Gesundheitsminister Lauterbach im Bundestag »Ich appelliere an Ihre Vernunft, ich appelliere an Ihre Solidarität«

Karl Lauterbach: »Wir beenden damit vermeidbares Leid«
Foto: Michael Kappeler / dpaLaut Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) entscheidet sich in diesem dritten Jahr der Pandemie, ob sich das Coronavirus zu einem endemischen Virus mit geringer Sterblichkeit entwickelt, »oder ob wir diese Gelegenheit verpassen«. So äußerte sich Lauterbach bei einer Bundestagsdebatte über die Gesundheitspolitik der Ampelkoalition. »Noch immer wird die Gefahr des Coronavirus nicht von allen richtig eingeschätzt«, sagte Lauterbach.
Er rief Bürgerinnen und Bürger erneut zur Impfung auf und betonte noch einmal, wie wichtig die Boosterimpfung sei. »Ich appelliere an Ihre Vernunft, ich appelliere an Ihre Solidarität«, sagte Lauterbach. »Viele von uns erbringen große Opfer, um sie zu schützen. Bitte ergreifen Sie die Gelegenheit zumindest zur ersten Impfung.« Wer sich der Möglichkeit zur Impfung verweigere, »verletzt sogar das moralische Gebot des kategorischen Imperativs im Sinne von Immanuel Kant«. Denn eine solche Verweigerung könne »nie die Maxime des Handelns für uns alle sein«.
Die Pandemie könne auf lange Sicht nur dann beendet werden, wenn der größte Teil der Bevölkerung so geimpft sei, dass schwere Verläufe auch mit neuen Varianten des Coronavirus nicht mehr erwartet werden. Es gebe kaum Spezialisten, die davon ausgingen, dass Omikron die letzte Variante sein werde. Es werde weitere Variante geben.
Der schnellste Weg aus der Pandemie sei deshalb die Einführung einer allgemeinen Impfpflicht. Es sei möglich, dass aus der »Omikron-Wand« – einem sprunghaften Anstieg der Infektionszahlen – in Deutschland ein »steiler Hügel« werde, sagte Lauterbach. Das würde viele Menschenleben retten. »Wir beenden damit vermeidbares Leid«, sagte Lauterbach.
Tino Sorge, gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion, warf Lauterbach »dröhnendes Schweigen« bei wichtigen Fragen vor, etwa dazu, welches primäre Ziel mit einer Impfpflicht erreicht werden solle oder wie die angestrebten weiteren 30 Millionen Impfungen bis Ende Januar geschafft werden sollen. Zudem kritisierte Sorge, dass Lauterbach anders als zunächst angekündigt keinen Antrag auf eine Impfpflicht gestellt habe.
Hintergrund ist, dass im Bundestag jenseits der Fraktionsdisziplin über die Impfpflicht abgestimmt werden soll, die Abgeordneten sind nur ihrem Gewissen verpflichtet. Die sogenannten Gruppenanträge sollen fraktionsübergreifend erarbeitet werden, ein eigener Entwurf der Ampelkoalition ist nicht geplant – wohl auch, weil vor allem in der FDP große Vorbehalte gegen eine Impfpflicht bestehen. CDU und CSU im Bundestag wollen nach derzeitigem Stand auch keinen eigenen Antrag zur Einführung einer Impfpflicht vorlegen.
Lauterbach hatte seine Zurückhaltung zuvor mit der gebotenen Neutralität als Gesundheitsminister begründet. Er werde sich zwar einem aus dem Bundestag erarbeiteten Vorschlag anschließen, aber »nicht federführend« selbst einen erarbeiten, sagte er dem SPIEGEL. »Anträge, die mich überzeugen, werde ich dabei genauso mit Zuarbeiten unterstützen wie andere Anträge.« Diese »Neutralität« sei wichtig, »um die Hilfe des Bundesgesundheitsministeriums gleichermaßen allen Abgeordneten anbieten zu können«, so Lauterbach.
»Wir sind Booster-Europaweltmeister«
Die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, lobte in der Debatte die Impfkampagne des Gesundheitsministers. »Wir sind Booster-Europaweltmeister«, erklärte Aschenberg-Dugnus. Sie betonte, dass ihre Regierung das Gesundheitssystem digitalisieren wolle. Wichtig sei auch die Entbürokratisierung. Pflegekräfte und pflegende Angehörige, sagte Aschenberg-Dugnus, verdienten mehr Anerkennung.