Kinderbetreuung in Deutschland Versorgung mangelhaft

Die Debatte um Kinderbetreuungskosten täuscht über ein wesentliches Problem hinweg: Es gibt in Deutschland viel zu wenig Kitaplätze. Vor allem bei den Kindern unter drei Jahren ist die Situation in einigen Bundesländern immer noch katastrophal.
Von Jens Todt

Berlin - Das Kabinett hat am Mittwoch den umstrittenen Gesetzentwurf zur steuerlichen Behandlung der Kinderbetreuungskosten verabschiedet, wie er vor gut einer Woche auf der Klausur in Genshagen beschlossen worden war. Doch das Parlament wird er in dieser Form wohl kaum passieren, denn SPD und CSU fordern Nachbesserungen.

Zwar ist man sich einig darüber, Privathaushalte durch Steuerentlastungen dazu anzuregen, Arbeitsplätze in der Kinderbetreuung zu schaffen. Der Knackpunkt liegt allerdings in der Frage, ob die Kosten von Anfang an oder erst ab 1000 Euro steuerlich geltend gemacht werden können. Die SPD sieht in der Regelung eine Benachteiligung gering verdienender Eltern und fordert einen Steuerrabatt ab dem ersten Euro. Die beiden Fraktionschefs, Volker Kauder von der CDU und sein Pendant von der SPD, Peter Struck, ringen nun gemeinsam mit Familienministerin Ursula von der Leyen (CDU) um einen Kompromiss, der jedoch den vereinbarten Finanzrahmen von 460 Millionen Euro Mehrausgaben in diesem Bereich nicht überschreiten soll.

Bei der Klärung von Detailfragen gerät allerdings ein wesentlicher Aspekt der Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Hintergrund: Es geht nicht allein um die Finanzierbarkeit der Betreuung, es gibt vor allem viel zu wenig Möglichkeiten für Eltern, Kleinkinder unter drei Jahren oder Schulkinder in die Obhut einer entsprechenden Einrichtung zu geben.

Während nahezu alle Bundesländer ausreichend Kindergartenplätze für Drei- bis Sechsjährige zur Verfügung stellen, sieht es bei den Krippen- und Hortplätzen dramatisch schlechter aus. Doch das Bild ist bei weitem nicht einheitlich, es gibt enorme regionale Unterschiede. Eltern in Nordrhein-Westfalen oder Bayern haben nur geringe Chancen, ein Kind unter drei Jahren tagsüber betreuen zu lassen, in den neuen Bundesländern ist dies in der Regel kein Problem. Im Osten Deutschlands zehrt man noch von der DDR-Tradition der umfassenden Kinderversorgung.

Das fehlende Angebot der Länder und Kommunen führt mancherorts zu einem Boom privater Tagesmütter, die, häufig ohne jede pädagogische Ausbildung, den Nachwuchs berufstätiger Eltern betreuen. Tagesmütter, die nicht von den Jugendämtern gefördert werden, bedienen einen grauen Markt und tauchen in keiner offiziellen Statistik auf.

Vor allem die westdeutschen Flächenländer bieten ein trostloses Bild. In Schleswig-Holstein gibt es für weniger als drei Prozent der Kleinkinder unter drei Jahren Betreuungsmöglichkeiten, Nordrhein-Westfalen kommt gerade einmal über die Dreiprozentgrenze. In Sachsen hingegen können in der gleichen Altersgruppe 38,4 Prozent der Kinder tagsüber betreut werden, womit nahezu eine vollständige Abdeckung erreicht ist.

Denn natürlich entschließt sich längst nicht jede Familie, den ein- oder zweijährigen Nachwuchs in die Obhut einer Krippe zu geben. In den neuen Ländern und den Stadtstaaten Hamburg und Berlin hat man aber zumindest die Wahl. Allerdings setzt sich offenbar auch im Rest des Landes langsam die Erkenntnis durch, dass in einer flexibilisierten Arbeitswelt herkömmliche Lebensmodelle keinen Anspruch auf absolute Gültigkeit mehr haben.

Baden-Württemberg, im Ländervergleich einst auf den hinteren Rängen bei der Kleinkinderbetreuung, hat die Zahl seiner Krippenplätze durch ein landesweites Förderprogramm in den vergangenen Jahren immerhin um fast zwei Drittel erhöht. Doch die aktuellen Zahlen geben keinen Grund zu überschäumender Freude: Für gerade mal 6,4 Prozent der unter Dreijährigen steht jetzt ein Betreuungsplatz zur Verfügung. Zusätzlich setzt man im Südwesten des Landes auf den verstärkten Einsatz von Tagesmüttern. "Vor allem in den ländlichen Regionen unseres Bundeslandes ist die Pflege zu Hause sehr beliebt", sagt eine Sprecherin des Stuttgarter Sozialministeriums.

Die Stadtstaaten Hamburg und Berlin belegen bei der Kinderbetreuung im Ländervergleich Spitzenplätze. An der Elbe hat der Senat ein Gutscheinsystem etabliert. Mit den von den Jugendämtern vergebenen Berechtigungsscheinen können Eltern die Kita für ihr Kind frei in der Hansestadt wählen.

Bei der Berliner Senatsverwaltung für Bildung ist man stolz darauf, dass in der Hauptstadt für fast die Hälfte der Kinder unter drei Jahren Krippenplätze angeboten werden. Zudem will man dem Saarland und Rheinland-Pfalz folgen und das letzte Kindergartenjahr vor der Einschulung beitragsfrei stellen. Damit soll vor allem Migrantenkindern die Integration erleichtert werden. Der Senat hat außerdem eine Qualitätssicherungsvereinbarung mit allen Kita-Trägern geschlossen. Das vereinbarte Bildungsprogramm muss verbindlich umgesetzt werden.

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