Kanzlerin unter Druck Merkel-Kritiker meckern sich den Frust von der Seele

Die CSU klagt übers Euro-Krisenmanagement, der Wirtschaftsflügel beklagt die Absage an Steuersenkungen, die Landesfürsten diskutieren übers Sparen. Nach der dramatischen Wahlschlappe in NRW wächst der Druck auf Kanzlerin Merkel gleich an mehreren Fronten.
Kanzlerin Angela Merkel: Ärger in der Koalition

Kanzlerin Angela Merkel: Ärger in der Koalition

Foto: Rainer Jensen/ dpa

Jürgen Rüttgers

Berlin - Roland Koch hatte den Zeitpunkt brutalstmöglich gewählt. abgewatscht in Nordrhein-Westfalen, der Bundesfinanzminister gesundheitlich angeschlagen, die Kanzlerin angekratzt wegen Griechenland-Hilfen und Euro-Rettungsschirm. Genau der richtige Moment für eine gezielte Provokation, dachte sich der hessische Ministerpräsident.

Angela Merkels

Also ätzte er im Interview mit dem "Hamburger Abendblatt" über die "mangelnde Entschlossenheit" und die "mangelnde Geschwindigkeit" der Bundesregierung in den vergangenen Monaten, und stellte nebenbei gleich noch zwei zentrale Ziele der Politik in Frage: Krippenausbau? Bildung? Auch diese Bereiche dürften bei den anstehenden Sparmaßnahmen kein Tabu sein.

CDU

Es wird ungemütlich für Angela Merkel. Mit Koch wagte sich der erfahrenste Unions-Ministerpräsident und -Parteivize nach Monaten der Zurückhaltung lautstark mit Kritik aus der Deckung. Den konkreten Sparvorschlag durfte man getrost auch als Beitrag zur nach der NRW-Wahlschlappe wieder aufgeflammten Profildebatte in der Union verstehen. Am Dienstag mahnte Hessens Regierungschef, die CDU dürfe "Menschen nicht verlieren, die ein traditionelleres Weltbild haben". Auch Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus hatte zuvor einmal mehr beklagt, das Konservative komme in der Union zu kurz.

FDP

Bemerkenswert ist, dass sich die Empörung über Kochs Sparvorschläge in der Union in Grenzen hält. Zwar widersprach Bayerns Familienministerin Christine Haderthauer heftig, auch -Chef Guido Westerwelle will von Kürzungen bei Bildung und Forschung nichts wissen. Doch in der CDU hielt man sich auffällig zurück.

Allein Bundesfamilienminister Kristina Schröder verteidigte schon von Amts wegen den Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Von den Landesfürsten dagegen wies sich allein Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer den Koch-Vorstoß zurück. Man müsse nicht allen Vorschlägen folgen, sagte er SPIEGEL ONLINE. Gleichzeitig nahm er jedoch seinen hessischen Amtskollegen gegen den Vorwurf in Schutz, einen Angriff auf die Kanzlerin zu fahren: "Wenn es um Sparpolitik geht, muss man über alles reden können, ohne sich gegenseitig zu verdächtigen."

Unmut beim Wirtschaftsflügel

Die Profil- und Spardiskussionen sind nicht die einzigen Fronten, an denen Merkel derzeit zu kämpfen hat. Gegenwind bekam die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende am Mittwoch auch vom Wirtschaftsflügel ihrer Partei. Der nämlich will ihr Machtwort in Sachen Steuersenkungen nicht akzeptieren. Der CDU-Wirtschaftsrat hält den Verzicht auf Steuersenkungen für zu weitgehend. Der Vorsitzende der CDU-nahen Unternehmervereinigung, Kurt Lauk, verlangte, dass die schleichende Steuererhöhung nach Gehaltserhöhungen eingedämmt werden muss. "Die Beseitigung der 'kalten Progression' muss auf der Tagesordnung bleiben", sagte Lauk der Nachrichtenagentur dpa. Er schlug außerdem vor, den reduzierten Mehrwertsteuersatz ganz abzuschaffen.

Der Chef der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung, Josef Schlarmann, sieht gar die gesamte Koalition in Gefahr. "Nach dem Wahlergebnis in NRW ist eine wachstums- und reformorientierte Politik so gut wie tot", sagte er der "Rheinischen Post". "Das hat auch Kanzlerin Angela Merkel mitzuverantworten." Die Absage an Steuersenkungen sei das Ende des wachstumspolitischen Konzepts der CDU. Schwarz-Gelb fahre vor die Wand. "Die Gefahr besteht, dass das schwarz-gelbe Projekt im Bund nach nur sieben Monaten schon wieder vor dem Ende steht."

Auch die CSU verschärfte am Mittwoch noch einmal ihre Attacken gegen Merkel. Die Schwesterpartei fühlt sich in der Euro-Krise von der Kanzlerin übergangen, weil am Sonntagabend keine CSU-Vertreter zum Krisentreffen der Regierung geladen waren.

"Es kann nicht sein, dass die CSU bei einer so wichtigen Besprechung wie der zum Euro-Rettungspaket nicht mit am Kabinettstisch sitzt", sagte der Wirtschaftsexperte der CSU-Landesgruppe, Georg Nüßlein, dem "Handelsblatt". Merkel dürfe sich dann nicht wundern, wenn die CSU nicht in ihrem Sinne abstimme. "Die bisherige Informationspolitik der Bundesregierung nach innen wie nach außen ist deutlich verbesserungsfähig", meckerte CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.

Neuer Ärger um Finanztransaktionssteuer

Für neuen Ärger sorgt auch die Zusage der Bundesregierung in Brüssel, nun doch die Einführung einer globalen Finanztransaktionssteuer zu prüfen. Bisher hatten Union und vor allem die FDP eine solche Steuer abgelehnt. Aus diesem Grund hatte die SPD der Griechenland-Hilfe im Bundestag ihre Zustimmung verweigert. FDP-Finanzexperte Hermann Otto Solms kündigte an, er werde eine Finanztransaktionssteuer, wie sie auf EU-Ebene im Gespräch ist, nicht mittragen. "Jeder weiß, dass das nicht funktionieren kann, weil Amerikaner und Kanadier das bereits abgelehnt haben", sagte der FDP-Politiker dem "Tagesspiegel".

Die Opposition beobachtet die neuen Verwerfungen in der Koalition genüsslich. Die Linke forderte Merkel am Mittwoch auf, angesichts der NRW-Wahl und der Euro-Krise im Bundestag die Vertrauensfrage zu stellen. Und SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier stellte spöttelnd fest: "Was wir im Augenblick erleben, ist viel Verwirrung, viel Verstörung auf Ebene der Bundesregierung."

Bei aller Verwirrung - Roland Kochs Motivation für seinen Sparvorschlag will Steinmeier erkannt haben: Koch wolle wohl eine Debatte um die Zukunft von Kanzlerin Merkel in Gang bringen. Diese Diskussion müsse die Union unter sich führen.

phw/dpa/apn
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