TV-Doku über Kevin Kühnert Parteirebell und Königsmacher

SPD-Vizechef Kevin Kühnert
Foto: Lucas StratmannDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Es ist Frühjahr 2020, als Kevin Kühnert mit Vertrauten überlegt, wie sich sein Image für die Partei nutzen ließe. Es gebe viel Lob für ihn persönlich, sagt eine Mitarbeiterin, die Zuschriften von Bürgern ausgewertet hat. Die Anerkennung erstrecke sich aber nicht auf die SPD.
Kühnert wirkt nachdenklich. Seine Freude sei kurz, »wenn die Leute schreiben: SPD bäh, aber du bist okay«. Das bringe nichts, er müsse jetzt stärker als Teil der SPD wahrgenommen werden. Seine Büroleiterin warnt: Die Gefahr sei, dass Kühnert Teil des Systems werde. »Dann sagen die Leute: Der ist doch wie alle anderen, der olle Strippenzieher, wie langweilig.«
Die Runde einigt sich schließlich, dass Kühnert rebellisch bleiben, aber stärker inhaltlich punkten soll. So könne er sich in der Sozialpolitik von Arbeitsminister Hubertus Heil abgrenzen. »Aber als produktiver Gegenpol«, beeilt sich Kühnert zu ergänzen. »Hubi ist nicht der Feind.«
Diese Szene ist Teil der Dokumentation »Kevin Kühnert und die SPD« über den erstaunlichen Aufstieg des ehemaligen Juso-Chefs. Am Samstag feiert die sechsteilige Serie beim Filmfest Hamburg Premiere, ab 18 Uhr ist sie in der ARD-Mediathek zu sehen.
Drei Jahre lang haben Katharina Schiele und Lucas Stratmann Kühnert begleitet. Ihre Serie startet mit dem Desaster bei der Landtagswahl in Hessen im Oktober 2018, bei der die SPD mit 19,8 Prozent nur auf Platz drei hinter CDU und Grünen landete. Den Schlusspunkt bildet das überraschende Comeback der Partei bei der Bundestagswahl.
Fast immer dabei ist Kühnerts Schatten und Alter Ego, Pressesprecher Benjamin Köster. Die Filmemacher zeigen Kühnerts öffentliche Reden bei Parteitagen und Bundeskongressen der Jusos, aber auch interne Runden und Gespräche. Die Vereinbarung lautete: Vor der Bundestagswahl darf nichts veröffentlicht werden.
Schiele und Stratmann kommentieren Kühnerts Auftritte nicht, sondern zeichnen mit Pressestimmen und TV-Kommentaren einen Rahmen für die Geschichte.
Wer Kühnerts Aufstieg in den vergangenen Jahren verfolgt hat, wird vieles wiedererkennen:
Seine Rede beim Parteitag 2019, mit der er die Rote-Socken-Kampagne der Union antizipierte.
Seinen Kampf gegen die Große Koalition und gegen die Kandidatur von Olaf Scholz für den Parteivorsitz.
Und natürlich die Debatte über seine Sozialismusthesen .
Auffällig ist, dass bei den internen Runden vor allem Jusos auftauchen. Vertrauliche Gespräche mit Generalsekretär Lars Klingbeil etwa, einem engen Vertrauten von Kühnert, kommen kaum vor.
Heißt: Kühnert hat den Filmemachern zwar Zugang gewährt, diesen aber klar begrenzt. Stratmann berichtet, der Sozialdemokrat habe immer mal wieder gebeten, die Kamera auszustellen, wenn es um Interna gegangen sei. Das sei zwar ärgerlich, aber auch nachvollziehbar. Schiele ergänzt: »Als Kühnert noch Juso-Vorsitzender war, konnten wir mehr drehen.«
Im Wahlkampfjahr habe man die Strategie der unbedingten Geschlossenheit bei der SPD schon gemerkt.
Damit fehlt es der Doku ein wenig an spektakulären Szenen aus dem Innenleben der SPD, wie sie SPIEGEL-Redakteur Markus Feldenkirchen in seinem Buch über Martin Schulz' Kampagne 2017 lieferte. Dennoch gibt es spannende Einblicke in den Verlauf einer erstaunlichen Politikerkarriere.
