Neue AfD-Gruppierung Rechts, deutsch, jüdisch

Jüdischer Mann vor der Synagoge in Erfurt
Foto: Bodo Schackow/ dpaWer als Journalist mit Dimitri Schulz sprechen will, hat gerade keinen Erfolg. Das ist erstaunlich. Bis vor Kurzem trat der AfD-Politiker als eine Art Sprecher auf - für eine Vereinigung, die als "jüdische Bundesvereinigung" innerhalb der AfD firmiert.
Bereits vor ihrer Gründung, die an diesem Sonntag in Wiesbaden stattfinden soll, sorgt die Initiative für Wirbel in den Medien und bei deutschen Juden. Mehrere jüdische Verbände, auch der Zentralrat der Juden in Deutschland, haben sich indirekt in einer Erklärung dagegen gewandt: Anders als von AfD-Politikerin behauptet, sei die AfD nicht der Garant jüdischen Lebens. Sie sei vielmehr eine "rassistische und antisemitische Partei" und ein "Fall für den Verfassungsschutz".
Die frühere Präsidentin des Zentralrats, Charlotte Knobloch, sagt im Interview mit dem SPIEGEL , jüdische Mitglieder seien keine Gewähr gegen antisemitische Tendenzen: "Die schiere Anwesenheit von Juden ist jedenfalls nicht genug - und eine Gruppe wie die sogenannten Juden in der AfD ist kein Beweis für die Abwesenheit von Antisemitismus."
"Juden in der AfD", wie sich die Initiative noch kürzlich in einer Grundsatzerklärung bezeichnete - das klingt wie ein offener Widerspruch. Zumal in einer Partei, in der der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke das Holocaust Mahnmal in Berlin einst als "Denkmal der Schande" bezeichnete.
Schulz würde man dazu jetzt gerne fragen. Aber der AfD-Stadtverordnete aus Wiesbaden und hessische AfD-Landtagskandidat ist nicht zu sprechen, zumindest für den SPIEGEL. Im "Wiesbadener Kurier" waren zuletzt Zweifel geäußert worden, ob Schulz tatsächlich Jude sei. Der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden in Hessen, Jakob Gutmark, sagte dem Blatt, er habe von Schulz selbst nicht gehört, dass er Jude sei. Auch nicht, als der AfD-Mann das erste und einzige Mal bei ihm in der Gemeinde gewesen sei.

AfD-Kundgebung in Rostock
Foto: Christian Charisius/ dpaTatsächlich hat Schulz, 1987 in der Sowjetunion geboren, in seiner Bewerbungsrede für die hessische AfD-Landtagskandidatur erklärt, er sei in einer "christlich-jüdischen Großfamilie" aufgewachsen und kandidiere als "Vertreter der Deutschen aus Russland, als Vertreter der freikirchlichen Gemeinden gläubiger Christen und Juden". Anzuschauen ist das auf YouTube, wo Schulz vom "links-grünen Schuldkult" spricht, von einer "vermeintlich deutschen Kanzlerin" und darüber, dass die positiven Seiten der deutschen Geschichte "bei weitem das Negative überragen".
Wolfgang Fuhl ist einer der Mitinitiatoren
An diesem Sonntag soll die jüdische Bundesvereinigung in der AfD in einer Pressekonferenz im "Bürgerhaus Erbenheim" in Wiesbaden vorgestellt werden. Das geschieht zu einem Zeitpunkt, da in der Öffentlichkeit verstärkt darüber diskutiert wird, ob die AfD nach den Vorfällen in Chemnitz nicht vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachten werden sollte. Ist das ein Zufall? Zumindest verschafft sich die Hessen-AfD damit Aufmerksamkeit, drei Wochen vor der Landtagswahl. Zur Gründungsveranstaltung haben sich aus dem AfD-Bundesvorstand Beatrix von Storch und Joachim Kuhs angesagt, letzterer Vorsitzender der konservativen Bundesvereinigung "Christen in der AfD".
Neben Schulz gilt Wolfgang Fuhl als Sprachrohr der jüdischen AfD-Initiative. Er ist bereit, sich in einer Mail einigen Fragen zu stellen. Der AfD-Politiker war früher Vorsitzender im Oberrat der Israelitischen Religionsgemeinschaft in Baden, die mehreren jüdischen Gemeinden vorsteht. Heute ist er AfD-Kreisvorsitzender in Lörrach.
Er rechne mit 20 Gründungsmitgliedern, schreibt er dem SPIEGEL und verteidigt die Initiative: "Einzelne antisemitische Ausfälle können nicht einer 30.000 Mitglieder großen Partei angelastet werden." Zur Mitgliedschaft des Parteimitglieds Wolfgang Gedeon - einen Ausschlussantrag wegen Antisemitismusvorwürfen hatte das baden-württembergische AfD-Landesschiedsgericht im Januar abgelehnt - antwortet Fuhl: "Ich würde ihn lieber außerhalb der Partei sehen."
Rechtsaußen Höcke hingegen verteidigt er, dieser habe sich für seine Rede zum Holocaust-Mahnmal entschuldigt: "Die Medien haben dies wohl nicht wahrgenommen. Menschen können Fehler machen, wenn sie dies einsehen, dann sollte man dies auch akzeptieren können." Höcke wiederum hatte jüngst in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, er begrüße die Gründung, "Vielfalt" sei die Stärke der AfD.
Ist das eine Alibi-Organisation?
Juden in der AfD: Das ist ein Thema, das eng mit der Zuwanderungsfrage verknüpft ist. Im Februar hatte die AfD-Bundestagsfraktion zu einer Veranstaltung eingeladen, um den "wachsenden Antisemitismus auch im Zusammenhang mit islamischer Migration" zu thematisieren, wie es in einer Einladung hieß.

