SPD-Spitzenkandidatin Barley über den Brexit "Die Briten haben die Nase voll"

Die EU-Spitzenkandidatin der SPD kritisiert Theresa Mays Brexit-Kurs - und empfiehlt ein zweites Referendum. Im Streit über die Uploadfilter verteidigt Justizministerin Katarina Barley ihren Kurs.
Katarina Barley

Katarina Barley

Foto: imago/ ZUMA Press

SPIEGEL ONLINE: Die britische Premierministerin Theresa May will den Brexit jetzt verschieben. Sollte die EU das ermöglichen?

Barley: Ich habe Theresa May lange verteidigt, weil sie ursprünglich gegen den Brexit war und jetzt eine unglückliche Rolle hat. Aber ihre Strategie, auf Zeit zu spielen, führt zu nichts und ist hochriskant.

SPIEGEL ONLINE: Was tun?

Barley: Es führt kaum ein Weg an einem zweiten Referendum vorbei. Die Briten haben die Nase voll. Ihre Politiker finden zu keiner Lösung, deshalb sollte nun das Volk abstimmen.

SPIEGEL ONLINE: Würde das nicht die Anti-EU-Stimmung noch anheizen, nach dem Motto: Die lassen so lange abstimmen, bis das Ergebnis passt?

Barley: Ich habe schon vor zwei Jahren ein zweites Referendum ins Spiel gebracht, als dieses Chaos gar nicht absehbar war. Den Austritt eines EU-Mitglieds gab es vorher noch nie. Niemand wusste, was ein Brexit eigentlich konkret bedeutet. Die Briten sollten über die Verhandlungsergebnisse abstimmen dürfen.

SPIEGEL ONLINE: Wenn die Briten einen Aufschub von der EU bekommen, sollten sie dann noch an der Europawahl Ende Mai teilnehmen?

Barley: Das halte ich für schwierig. Aber wenn das Datum zu weit nach hinten verlegt wird, wäre das tatsächlich die Konsequenz. Das wäre doch sehr seltsam.

Foto: Bernd Von Jutrczenka/ picture alliance / dpa

Katarina Barley, 50, ist Justizministerin und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl. Bis Juni 2017 war sie SPD-Generalsekretärin. Dann übernahm sie das Familienministerium, nach der Bundestagswahl auch zeitweise geschäftsführend das Arbeitsministerium. Barley, promovierte Juristin, arbeitete vor ihrem Einzug in den Bundestag 2013 unter anderem als Richterin und Mitarbeiterin am Bundesverfassungsgericht.

SPIEGEL ONLINE: In Deutschland herrscht Empörung über die europäische Urheberrechtsreform, Artikel 13 wird zu den umstrittenen Uploadfiltern führen. Einerseits sind Sie dagegen, andererseits haben Sie in Brüssel dafür gestimmt. Haben Sie jetzt im Europawahlkampf ein Glaubwürdigkeitsproblem?

Barley: Artikel 13 ist doch nur ein Teil dieser EU-Richtlinie. In den Artikeln 14 bis 16 geht es zum Beispiel um die Künstler - und die sind mir auch wichtig. Die Kreativen müssen stärker an den Gewinnen ihrer Werke beteiligt werden, die andere machen. Zu Artikel 13 gibt es sowohl in der Bundesregierung als auch in der EU unterschiedliche Meinungen. Spanien, Frankreich, Italien und Großbritannien etwa sind klar für die vorliegende Fassung. In der Bundesregierung wollte ich wiederum Artikel 13 aus der Richtlinie rausnehmen, denn Uploadfilter halte ich für den falschen Weg. Durchsetzen konnte ich immerhin, dass es eine Verhältnismäßigkeitsregelung gibt und Ausnahmeregelungen für Start-ups eingeführt werden.

SPIEGEL ONLINE: Im Koalitionsvertrag haben sich Union und SPD klar gegen Uploadfilter ausgesprochen. Viele Menschen haben gehofft, dass Sie das stoppen. Wie wollen Sie die Enttäuschten im Wahlkampf noch erreichen?

