Nach Festnahme in Berlin Al-Jazeera-Journalist Mansour kommt frei

Nach Festnahme in Berlin: Al-Jazeera-Journalist Mansour kommt frei
Foto: Hbf/ dpaDer prominente regierungskritische Journalist Ahmed Mansour entgeht der Auslieferung nach Ägypten, wo er die Todesstrafe fürchten muss. Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft entschied, einem Rechtshilfeersuchen Ägyptens nicht nachzukommen. Das bestätigte der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft, Martin Steltner, am Montag SPIEGEL ONLINE. "Im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit des Auslieferungsverfahrens ergaben sich neben den rechtlichen Aspekten nicht ausschließbare politisch-diplomatische Bedenken."
Deswegen habe der Generalstaatsanwalt nach Abstimmung mit den zuständigen Bundesbehörden die Entlassung Mansours aus der Auslieferungshaft angeordnet, erklärte Steltner.
Der Al-Jazeera-Journalist war am Samstag auf dem Flughafen Berlin-Tegel festgenommen worden, als er nach Doha fliegen wollte. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft lag gegen ihn ein ägyptischer Haftbefehl vor.
Die Berliner Generalstaatsanwaltschaft hatte zuvor erklärt, "unverzüglich" über den Fall zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft musste darüber befinden, ob sie die Freilassung oder Auslieferung beantragt. Ob gegen den prominenten Journalisten Auslieferungshaft verhängt wird, hätte dann das Kammergericht entscheiden müssen.
Warum geriet Mansour auf die deutsche Fahndungsliste?
Mansour war in der vergangenen Woche nach Deutschland gekommen, um hier seine wöchentliche TV-Sendung "Bi La Hudud" ("Ohne Grenzen") live auszustrahlen. Sein Interviewpartner war Guido Steinberg, einer der besten Kenner des radikalen Islamismus und Mitarbeiter der renommierten, von der Bundesregierung finanzierten Stiftung für Wissenschaft und Politik (SWP). Am Samstagnachmittag war Mansour dann von der Bundespolizei in Tegel festgenommen worden, als er nach Katar zurückfliegen wollte, dem Sitz des TV-Senders Al Jazeera. Am Sonntag hatte ein Haftrichter eine "Festnahmeanordnung" erlassen, Mansour wurde in der Justizvollzugsanstalt Moabit in vorläufigen Auslieferungsgewahrsam genommen.
Sein Fall wurde schnell zum Politikum. Medien weltweit berichteten darüber. Warum aber konnte Mansour in Deutschland überhaupt festgenommen werden? Die ägyptische Seite war seit längerem bestrebt, Mansour habhaft zu werden. Im Oktober 2014 gab es ein von Interpol verbreitetes Fahndungsersuchen, das wie in solchen Fällen üblich auch an das Bundeskriminalamt weitergeleitet wurde. Um jedoch auf die sogenannte deutsche Inpol-Liste - das elektronische Informationssystem der Polizei - zu kommen, müssen das Auswärtige Amt und das Bundesamt für Justiz keine Bedenken erheben.
Das Bundeskriminalamt leitete die Meldung weiter, in der Regel schaltet sich das Bundesamt für Justiz, das als Behörde im Bereich des Bundesjustizministeriums für internationale Rechtsersuchen zuständig ist, in solchen Fällen mit dem Auswärtigen Amt kurz.
Eine Liste des Bundesinnenministeriums über den Ablauf
Der Ablauf, wie sie das Bundesinnenministerium noch am Montag schriftlich auch SPIEGEL ONLINE mitteilte, wirft einige Fragen auf:
- Am 2. Oktober 2014 hatten demnach die ägyptischen Behörden aufgrund eines nationalen Haftbefehls der ägyptischen Generalstaatsanwaltschaft vom 27. November 2013 die Fahndung nach Mansour weltweit über den Interpol-Kanal mittels einer sogenannten Rotecke ("red notice") herausgeben. Auch das BKA sei informiert worden.
- Interpol habe daraufhin am 20. Oktober einen Verstoß gegen Artikel 3 der Interpol-Statuten - das unter anderem ein Verbot der politischen Verfolgung unter Nutzung der Instrumentarien von Interpol vorsieht - festgestellt und dies allen Interpol-Mitgliedern und damit auch dem BKA mitgeteilt, heißt es weiter.
