Überfüllte Praxen Kinderärzte wettern gegen Lauterbach

Kinderarzt bei der Arbeit (Symbolbild)
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Kürzlich hatte Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine gute Nachricht für alle überfüllten Kinderarztpraxen und Krankenhäuser in Deutschland. Er kündigte an, dass die Budgets der Praxen künftig nicht mehr gedeckelt sein sollen. Jeder weitere Patient solle auch vergütet werden, versprach er bei einer Rede im Bundestag. Lauterbach wollte den Praxen damit einen Anreiz geben, mehr Patienten zu behandeln. Die Maßnahme sollte angesichts der RSV-Welle schnell greifen. In den Praxen löste das Begeisterung aus.
Nun sorgt ein Schreiben Lauterbachs an den Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) Andreas Gassen und die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Dr. Doris Pfeifer für Misstrauen bei den Kinderärzten. Beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) hat man den Eindruck, »dass der Gesundheitsminister wieder Abstand von der eigenen Ankündigung nimmt«, wie es in einer Mitteilung heißt.
In Lauterbachs Schreiben sei von einer »Entbudgetierung« auf einmal keine Rede mehr, ärgern sich die Kinderärzte. Stattdessen werde angeregt, dass die erbrachten ärztlichen Leistungen in einem begrenzten Zeitrahmen vergütet werden. Der Minister fordert in dem Schreiben, das dem SPIEGEL vorliegt, dass die Situation der Kinderärztinnen und -ärzte »zumindest bis zum Ende des 1. Quartals 2023 auch ohne eine entsprechende Feststellung durch das RKI, den Deutschen Bundestag oder der WHO unter die Nummer 3 des Beschlusses berücksichtigt wird. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die erbrachten Leistungen zeitnah, spätestens im folgenden Abrechnungszeitraum mit den Preisen der jeweils gültigen Euro-Gebührenordnung vergütet werden.«
»Wir werden keine unbezahlten Leistungen mehr erbringen«
»Mit einer kurzfristigen Verbesserung der Vergütung der Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte ist es nicht getan. Der Minister verkennt, dass das grundlegende Strukturproblem damit keinesfalls gelöst wird«, erklärt Stefan Renz, Vizepräsident des BVKJ. »Im Bundestag hat Karl Lauterbach die sofortige Aussetzung der Budgetierung für Kinderkliniken und Praxen angekündigt, so wie im Koalitionsvertrag beschlossen. Das und nichts anderes werden wir akzeptieren. Das Schreiben, das der Minister am selben Tag verschickt hat, lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass er uns gegenüber wortbrüchig wird.«
Die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte in Deutschland arbeiteten bundesweit bereits am Rand der Erschöpfung heißt es in der Mitteilung weiter. »Wir erbringen massenhaft unbezahlte Leistungen. Und jetzt können wir uns nicht einmal mehr auf Aussagen von Karl Lauterbach verlassen, die im Bundestag getätigt werden. Das ist ein herber Vertrauensbruch«, so Renz. Er hätte bereits an den Gesundheitsminister geschrieben und um ein zeitnahes, direktes Gespräch gebeten. »Wenn es zu keiner Einigung kommt, werden Protestaktionen folgen. Feststeht: Wir werden keine unbezahlten Leistungen mehr erbringen.«
Zwei Landesverbände des Berufsverbands in Nordrhein-Westfalen (Westfalen-Lippe und Nordrhein) hatten wegen des Schreibens sogar Lauterbachs Rücktritt gefordert und angekündigt, man werde die Leistungen in den Praxen deutlich einschränken, wenn der Minister sein Versprechen breche.