Bettina Gaus

Kanzlerkandidatin Baerbock Das war's

Bettina Gaus
Eine Kolumne von Bettina Gaus
Annalena Baerbock hat ihren Lebenslauf aufgehübscht, eine vergleichsweise kleine Sünde. Ihre Wahlchancen sind dennoch ruiniert, denn sie hat das Wichtigste verspielt, was sie hatte: ihre Glaubwürdigkeit.
Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (17. Mai 2021)

Grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock (17. Mai 2021)

Foto: Andreas Gora / Getty Images

Die nächste deutsche Bundeskanzlerin wird nicht Annalena Baerbock heißen. Daran besteht nach den letzten Tagen kaum ein vernünftiger Zweifel. Die grüne Spitzenkandidatin hat nur noch die Möglichkeit, selbst über Zeitpunkt und Form ihrer Niederlage – und damit über ihre politische Zukunft – zu entscheiden.

Selbstverständlich gibt es Wunder. Armin Laschet mag am Tag vor der Bundestagswahl den Grünen beitreten, zeitgleich können Markus Söder und Friedrich Merz beschließen, gemeinsam nach Fidschi auszuwandern. Vorstellbar ist alles. Aber nicht jede Absurdität muss bei einer Analyse berücksichtigt werden. Und wenn man das nicht tun will, dann bleibt übrig: Annalena Baerbock wird es nicht schaffen.

Ist der Niedergang das Ergebnis von niederträchtiger Berichterstattung? Oder eigene Schuld? Es ist eine Mischung aus beidem.

Es war vorhersehbar, dass manche Medien Kampagnenjournalismus betreiben würden. Dass sie kleine Fehler der grünen Kandidatin zu einem riesigen Ballon aufblasen und sachliche Aussagen radikalisieren würden. Derlei ist nicht schön, aber erwartbar. Und wer ganz vorn auf der politischen Bühne, sogar auf der weltpolitischen Bühne mitspielen möchte, muss damit umgehen können.

Das konnte Annalena Baerbock. Sie reagierte gelassen. Und es spricht vieles dafür, dass sich eben doch nicht jede Diskussion über ein kompliziertes Thema in eine provokante Schlagzeile pressen lässt. Beispiel: Der künftige Benzinpreis – bei dem die Regierungsparteien und die Grünen gar nicht so weit auseinanderliegen.

Es ist jedoch anzunehmen, dass manche ihr Glück nicht fassen konnten, als sie feststellen durften, wie hilfreich ihnen Annalena Baerbock selbst in die Hand spielte. Wie kann man so blöd oder so eitel oder beides sein, einen aufgehübschten Lebenslauf im Netz stehen zu lassen, bei dem sich alle Gegnerinnen und Gegner einfach bedienen können? Nehmt, was ihr wollt. Ist ja genug da. Wir korrigieren gern auch mehrfach.

Es gibt sicher viele Leute, die das Thema gar nicht interessiert oder die Kritik an Baerbock für übertrieben halten. Schließlich ist seinerzeit sogar der CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg mit dem Argument verteidigt worden, wir hätten doch alle in der Schule mal abgeschrieben. Als sei eine plagiierte Doktorarbeit dasselbe wie ein Spickzettel in der 8. Klasse.

Ist sie nicht. Und um es ganz deutlich zu sagen: Ungenaue Angaben zu Studienabschlüssen und Mitgliedschaften sind nicht vergleichbar mit Betrug bei einer Promotion. Das eine ist peinlich, das andere ist unverzeihlich. Beiseite gesprochen: Ich verstehe nicht, wie die SPD an Franziska Giffey als Spitzenkandidatin für die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus festhalten kann. Der Doktortitel ist ihr nun aberkannt worden, als Ministerin ist sie untragbar – aber für Berlin genügt es? Seltsam.

Annalena Baerbock hat sich sehr viel weniger zuschulden kommen lassen als andere politische Führungskräfte. Aber ihre Popularität war noch nicht gefestigt genug, um diese Affäre aussitzen zu können.

Annalena Baerbock hat sich sehr viel weniger zuschulden kommen lassen als andere politische Führungskräfte. Daher ist und wäre es verständlich, wenn sie und die Grünen sich insgesamt ungerecht behandelt fühlten. Aber ihre Popularität war eben noch nicht gefestigt genug, um diese Affäre aussitzen zu können. Wenn auch nur ein paar Prozent derjenigen abspringen, die sich überlegt hatten, erstmals in ihrem Leben grün zu wählen, dann ist der mögliche Sieg verspielt.

Es ist kühn, ohne jede Regierungserfahrung ins Kanzleramt einziehen zu wollen. Aber das kann – vielleicht – gelingen, wenn ein hinreichend großer Teil der Bevölkerung sich nach einem Kurswechsel und einem politischen Neuanfang sehnt. Das war die große Chance für Annalena Baerbock. Sie musste nur etwas, ein einziges Kleinod schützen: nämlich die eigene Glaubwürdigkeit.

Dieses Kleinod ist verloren gegangen. Andere, die sich mehr vorwerfen lassen müssen, hatten und haben auch mehr in die Waagschale zu werfen als die Kandidatin der Grünen. Der Lebenslauf von Armin Laschet enthält ebenfalls – nennen wir es freundlich: Lücken. Aber er war eben jahrelang Ministerpräsident. Das beruhigt verunsicherte Wählerinnen und Wähler.

Tagelang musste jetzt Robert Habeck im Fernsehen und überall sonst das schlechte Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt und die Ungereimtheiten im Lebenslauf der Spitzenkandidatin erklären. Machte er auch brav, mal mehr, mal weniger schmallippig. Annalena Baerbock war weitgehend abgetaucht. Souverän wirkte das nicht. Heute nun äußert sie sich in der ARD, am Freitag beginnt der Parteitag. Dann gibt es kein Entrinnen mehr. Sie wird Farbe bekennen müssen.

Wenn Annalena Baerbock so klug ist, wie viele glauben, dann zieht sie sich zurück und sagt sinngemäß: Blöde, kleine Fehler von mir gefährden derzeit, dass wir das verwirklichen können, was uns allen am meisten am Herzen liegt. Nämlich unsere Politik, vor allem den Kampf gegen den Klimawandel. Um unsere Chancen zu maximieren, übergebe ich den Stab an Robert. Und wünsche ihm alles, alles Gute.

Reaktion? Stehende Ovationen. Annalena Baerbock hätte ihr Eigeninteresse hinter die Interessen der Partei, des Landes und der Welt gestellt. Sie wäre von da an eine Ikone. Und könnte alles werden, vielleicht sogar irgendwann Kanzlerin, falls Robert Habeck es nicht schaffen sollte. Die große Geste würde das, was bisher war, überstrahlen. Aber dazu müsste die Kandidatin den Schritt zurück ins Glied eben erst einmal wagen. Ich glaube nicht, dass sie das tun wird. Und deshalb heißt der nächste Kanzler Armin Laschet.

Mit Frauenfeindlichkeit hat all das übrigens nichts zu tun. Wenn Robert Habeck seinen Lebenslauf geschönt hätte, müsste er sich ebenfalls Nachfragen gefallen lassen. Der Kampf für Gleichberechtigung kann nicht bedeuten, dass Frauen keinerlei Kritik aushalten müssen.

Anmerkung der Redaktion: Da Franziska Giffey kurz nach Veröffentlichung dieser Kolumne der Doktortitel aberkannt worden ist, haben wir die entsprechende Stelle im Text aktualisiert. Zudem haben wir korrigiert, dass der Doktortitel aberkannt wurde, nicht die Doktorarbeit.

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