Kauder zur Organspende-Reform "Wir müssen mehr über Schicksale sprechen"

Unionsfraktionschef Kauder: "Höchstpersönliche Sache"
Foto: MARCO-URBAN.DESPIEGEL ONLINE: Organspenden sind eine gute, lebensrettende Tat - das leuchtet wohl den meisten Menschen ein. Trotzdem sind wenig Bürger bereit, zu spenden. Wieso soll sich das jetzt plötzlich ändern?
Kauder: Frank-Walter Steinmeier und ich haben schon vor längerem den Anstoß gegeben - nun ziehen alle Fraktionen bei der Neuregelung der Organspende mit. Das ist ein eindrucksvolles Signal an die Bevölkerung. Wir werden die Voraussetzungen schaffen, dass jeder Bürger in diesem Land über den Nutzen der Organspende intensiv aufgeklärt wird. Jeder soll gebeten werden, sich zu dieser Frage zu äußern. Ich bin überzeugt: Das wird seine Wirkung nicht verfehlen.
SPIEGEL ONLINE: Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn spricht von "penetranter Werbung", die die Menschen überzeugen soll. Besteht nicht die Gefahr, dass viele davon eher abgeschreckt werden?
Kauder: Wir müssen mit Argumenten überzeugen. Das ist klar. Aber allein die Zahlen müssen noch bekannter werden: In Deutschland warten mehr als 10.000 Menschen jedes Jahr auf ein Spenderorgan. Drei von ihnen sterben täglich, weil es in unserem Land nicht ausreichend Spender gibt. Zahlreiche Organisationen haben in den vergangenen Jahren schon viel Gutes bewirkt. Aber wir müssen vielleicht noch mehr über einzelne Schicksale sprechen, Menschen vorstellen, die durch ein Spenderorgan ein neues Leben beginnen konnten. Wir müssen diesen tief berührenden Gedanken noch mehr verbreiten: Am Ende meiner Existenz schaffe ich mit einer Organspende einen Neuanfang für andere.
SPIEGEL ONLINE: Kaum ist der Kompromiss da, hagelt es bereits Kritik: Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) geht die Regelung nicht weit genug, andere monieren, ein Schreiben im Briefkasten sei in etwa so wirkungsvoll wie Werbepost. Was halten Sie dem entgegen?
Kauder: Es ist ein wirklich guter Kompromiss gelungen. Er sollte nicht durch polarisierende Diskussionen gefährdet werden. Auch in den Beratungen zum jetzt vereinbarten Gruppenantrag wurden vielleicht weitergehende Überlegungen zu Gunsten des gemeinsamen Erfolgs zurückgestellt. Ich bin wirklich der Meinung: Die Entscheidung über eine Organspende ist eine höchstpersönliche Sache. Und wenn nun demnächst die Krankenkassen oder Behörden an die Bürger herantreten, ist das doch etwas anderes als Werbepost. Es ist auch Sache der Kassen, sich hier eine überzeugende Form der Ansprache an die Bürger auszudenken.
SPIEGEL ONLINE: "Kein Zwang", heißt die Devise der Gesetzesänderung. Fast alle Länder, die höhere Spendenquoten vorweisen könnten, haben aber eines gemeinsam: Dort gibt es die sogenannte erweiterte Widerspruchslösung - jeder, der nicht widerspricht, kommt als Organspender in Frage. Wäre das nicht die bessere Regelung gewesen?
Kauder: Nein. Abgesehen von den verfassungsrechtlichen und ethischen Bedenken: Ein Zwang, und den übt die Widerspruchslösung aus, wird die Bereitschaft der Menschen, als Organspender zur Verfügung zu stehen, nicht erhöhen. Die Entscheidung berührt den Kern der Persönlichkeit. Auch nach unserer Neuregelung muss sich niemand äußern und unbedingt einen Spenderausweis ausfüllen.
SPIEGEL ONLINE: Was wird sich abgesehen vom Organspende-Brief noch ändern?
Kauder: Wir müssen für die Kliniken Rechtssicherheit schaffen. Das wollen wir, indem die Bereitschaft zur Organspende auf der Gesundheitskarte dokumentiert werden soll. Wir gehen davon aus, dass diese Karte im Zweifelsfall eher auffindbar ist als ein Organspendeausweis. Und: Die Kliniken müssen sich mehr mit der Frage von Organspenden beschäftigen - auch das soll durch das neue Transplantationsgesetz erreicht werden. Der Ablauf in den Krankenhäusern wird besser werden.
SPIEGEL ONLINE: Wann rechnen Sie mit einem ersten Anstieg der Spenderzahlen?
Kauder: Es wird nicht von heute auf morgen gehen. Aber in den nächsten fünf Jahren wird die Zahl der Organspender größer werden. Voraussetzung ist, dass alle an einem Strang ziehen: Die Kassen und Behörden bei der Aufklärung, und die Politik, die immer ein Auge auf die Entwicklung werfen muss. Letztlich kommt es auf die Bürger an. Die Deutschen sind aber immer bereit zu helfen. Also bin ich optimistisch.