Barley: Im Koalitionsvertrag steht auch, dass wir die Rechte von Künstlern im Netz stärken wollen. Das tun wir. Und so ist nun mal Europa: Ich stimme da nicht als einzelne Ministerin ab, sondern für die Bundesregierung. Und dann bestimmen wir auch nicht allein in Europa, sondern da sitzen noch 27 weitere Regierungen mit am Tisch. Und viele andere EU-Staaten sind klar für Uploadfilter.

SPIEGEL ONLINE: Wenn Ihnen der Kampf gegen die Uploadfilter ein so wichtiges Anliegen gewesen wäre, hätten Sie doch auch handeln können wie eine Ihrer Vorgängerinnen: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger trat einst aus Protest gegen den Großen Lauschangriff zurück...

Barley: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger war gegen den ganzen Großen Lauschangriff. So einfach ist das bei der Urheberrechtsrichtlinie nicht, sie enthält auch viele wichtige Verbesserungen für Kreative, für Internetnutzer. Es gibt nicht immer nur Schwarz und Weiß.

SPIEGEL ONLINE: Die Jusos wollen die SPD-Europaabgeordneten per Antrag auf dem SPD-Konvent am Samstag auffordern, gegen Artikel 13 zu stimmen. Werden Sie sich dem anschließen?

Barley: Ich freue mich, wenn unsere Europaabgeordneten das Thema noch mal angehen. Die Chancen stünden natürlich besser, wenn die Union ihre bisherige Position aufgibt und Änderungen an der Richtlinie mitträgt. Was sie jetzt national vorschlagen, hatten wir schon als konkrete Anträge auf europäischer Ebene eingebracht - das hatte die CDU damals abgelehnt.

SPIEGEL ONLINE: Werden Sie den Juso-Antrag unterstützen?

Barley: Wir sind dazu gerade in Gesprächen. Da halte ich mich zurück.

SPIEGEL ONLINE: Das heißt, Sie werden sich enthalten?

Barley: Nein. Ich bin zuversichtlich, dass wir einen gemeinsamen Beschluss in der Partei treffen werden.

SPIEGEL ONLINE: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat sich mit einem Appell an die Bürger Europas gewandt. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer hat auf Macron geantwortet, die SPD nicht. Kommt da noch was?

Barley: Eigentlich wäre es üblich, dass die Kanzlerin auf den Präsidenten antwortet. Macron ist mutig, er hat Ideen für Europa, sogar er will Europa sozialer machen. Frau Kramp-Karrenbauers Antwort ist sehr abweisend, das hat mich enttäuscht. Die CDU will ein Europa der Banken und einen europäischen Flugzeugträger. Ein Flugzeugträger wird Europa nicht retten.

SPIEGEL ONLINE: Was ist die Antwort Ihrer Partei?

Barley: Wir wollen nicht nur die Wirtschaft, sondern das Leben der Menschen verbessern. Wir wollen ein soziales Europa schaffen, das Klima schützen und die Demokratie. Am kommenden Samstag beschließen wir unser Europa-Wahlprogramm. Das liefert alle Antworten.

SPIEGEL ONLINE: Was ist Ihre Zielmarke bei der Europawahl?

Barley: Das bestmögliche Ergebnis. Und dass der Sozialdemokrat Frans Timmermans Kommissionspräsident wird.

SPIEGEL ONLINE: Selbst ein aus heutiger Sicht ordentliches Ergebnis um die 20 Prozent bedeutete starke Verluste im Vergleich zur letzten Wahl 2014, bei der die SPD 27,3 Prozent erreichte.

Barley: Als ich die Spitzenkandidatur übernommen habe, da waren wir bei 13 bis 14 Prozent. Die SPD ist gerade auf einem sehr guten Weg, auch ich gebe das Beste. Und dann schauen wir mal, was dabei rauskommt.

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