Kühnerts Aufstieg verlief lange parallel zum Niedergang der SPD. Er profilierte sich als Gesicht der No-GroKo-Kampagne und trug wesentlich zum Sieg des Außenseiterduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans im Kampf um den Parteivorsitz bei. Mittlerweile ist er als stellvertretender Parteichef Teil des Establishments.
Kevin Kühnert
Doch gerade seine Distanz zu Scholz wird immer wieder deutlich. So regt Kühnert sich nach dem Rücktritt von Andrea Nahles im Sommer 2019 über den Finanzminister auf. Der hatte zuvor in einem Interview gesagt, er würde eine große Menge Geld darauf wetten, dass die GroKo auch ein Jahr später noch stünde. Er verstehe ihn einfach nicht, klagt Kühnert später vor seinen Mitarbeitern.
In einer anderen Szene reagiert er skeptisch auf das Scholz-Lob einer Parteifreundin. Scholz ziele nicht auf die eigenen Wähler, kontert Kühnert und fragt: »Was bringen uns Konservative, die ihn gut finden, aber deshalb noch lange nicht SPD wählen?« Aus heutiger Sicht eine Fehleinschätzung, da Scholz reichlich Wählerinnen und Wähler von der Union zur SPD holte.
Deutlich wird zudem, wie stark Kühnert in der Zeit seiner größten Medienpräsenz unter Druck stand. Als er mit der »Zeit« über seine Sozialismus-Utopie diskutierte, erklärten ihn einige Medien und konservative Parteifreunde zum Wahlschreck. Kühnert, der seine Auftritte genau plant und abwägt, dürfte da einmal kurz die Wirkung seiner Aussagen unterschätzt haben. Doch die Debatte schadet ihm nicht: Nach der verlorenen Europawahl im Mai 2019 wird er sogar für den Parteivorsitz gehandelt.
Kühnert zu Esken und Walter-Borjans vor einem Duell mit Scholz
Er verzichtet auf eine Kandidatur, versammelt die Jusos aber hinter dem Duo Esken/Walter-Borjans. Aufschlussreich ist eine Szene, in der Kühnert die beiden auf ein Duell mit Scholz und Klara Geywitz vorbereitet. Er wirkt dabei wie ein Coach, der seine Boxer auf einen Kampf einschwört. Er wünsche sich von Esken und Walter-Borjans, dass sie fröhlich aufträten, sagt Kühnert, »zeigt, dass ihr richtig Lust darauf habt und das Amt nicht als leidige Pflicht anseht«.
Angstmache vor einem GroKo-Aus sollen sie zurückweisen: »Unsere SPD arbeitet nicht mit Angst«, so Kühnert. Es gehe auch nicht darum, Scholz zu beschädigen. Und dann appelliert er noch mal: »Ihr habt Lust, Lust, Lust. Spielt den Vorteil ihm gegenüber bitte aus!«
Das Verhältnis zu den Vorsitzenden ist aber auch nicht immer konfliktfrei. Als Kühnert nach dem Sieg beim Mitgliederentscheid mit Vertrauten zusammensitzt und Esken im TV erscheint, sagt er: »Es wird alles sehr schwierig, aber wir werden auch viel Spaß mit ihr haben.«
Von der Nominierung des Kanzlerkandidaten erfährt Kühnert dann im August 2020 tatsächlich erst während der Präsidiumssitzung, in der Esken und Walter-Borjans Scholz vorschlagen. Obwohl er wusste, dass es auf Scholz hinausläuft, zeigt Kühnert sich »extrem enttäuscht«, nicht eingeweiht worden zu sein.
Die Doku, die sich lange mit dem GroKo-Gegner Kühnert beschäftigt, endet mit dem Tag der Bundestagswahl, mit dem Scholz-Sieg. Eine Wendung, die lange noch deutlich unwahrscheinlicher schien als Kühnerts Aufstieg in der SPD.
Sendetermine: ARD-Mediathek ab 2. Oktober, 18 Uhr; NDR-Fernsehen am 5. Oktober um 0 Uhr