AfD-Politiker Björn Höcke
Foto: Christian Charisius/ dpaDie Frage, die mit der Gründung der jüdischen Bundesvereinigung in der AfD auftaucht: Ist sie eine Alibi-Organisation? Oder sollen insbesondere konservative russische Juden gewonnen werden, die einst als sogenannte jüdische Kontingentflüchtlinge aus der früheren Sowjetunion nach Deutschland kamen? Unter Russlanddeutschen hat die AfD bereits viele Wähler gewinnen können.
Mit-Initiator Dimitri Schulz , der einst auch die "Interessengemeinschaft der Russlanddeutschen in der AfD" mitgegründet hat - verlinkte jüngst auf seiner Facebook-Seite auf einen Artikel der "Jüdischen Rundschau". Deren Chefredakteur Rafael Korenzecher wiederum arbeitet sich in seinen Artikeln seit geraumer Zeit an der Zuwanderungspolitik von Kanzlerin Angela Merkel ab. Das Blatt versteht sich als Widerpart zur liberalen Zeitung "Jüdische Allgemeine", die vom Zentralrat der Juden in Deutschland herausgegeben wird.
Die Grundsatzerklärung spart einiges aus
Es ist daher wohl kein Zufall, dass die "Jüdische Rundschau" lobend in der zweiseitigen "Grundsatzerklärung Juden in der AfD" erwähnt wird, die dem SPIEGEL vorliegt. Die "einzig unabhängige Zeitung" zeuge vom "Gesinnungswandel innerhalb der jüdischen Gemeinden", heißt es dort. Der Wandel wird am muslimischen Antisemitismus festgemacht: Beinahe "jeder Jude" in Deutschland, wird dort ohne Zahlenangaben behauptet, habe "zumindest aus seinem Bekanntenkreis" von "Drangsalierungen und womöglich sogar Schlimmeren" durch "muslimische Jugendliche" erfahren.
Die offizielle Statistik für das Jahr 2017 kann diese Sicht nicht belegen: Demnach wurden laut Polizei 1435 antisemitische Delikte verübt, die überwiegende Zahl von rechtsextremen oder zumindest "diffus rechts motivierten" Tätern, 25 hingegen von "religiös motivierten" Antisemiten, meist muslimischen Fanatikern ausländischer sowie deutscher Herkunft.
Kein Wort findet sich in der Grundsatzerklärung zum Umstand, dass die AfD das "betäubungslose Schächten", das in der muslimischen und jüdischen Religion eine tragende Rolle spielt, verbieten lassen will. Das Schächten war als antisemitische Stereotype in Deutschland von den Nazis im Rahmen ihrer Kampagnen zum Tierschutz genutzt worden.
Erinnerungen an die Weimarer Republik
Im Papier heißt es zwar, dass man "einzelne tatsächliche Antisemiten" in der AfD nicht leugne, doch würde deren Einfluss in der öffentlichen Wahrnehmung "maßlos überschätzt". Kernelement ist die Abgrenzung zum Islam: Die AfD sei die "einzige Partei", die auch den "muslimischen Judenhass" thematisiere, "ohne diesen zu verharmlosen, zumal er unstrittig und untrennbar mit der Entstehung des Islam" verbunden sei.
Die neue Vereinigung von Juden in der AfD erinnert an eine Organisation aus der Weimarer Republik - an den 1921 gegründeten und 1935 von den Nazis verbotenen "Verband nationaldeutscher Juden". Dieser Verband hatte in seiner Satzung geschrieben, er bekämpfe alle Äußerungen und Betätigungen undeutschen Geistes, "mögen sie von Juden oder Nichtjuden ausgehen, die das Wiedererstarken deutscher Volkskraft, deutscher Rechtlichkeit und deutschen Selbstgefühls beeinträchtigen und damit den Wiederaufstieg Deutschlands zu einer geachteten Stellung in der Welt gefährden".
Im Grundsatzpapier der "Juden in der AfD" findet sich eine Passage, die wie eine abgeschwächte Kopie klingt . "Wir sehen in dem Wunsch der AfD", dass Deutschland wieder eine "selbstbewusste Nation werden möge, durchaus keinen Widerspruch zu jüdischen Interessen".