- Am 13. November 2014 habe dann das BKA die sogenannte Rotecke und die Artikel 3-Mitteilung dem Bundesamt für Justiz und dem Auswärtigen Amt vorgelegt. Hintergrund sei die "politische Bedeutung" des Falles gewesen, zu entscheiden war nach den Richtlinien für den Verkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten über eine nationale Umsetzung der Fahndung.
- Nach Angaben des Bundesinnenministerium gab es am 27. Januar 2015 eine Mitteilung des Bundesamtes für Justiz und des Auswärtigen Amtes, wonach gegen eine nationale Ausschreibung zur Festnahme "keine Bedenken" bestünden. Daraufhin sei am gleichen Tag die nationale Festnahmeausschreibung im Inpol durch das BKA erfolgt.
- Am 2. Juni 2015 habe das BKA eine erneute Fahndungsausschreibung nach Mansour an das Bundesamt für Justiz und das Auswärtige Amt weitergeleitet, die vom 18. Mai desselben Jahres datierte. Dabei sei auch die erneute Artikel 3-Mitteilung von Interpol vom 29. Mai an das Bundesamt für Justiz und das Auswärtige Amt weitergeleitet worden, so die schriftliche Fixierung des Bundesinnenministeriums.
Warum sowohl vom Bundesamt für Justiz als auch vom Auswärtigen Amt keine Bedenken gegen die Aufnahme Mansours in die Inpol-Liste erhoben wurden (trotz der vorliegenden Verstoß-Meldungen von Interpol), ist bislang eine offene Frage. Aus Regierungskreisen hieß es dazu gegenüber SPIEGEL ONLINE, der Vorgang sei "dumm gelaufen". Eine bewusste Absicht steckt offenbar nicht dahinter, sondern womöglich Unkenntnis der damit beauftragten Behördenmitarbeiter.
Verbalnote der ägyptischen Botschaft
Die ägyptische Botschaft hatte noch am Sonntag eine Verbalnote an das Auswärtige Amt übergeben, in dem die Vorwürfe gegen Mansour untermauert wurden. Ein Gericht in Ägypten hatte ihn 2014 in Abwesenheit zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt, weil er 2011 während der Proteste gegen den damaligen Machthaber Husni Mubarak in Kairo an der Folter eines Anwalts beteiligt gewesen sein soll.
Die Vorwürfe, die Ägypten gegen Mansour erhebt, lesen sich wie ein Sammelsurium schwerster Straftaten: Entführung, Folter und Vergewaltigung. Der Journalist hat die Vorwürfe stets bestritten. Möglicherweise ist Mansour, so die Lesart in Berlin, Opfer in einem seit Längerem andauernden Kampf zwischen der ägyptischen Führung um Abdel Fatah el-Sisi und dem von Katar finanzierten Sender Al Jazeera geworden. Der Emir von Katar gilt als Unterstützer der von el-Sisi von der Macht vertriebenen und mittlerweile verbotenen Muslimbruderschaft. Ahmed Mansour hatte - das ist bekannt- aus seiner Sympathie für die ägyptische Muslimbruderschaft keinen Hehl gemacht.
Wie auch immer: Den Schaden hat die Bundesrepublik, die mit der Festnahme plötzlich in den Verdacht geriet, sich zum Handlanger des ägyptischen Staates zu machen. Dies, obwohl die Bundesregierung wiederholt die Todesurteile gegen Anhänger der Muslimbruderschaft kritisiert hat.
Am Wochenende kursierten in arabischen Medien Berichte, die darüber spekulierten, die drohende Auslieferung Mansours sei ein Ergebnis des Besuchs des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah el-Sisi bei Kanzlerin Angela Merkel. Mit seinem fast 48-Stunden langen Gewahrsam in der Justizvollzugsanstalt Moabit wurde der Al Jazeera-Journalist zu einer Art Held der Muslimbruderschaft, die auch unter Ägyptern in Deutschland zahlreiche Anhänger hat. Bei einer Solidaritätsdemonstration am Wochenende vor dem Amtsgericht Tiergarten wurden von Ägyptern Plakate hochgehalten, auf denen auch an die 2013 erfolgte Entmachtung des demokratisch gewählten Präsidenten Mohamed Morsi erinnert wurde.
Der SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE benutzen im Fall des gestürzten ägyptischen Präsidenten die Schreibweise Mohamed Morsi. Andere Schreibweisen lauten auf "Mursi".