Kanzlerin in der Misere Merkels sieben Plagen

Kanzlerin Merkel: Zurück in der Tristesse
Foto: Rainer Jensen/ dpaschwarz-gelber Regierungstristesse
Berlin - Für die Flucht aus dem Alltag gibt es viele Möglichkeiten. Die einen schauen fern, die anderen spielen am Computer, mancher treibt Sport. Und was macht eine Kanzlerin, um zu entkommen? besuchte zuletzt vier Wüstenstaaten auf der arabischen Halbinsel. Vereinigte Arabische Emirate, Saudi-Arabien, Katar, Bahrain. Prunk, Glanz, 40 Grad, Sonnenschein, lukrative Aufträge für die heimische Wirtschaft.
Nun ist sie zurück aus dem Morgenland unter trübem Berliner Himmel. Die Lage? Schlecht wie nie. Ende einer Dienstreise.
Nur noch 20 Prozent der Deutschen sind laut ARD-Deutschlandtrend mit der Arbeit von CDU, FDP und CSU zufrieden. 58 Prozent sehnen sich sogar nach der Großen Koalition zurück. Und 64 Prozent halten Merkels Bürgschaften zur Euro-Stabilisierung für falsch. Die Kanzlerin selbst hat nur noch eine Zustimmung von 48 Prozent. Ihr schlechtester Wert seit vier Jahren. In Umfragen hat Schwarz-Gelb schon seit Wochen keine Mehrheit mehr.
Wenn es nur das wäre. Merkel muss die Deutschen durch die Krise führen und ihnen ein drastisches Sparprogramm zumuten. Blut, Schweiß und Tränen. Saniert Merkel den deutschen Haushalt, wird sie in den Geschichtsbüchern mit einem Projekt verbunden sein - wie Gerhard Schröder mit der Agenda 2010, Helmut Kohl mit der Einheit, Willy Brandt mit der Ost- und Konrad Adenauer mit der Westpolitik.
Im Moment sieht es nicht gut aus. Den Ruf als Krisenmanagerin, den Merkel in den ersten Jahren ihrer Kanzlerschaft genoss, scheint sie derzeit jedenfalls los zu sein. "Aus der Krisen-Kanzlerin ist die Kanzlerin in der Krise geworden", schreibt die konservative "Welt".
Kann sie das noch drehen? Welche konkreten Herausforderungen muss Merkel nun bewältigen? SPIEGEL ONLINE zeigt die sieben Plagen der Kanzlerin:
Plage I: Die Spardebatte. Die Steuersenkungsphantasien hat Schwarz-Gelb der Realität geopfert, nun geht es ans Sparen. Die Herausforderung ist gewaltig, zehn Milliarden Euro beträgt der jährliche Konsolidierungsbedarf ab 2011. Bisher hat Merkel nur die Tabus genannt: Bildung und Forschung. Wo sie die Sense ansetzt, darüber will die Regierung auf ihrer Sparklausur in einer Woche diskutieren. Protest ist programmiert. Das zeigt die Reaktion auf die Streichpläne im Wehretat. Zum Ärger der Kanzlerin spekuliert mancher aus den eigenen Reihen schon über Steuererhöhungen oder höhere Abgaben. Fest steht: Zu gewinnen gibt es für Merkel in dieser Debatte wenig - weder in den eigenen Reihen noch beim Wähler.
Plage II: Die Finanzkrise. Einst wurde Merkel als "Miss Europe" gefeiert. Der Glanz ist verblasst, das Magazin "Newsweek" kürte sie jüngst zur "Zeitlupen-Kanzlerin". Die EU-Partner werfen der Kanzlerin vor, die Euro-Krise mit ihrer zögerlichen Haltung in der Frage der Griechenland-Hilfen verschärft zu haben. Auch im Rest der Welt finden Merkels Vorstöße zur Bewältigung der Finanzkrise derzeit wenig Anklang: Die USA sind über den deutschen Alleingang beim Verbot von Leerverkäufen irritiert, die Prioritätensetzung auf den Defizitabbau und Merkels plötzlicher Einsatz für eine weltweite Finanztransaktionssteuer sorgen für Kopfschütteln. Ein Erfolg des G-20-Gipfels Ende Juni in Kanada rückt in weite Ferne.
