nicht allein Schuld der Amerikaner, sondern auch dadurch begründet, dass die Europäer zu spät in die strategische Diskussion eingeschaltet hätten. Die Europäische Union müsse die Konsequenzen daraus ziehen, stärkere Institutionen aufbauen und einen starken europäischen Außenminister bestimmen.

Scharfe Kritik übte Fischer an den Ideen führender Neokonservativer aus den USA. So sei die Theorie des Politologen Robert Kagan "bizarr", wonach Europäer von der Venus stammen - Träumereien vom ewigen Frieden anhängen, während Amerikaner vom Mars kämen und die harten Realitäten der Weltpolitik akzeptierten. Wer Europa kenne, wisse, dass der Kontinent im Gegenteil Jahrhunderte lang Metzeleien erlitten habe.

"Zeichen demokratischer Reife"

Wenn man nun den Anspruch vertrete, Konflikte friedlich zu lösen, habe das nichts mit Feigheit oder Schwärmerei zu tun." Amerika hingegen habe viel weniger katastrophale Krieg erlitten als Europa. "Die Amerikaner hatten kein Verdun auf ihrem Kontinent. In den USA gibt es nichts mit Auschwitz oder Stalingrad Vergleichbares".

Fischer rechtfertigte die frühe Festlegung der Bundesregierung gegen einen Irak- Krieg. Regierungen wie die Großbritanniens und Spaniens, die eng an der Seite der USA stehen, hätten heute wegen der Gegnerschaft in der Bevölkerung "so große Probleme, dass es teilweise an die Grenze der demokratischen Destabilisierung" gehe. Die Bereitschaft, "in existenziellen Grundsatzfragen durchaus auch gegenüber befreundeten Regierungen" anderer Meinung zu sein, nannte er dagegen ein "Zeichen demokratischer Reife".

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