Junge Politiker in Deutschland Unter 30, schnell auf 100
Junge Politiker sind in Deutschland selten. Dabei war es nie so leicht, Aufmerksamkeit zu bekommen. Drei Beispiele.
"Der jüngste Abgeordnete nimmt den AfD-Antrag auseinander"
"'Merkels Bubi' zerlegt AfD-Fraktion im Bundestag!"
"So aggressiv zerlegt dieser 25-Jährige den AfD-Antrag zum Burkaverbot"
Das waren die Schlagzeilen nach der Rede eines CDU-Abgeordneten im Bundestag. In gut sechs Minuten zeigte er der AfD juristische Fehler in ihrem Antrag zum Burkaverbot auf. Dass die Worte so viel Aufmerksamkeit bekamen, lag insbesondere am Redner: Mit 25 Jahren ist Philipp Amthor aktuell der zweitjüngste Abgeordnete im Bundestag.
Seit der Rede wird das Mitglied des Innenausschusses immer häufiger als Experte hinzugezogen. Bei der gewaltsam verhinderten Abschiebung in Ellwangen war das so, auch zum Familiennachzug wird er befragt. Bei Kevin Kühnert verlief es ähnlich. Immer wieder wurde der Juso-Chef belächelt, auch wegen seines Alters. Heute ist er aus einer Debatte über die Zukunft der SPD kaum noch wegzudenken.
Es schleicht sich der Eindruck ein, dass junge Menschen aktuell verstärkt in die Politik drängen. Aber ist das wirklich so? Gibt es mehr junge Politiker als früher? Oder sind sie einfach professioneller geworden?
Medienlandschaft und politische Lage helfen den Jungen
Klar, es war wohl noch nie so leicht, Aufmerksamkeit zu bekommen. "Heute muss man die Menschen weniger stark auf Parteitagen mitreißen, sondern über elektronische und digitale Medien", sagt Stephan Marschall, Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dass eine Rede im Bundestag "viral geht", war in Zeiten klassischer Massenmedien kaum möglich. Heute verbreiten YouTube, Facebook, Twitter und Co. jeden Fauxpas, jede Spitze blitzschnell.
Digital Natives wissen das zu nutzen: "Wenn mich jemand bei Facebook anschreibt, antworte ich", sagt Bundestagsabgeordneter Roman Müller-Böhm (FDP), 25. "Der Austausch mit Politikern ist leichter als jemals zuvor." Zu welcher Reichweite das führen kann, zeigt einmal wieder das Beispiel Kühnert: Er hat mittlerweile knapp 23.000 Abonnenten auf Facebook und mehr als 56.000 Follower auf Twitter.
Auch die derzeitige politische Landschaft hilft: Verjüngung und Erneuerung sind innerhalb der Parteien vorherrschende Themen. "Mittlerweile kann man als Person für Erneuerung stehen", sagt Marschall: "Das geht am besten, wenn man jung ist."
Und trotzdem ist der Anteil junger Politiker im aktuellen Bundestag im Vergleich zum vergangenen sogar gesunken. Amthor und Müller-Böhm sind zwei von 13 der insgesamt 709 Abgeordneten (1,8 Prozent) , die jünger als 30 Jahre alt waren, als sich der Bundestag Ende Oktober konstituierte. Im vorherigen Parlament waren es anfangs 18 von 631 (2,9 Prozent).
Der Mangel an jungen Abgeordneten könnte auch an fehlender Unterstützung liegen: In der Theorie heiße es zwar, junge Menschen müssten eine Chance bekommen, sie würden aber nur selten auch gefördert, sagt Kühnert.
Aus Sicht von Sozialwissenschaftler und Jugendforscher Klaus Hurrelmann liegt das daran, dass die Parteien es "vielleicht sogar als störend empfinden, wenn junge Leute mit andersartigen Vorstellungen in die Partei kommen". Die Jungen wiederum zeigen sich politisch interessiert, "fremdeln aber mit den Parteien", sagt Hurrelmann. Diese seien ihnen "zu apparathaft".
So ist es schon auf kommunaler Ebene für junge Menschen schwer, sich innerhalb eines solchen Apparats zu etablieren. "Es wird vorausgesetzt, dass man sich sehr lange vor Ort engagiert hat", sagt Kühnert. Gerade für junge Menschen sei das aufgrund von frühen und häufigen Wohnortwechseln allerdings kompliziert.
"Eher Zufall, wenn man als junger Mensch in die Politik kommt"
Deshalb gehört letztlich auch viel Glück dazu, um es schon früh in den Bundestag zu schaffen: "Es ist eher Zufall, wenn man als junger Mensch in die Politik kommt", sagt Müller-Böhm. Als der FDP-Politiker für die Bundestagswahl aufgestellt wurde, stand er in NRW auf Listenplatz 21. Die Umfragewerte im Land waren zu diesem Zeitpunkt schlecht. Dann aber gab es erst eine schwarz-gelbe Landesregierung und wenige Monate später saß Müller-Böhm mit damals noch 24 Jahren als jüngster Abgeordneter der aktuellen Legislaturperiode im Bundestag.
Die Zugangshürden verlangen von den potenziellen Jungpolitikern gewisse Eigenschaften, um Erfolg zu haben: "Ich bin vielleicht der jüngste direkt gewählte Bundestagsabgeordnete, aber nicht der schüchternste", sagt Amthor. "Wir sind mutiger, weil wir nur so verkrustete Strukturen aufbrechen können", sagt SPD-Mann Kühnert.
NoGroKo-Kampagne als Katalysator
Müller-Böhm empfand es als "unglaublich motivierend", was die Kühnert-Bewegung ausgelöst habe. Kühnert selbst sieht einen ähnlichen Effekt bei CDU und CSU: Während der Kampagne sei es auch "in der Jungen Union zeitweise lauter geworden". Amthor wiederum sieht das anders: "Wir brauchen keinen Kevin Kühnert, damit junge Politiker in der Union ernst genommen werden", sagt er.
Was die Entwicklung aus seiner Sicht hingegen erleichtert: Amthor nimmt eine größere Aufmerksamkeit bei Debatten im Bundestag wahr. Hier spiele auch die polarisierte Zusammensetzung im Parlament eine wichtige Rolle. Es ist unwahrscheinlich, dass Amthors Rede so viel Aufmerksamkeit bekommen hätte, wenn sie sich gegen eine andere Partei als die AfD gerichtet hätte.
In einem Punkt sind sich Amthor, Kühnert und Müller-Böhm einig: Respekt und Erfolg verschafft man sich durch inhaltliche Expertise. Anfangs gebe es zwar einen natürlichen Fokus auf das Geburtsjahr. Diese Aufmerksamkeit biete aber auch eine Chance, sagt Amthor. Und diese Chance müsse man nutzen, um eine inhaltliche Wahrnehmung zu erreichen.
Mittlerweile wird Amthor bei inhaltlichen Themen nicht mehr als "jüngster CDU-Abgeordneter" oder gar "Merkels Bubi" bezeichnet. Sondern als "Innenexperte".