Bildung »Ein Schlag ins Gesicht«

SPIEGEL: Immer wieder erreichen uns Hiobsbotschaften aus den Schulen: Ein Teil der Viertklässlerinnen und Viertklässler kann nicht richtig schreiben und lesen. Ein wissenschaftliches Gremium befand, Grundschulen kommen ihrem Bildungsauftrag nicht nach.
Brandmann: Diese Ergebnisse sind ein Schlag ins Gesicht für jeden, der in den letzten Jahren in der Bildungspolitik Verantwortung getragen hat. Mich wundern sie nicht: Ständig fällt Unterricht aus, weil Lehrkräfte fehlen. Wer oft Schulen besucht, sieht, wie marode und ungepflegt viele Gebäude sind. Wenn Büros so aussehen würden, gingen viele Erwachsene auf die Barrikaden. Im Gegensatz zu ihnen können Kinder aber nicht kündigen. Es gibt Jugendliche, die trauen sich in der Schule nicht zur Toilette. Sie fühlen sich von der Politik vergessen – und ich finde: Sie fühlen das zu Recht.

Der verlorene Prinz
In einer beispiellosen Medienkampagne überzieht Prinz Harry das Haus Windsor mit Vorwürfen. Seine Angriffe treffen das britische Königshaus in schwieriger Zeit: Das Land ist in der Wirtschaftskrise tief gespalten – und die königliche Familie demontiert sich vor den Augen der ganzen Welt.
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SPIEGEL: Im Wahlkampf versprechen Parteien regelmäßig, die Bildung voranzubringen. Ihre Partei, die FDP, nennt »weltbeste Bildung für jeden« als ein zentrales Ziel ihrer Politik. Warum passiert so wenig?
Brandmann: Kinder sind unsere Zukunft, das klingt immer gut. Leider übersetzen sich die Ankündigungen zu selten und zu langsam in konkrete Veränderungen. Das betrifft alle Parteien, auch meine eigene.
SPIEGEL: Woran liegt das?
Brandmann: Das Wirrwarr an Zuständigkeiten in der Bildungspolitik ist die Wurzel des Problems. Die zahlreichen Akteure und Ebenen schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu, Bund, Länder und Kommunen. Den Schulkindern und Eltern ist aber völlig egal, wer zuständig ist. Sie wollen sehen, dass jemand etwas ändert.
SPIEGEL: Jemand?
Brandmann: Es ist doch auffällig, dass alle dieselben Probleme haben. Der Lehrermangel ist ein Beispiel. Es ergibt keinen Sinn, dass jedes Land eine eigene Lösung bastelt und alle sich gegenseitig Lehrkräfte abjagen. Der Bund sollte die Expertise bündeln und sich um eine übergeordnete Lösung kümmern.
SPIEGEL: Sie wollen den Bildungsföderalismus abschaffen.
Brandmann: Es spricht nichts dagegen, dass die Länder gewisse Aufgaben behalten, etwa Lehrpläne mitgestalten. Aber die Kultusministerinnen und Kultusminister müssen sich eingestehen, dass sie in zentralen Fragen keine Antworten haben. Die KMK hat ihre Aufgaben in den letzten Jahren nicht erfüllt. Wenn sie keine Vorschläge hat, wie sich der Trend umkehren lässt – welchen Sinn hat die KMK dann noch?
SPIEGEL: Was schlagen Sie vor?
Brandmann: Wir sollten uns jede Aufgabe einzeln vornehmen und überlegen, wer sie am besten erfüllen kann. Wir brauchen ein echtes Kooperationsgebot. Der Bund soll nicht nur stärker investieren, sondern auch Mindeststandards und -maßnahmen bestimmen dürfen. Neben einem bundesweiten Sanierungs- und Schulbauprogramm könnte er auch Maßnahmen gegen den Lehrermangel auf den Weg bringen. Wichtig ist, dass es weniger gemeinsame Zuständigkeiten gibt – das funktioniert offensichtlich nicht.
SPIEGEL: Verfechter des Bildungsföderalismus sagen, dass er einen Wettbewerb um das beste Schulsystem ermöglicht.
Brandmann: Was soll das Ziel dieses Wettbewerbs sein? Ein Kind hat keine Wahl, ob es lieber in Hessen oder Mecklenburg-Vorpommern zur Schule gehen möchte, weil das System dort besser zu ihm passt. Ich fände es sinnvoller, wenn Schulen mehr Freiheiten hätten und untereinander in einen echten Wettbewerb treten könnten. Wenn sie Profile herausbilden und Kinder sich entscheiden können, welche Schule für sie das beste Angebot bietet.