Plage III: Der Problempräsident. Erst schien monatelang völlig abgetaucht. Dann knöpfte er sich im März ausgerechnet Merkels Regierung vor: "Das Volk erwartet jetzt tatkräftiges Regieren. Daran gemessen, waren die ersten Monate enttäuschend." Nun sorgte er nach einem Besuch in Afghanistan für Irritationen: Weil er in einem Interview deutsche Wirtschaftsinteressen mit Bundeswehreinsätzen verknüpfte, werfen ihm Kritiker gar "imperialen Zungenschlag" vor. SPD, Grüne und Linke zeigen sich empört; in Union und FDP ist man nicht amüsiert. Köhler sollte einst die schwarz-gelbe Symbolfigur sein, Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle hoben ihn 2004 auf den Schild. Nun vergleicht ihn Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin schon mit dem Pannenpräsidenten der sechziger Jahre, dem CDU-Mann Heinrich Lübke. Für Merkel ein großes Problem, könnte ein rhetorisch starker Bundespräsident in Krisenzeiten doch ein perfekter Polit-Partner einer pragmatischen Kanzlerin sein.
Plage IV: Die NRW-Pleite. Vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen wollte Schwarz-Gelb in Berlin nicht regieren, nach der Wahl können sie nicht mehr recht - die Bundesratsmehrheit ist futsch. Besonders traurig darüber, dass ihr Rivale Jürgen Rüttgers vom Wähler kleingemacht wurde, ist Merkel zwar nicht. Aber dass die CDU auch weiterhin den Ministerpräsidenten stellt, ist in ihrem Interesse. Doch die Gespräche über eine Große Koalition in Düsseldorf werden schwierig. Und vielleicht braucht Merkel in der engsten Parteiführung bald auch einen Ersatz für Rüttgers.
Plage V: Die Koch-Lücke. Für den hessischen Ministerpräsidenten jedenfalls muss schnell Ersatz her, der Mann hat seinen Rückzug zum August angekündigt. Der rhetorisch brillante Koch mit dem Image des Konservativen und einem Ruf als Wirtschaftsexperte lag oft über Kreuz mit der Kanzlerin. Doch für die Stammwählerschaft ist er eine Marke gewesen. Koch war das politische Kontrastmodell zu Merkel. Es komme darauf an, "so schnell wie möglich der Wirtschaftskompetenz wieder ein Gesicht zu geben", mahnt der CDU-Wirtschaftsrat die Kanzlerin.
Plage VI: Die Revanche des Andenpakts. Ist nach Kochs Rückzug aus der Politik die Runde mächtiger westdeutscher CDU-Männer wirklich am Ende? Tatsächlich war Roland Koch einer der wichtigsten Paktpartner. In Unionskreisen allerdings kursieren ganz andere Gerüchte: dass der Andenpakt noch einmal angreifen, dass er im Ernstfall gar schon beim Bundesparteitag im November Merkel vom Parteivorsitz verdrängen könnte.
Fakt ist: Niedersachsens CDU-Ministerpräsident Christian Wulff ist jetzt der letzte starke Mann der Runde. Es gibt keine ebenbürtigen Rivalen mehr. Ausgerechnet am vergangenen Wochenende, kurz vor Kochs Rückzugsankündigung, traf man sich in Barcelona. Die Stimmung sei so gut wie selten gewesen, berichten Teilnehmer. Besonders selbstbewusst in Spanien: . Der Mann hat auch allen Grund dazu. Daheim in Hannover hat er mit David McAllister bereits einen Nachfolger aufgebaut, bundespolitisch machte er gerade von sich reden, weil er mit Aygül Özkan erstmals eine Muslimin ins Kabinett holte. Und den Koch-Rücktritt kommentierte er mit Merkel-kritischen Worten. Die Kanzlerin ist gewarnt. Sie weiß um das Schicksal ihres SPD-Vorgängers Gerhard Schröder; der gab erst den Parteivorsitz ab, bald darauf verlor er auch die Regierungsmacht.
Plage VII: Die Koalitionspartner. Es steht nicht gut um die FDP. Parteichef Westerwelle ist in Umfragen der unpopulärste Minister des Kabinetts, in der politischen Stimmung ermittelten die Meinungsforscher für die Liberalen zuletzt einen Splitterparteiwert von drei Prozent. Und wie bloß wollen die Freien Demokraten noch punkten? Ihr Lieblingsthema Steuersenkungen hat die Kanzlerin eiskalt abgeräumt, nachdem das schwarz-gelbe NRW-Wahldebakel die Bundesratsmehrheit weggefegt hat.
Merkel muss nun in wichtigen Fragen auf die SPD zugehen, die FDP aber wird ihren Bedeutungsverlust nicht einfach so hinnehmen. Ärger droht der Kanzlerin auch von der Schwesterpartei: Nach Wochen der Ruhe hat CSU-Chef gerade eine klare Kampfansage gemacht: Die Zurückhaltung habe nichts gebracht. Nun sei mit ihm wieder zu rechnen.