
Jusos gegen GroKo Die SPD braucht dieses Jugendbeben


Corbyn-Unterstützer beim Glastonbury-Festival
Foto: DYLAN MARTINEZ/ REUTERSDie Stimmung im Land war euphorisch. Junge Leute trugen T-Shirts mit dem Namen des Parteivorsitzenden im Stil des "Superman"-Logos. Auf den Jutebeuteln der Großstädter prangte das Motto des Wahlprogramms. Beim größten Musikfestival des Landes grölten die Besucher ausgelassen den Namen des Parteivorsitzenden nach der Melodie von "Seven Nation Army".
Bei Neuwahlen hatte die Partei, die durch den massenhaften Eintritt neuer Mitglieder zuvor einen Linksruck erfahren hatte, entgegen aller Prognosen ein sensationelles Ergebnis erzielt. Eine wackelige Regierungskoalition ließ sie aber lieber die anderen bilden; sie selbst war stark genug, um die Politik des Landes aus der Opposition heraus zu beeinflussen.
Das ist kein Bericht aus der Zukunft der SPD, sondern aus der jüngsten Vergangenheit der britischen Labour-Partei. An deren Erfolgsgeschichte orientieren sich zurzeit viele in der deutschen Politik: Die Jusos zum Beispiel, die mit ihrem Aufruf zum Parteieintritt, um die Große Koalition doch noch zu verhindern, eine Strategie linker Labour-Sympathisanten übernehmen.
Nachdem Labour bei den Parlamentswahlen 2015 krachend verloren hatte und der Parteivorsitzende Ed Milliband zurückgetreten war, gab es im Vorfeld der Urabstimmung über den nächsten Vorsitzenden einen sprunghaften Anstieg bei den Mitgliedschaften. Am Ende waren mehr als doppelt so viel Menschen wie zuvor abstimmungsberechtigt - und sie wählten mit überwältigender Mehrheit Jeremy Corbyn, den am weitesten links positionierten unter den vier Kandidaten. Ein unvorstellbarer Kantersieg, denn zuvor war es Corbyn nur denkbar knapp gelungen, die nötige Zahl an Parlamentsabgeordneten zur Unterstützung seiner Kandidatur aufzubringen.
"Youthquake" wurde in Großbritannien zum Wort des Jahres
Trotz Corbyns überzeugendem Sieg stellte das Parteiestablishment seinen Führungsanspruch in Frage: Kaum ein Jahr im Amt kam es zu einer Kampfabstimmung. Statt zu verlieren, baute Corbyn seinen Stimmanteil jedoch weiter aus. Zweifel an seiner Fähigkeit, einen nennenswerten Teil der Wählerschaft zu mobilisieren, blieben dennoch. Am 8. Juni 2017 waren auch diese hinfällig: Bei den von Premierministerin Theresa May aus strategischen Gründen ausgerufenen Neuwahlen zog Labour fast mit den regierenden Tories gleich und kam auf 40 Prozent der Stimmen - ein Zuwachs von rund zehn Prozentpunkten, der sich in einen Gewinn von über 30 Sitzen im Parlament übersetzte.
Noch beeindruckender waren die Zahlen unter den jungen Wählerinnen und Wählern: Hier betrug der Vorsprung von Labour gegenüber den Tories bis zu 35 Prozent - daher die T-Shirts, Jutebeutel und Jubelgesänge. "Youthquake" (Jugendbeben) wurde in Großbritannien zum Wort des Jahres gewählt. In Deutschland war es "Jamaika-Aus".
In Zeiten von Brexit kann die SPD, zugegeben, nur bedingt etwas von ihrem britischen Pendant lernen - nicht zuletzt aber auch deshalb, weil es kaum mehr "altlinke" Recken wie Corbyn in den Reihen der deutschen Sozialdemokraten gibt. Aber die Vehemenz, mit der die SPD-Führung alle Erneuerungen bekämpft, die bei ihrer britischen Schwesterpartei so erkennbaren Erfolg hatten, ist bemerkenswert. Nicht nur steuert die Parteiführung gerade dagegen an, dass alle von den Jusos neu angeworbenen Mitglieder auch über eine mögliche Regierungsbeteiligung abstimmen können. Sie hat zuvor auch Sahra Wagenknechts Forderung nach einer linken Sammelbewegung eine rigorose Abfuhr erteilt.
Lossagung vom neoliberalen Projekt der "neuen Mitte"
Genau so eine Sammelbewegung war es aber, die Labours sensationelles Abschneiden bei den vergangenen Wahlen mit ermöglicht hat: Sie heißt "Momentum", was sich am besten mit Lauf (im Sinne von "hat einen Lauf") übersetzen lässt. 2015 in der Folge von Corbyns Gewinn des Parteivorsitzes entstanden, ist "Momentum" zu einem Netzwerk mit 31.000 Mitgliedern und 170 Ortsgruppen angewachsen. Mit Hilfe dieses alternativen - und jungen! - Parteiapparats konnte Labour seinen Wahlkampf 2017 viel breiter aufstellen und mehr Leute erreichen.
Der wichtigste Schritt, den Labour unter Corbyn vollzogen hat, ist allerdings ein anderer: Die Partei hat sich vom neoliberalen Projekt der "neuen Mitte" losgesagt. Ein schmerzhafter und von harten Grabenkämpfen begleiteter, letztlich aber alternativloser Prozess. Erst als die Verbindungen zu "New Labour" und dessen Erfinder Tony Blair gekappt waren, konnte sich die Partei glaubhaft als neu wählbar präsentieren.
Wie weit die SPD von so einer Erneuerung entfernt ist, zeigte sich im Sommer 2017. Während Großbritannien von Corbynmania erfasst war, ließ sich Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten küren. Auf der Bühne mit ihm: Gerhard Schröder.
Solange die SPD immer noch an Ideen und Personal der "neuen Mitte" festhält, wird es nichts mit T-Shirts, Jutebeuteln und Jubelgesängen. Das kann sie in jedem Fall von Labour lernen.
Hinweis: In einer ersten Version dieses Textes war vom deutschen Institut Solidarische Moderne (ISM) die Rede, das nach dem Vorbild des britischen Netzwerks "Momentum" gegründet worden sei. Tatsächlich wurde das ISM bereits 2010 gegründet. Wir haben den entsprechenden Absatz gestrichen.