Kleiner Parteitag CDU startet lustlos ins schwarz-gelbe Projekt

CDU-Abstimmung über den Koalitionsvertrag: "Nicht das Ende der Debatte"
Foto: A3534 Hannibal Hanschke/ dpaBerlin - Kurz vor Schluss versucht es mit einem Weckruf. "Ein Programm, das einschläfert, ist nicht das, wofür wir gestritten haben", ruft er in den Saal. Die Delegierten klatschen kräftig. Endlich mal. Denn als Hessens Ministerpräsident ans Rednerpult tritt, plätschert der kleine Parteitag der CDU seit zweieinhalb Stunden müde vor sich hin. Ohne Euphorie, ohne Emotion, ohne Aufbruchstimmung.
Von Feierlaune wie bei den Freien Demokraten am Sonntag ist hier nichts zu spüren. Die Liberalen haben zwar einen deutlich größeren Parteitag abgehalten, mit gut 600 Delegierten. Die CDU hat nur den sogenannten Bundesausschuss einberufen, zu dem gerade einmal rund 90 Funktionäre gekommen sind. Dennoch soll an diesem Montag das angeblich so lang ersehnte Bündnis mit der FDP besiegelt werden, ein "Projekt von strategischer Dimension", wie Koch zu beschwören versucht, eines, das bis weit ins nächste Jahrzehnt Bestand haben soll. Doch irgendwie wirkt das alles wie der Saal, den sich die CDU im "Hotel Berlin" ausgesucht hat: zweckmäßig, aber eben auch ziemlich schmucklos.
Angela Merkel erhält für ihre Verteidigungsrede zum Koalitionsvertrag, den sie am Abend mit und in der nordrhein-westfälischen Landesvertretung unterschreiben wird, zwar langen, aber doch auch braven Beifall. Auf stehende Ovationen muss die Parteichefin verzichten. Auch Roland , der sich immerhin nach vier Jahren als Generalsekretär ins Kanzleramt verabschiedet, bekommt zum Dank nur sehr knapp gehaltenen Applaus.
Und bis auf Koch werden alle anderen, die sich auf der Bühne offen zustimmend oder auch kritisch zum Vereinbarten äußern, von den Zuhörern im Raum mit gepflegtem Desinteresse bedacht. Immerhin: Einmütig stimmen die Delegierten am Ende dem Vertragswerk zu. Es gibt nur zwei Enthaltungen.
Merkels Mahnung an die FDP
Merkel stimmt ihre Partei noch einmal auf harte Zeiten ein. Eindringlich erinnert sie an die desolate wirtschaftlichen Lage. Die neue Legislaturperiode verlange "eine unglaubliche Ernsthaftigkeit", sagt sie. Das sei vielleicht noch nicht bei jedem angekommen. Manch einer im Saal hört da die erste Ermahnung an die FDP heraus. Die alte und neue Kanzlerin jedenfalls reklamiert den Führungsanspruch allein für die Union. Die werde die Grundzüge der künftigen Politik "klar setzen".
Rund 40 Minuten dauert Merkels Streifzug durch den Koalitionsvertrag, eine Rede, in der alle künftigen Kabinettsmitglieder der Union eine lobende Erwähnung finden. Sie verteidigt die geplanten Milliardenzuschüsse an die und das Prinzip Hoffnung bei den angestrebten Steuersenkungen. "Voll auf Wachstum" setze der Pfad, den Schwarz-Gelb nun gehe - ohne Garantie, "dass es klappt", wie Merkel einräumt.
Auf die zurückhaltenden Worte ihres designierten Finanzministers Wolfgang Schäuble zur Steuerstrukturreform 2011 geht die CDU-Chefin nicht ein. Stattdessen blickt sie zu ihren beiden stellvertretenden Vorsitzenden Koch und , die sich während der Koalitionsverhandlungen ebenfalls warnend geäußert hatten. "Das wird noch ein hartes Stück an Kooperation mit den Ländern sein", sagt sie. Die beiden Ministerpräsidenten schauen nicht von ihren Unterlagen auf.
Merkel braucht die Länder
Merkel weiß, eine Steuerreform ist ohne die Länder nicht zu machen. Schon gar nicht ohne jene, in denen ebenfalls eine schwarz-gelbe Regierung am Ruder ist. Die Mehrheit von Union und FDP im ist knapp, und sie hält nur, wenn es im Mai in NRW keinen Machtwechsel gibt. Doch auch wenn der Vorsprung in der Länderkammer hält, kann Merkel sich nicht unbedingt auf die Loyalität aller schwarz-gelben Länderfürsten verlassen.
Niedersachsens Christian Wulff hatte Merkel in den Koalitionsverhandlungen mit einer Attacke gegen die "unseriösen" Steuerpläne der FDP aufgeschreckt. Alleine stand er damit nicht - im Gegenteil. Auch Hessens Koch, Sachsens und Baden-Württembergs meldeten lauthals Bedenken gegen Steuersenkungen an, die weitere Löcher in ihre eigenen Etats reißen. Die aufgeweichten Formulierungen im Vertrag dürften die Ministerpräsidenten nur vorübergehend beruhigen.
Wulff ergreift am Montag nicht das Wort. Koch spricht von "der oberen Grenze dessen, was man riskieren kann", attestiert der CDU-Chefin allerdings auch, dies offen einzugestehen. Das gilt weniger für einen anderen Punkt, den der Hesse betont: "Wir werden noch Diskussionen führen, was wo und wie viel gespart werden muss." Kurz vor ihm hat schon Saarlands Regierungschef , der derzeit am ersten Jamaika-Bündnis bastelt, die Vereinbarung mit der FDP einen "Diskussionsvertrag" genannt. Das ist zwar ein Versehen, hat aber einen wahren Kern: Der Vertrag sei eine gute Grundlage, "aber nicht das Ende der Debatte", findet Müller.
Kritik von Arbeitnehmern, Arbeitgebern - und aus dem Osten
Auch nicht für : Der Unionsfraktionsvize hatte am Samstag im CDU-Vorstand als einziger gegen den Vertrag gestimmt, nun aber, in größerer Runde, will er nicht mehr alleine stehen. Er habe seit seinem Nein viel Gespräche geführt und könne seine Bedenken zurückstellen, sagt Vaatz. Seine Vorbehalte gegen mögliche tiefgreifende Reformen im Gesundheitswesen bekräftigt er, man habe ihm aber versichert, dass es "Möglichkeiten gebe, diese Entwicklung zu beeinflussen". Enttäuscht ist Vaatz auch darüber, dass es 20 Jahre nach dem Fall der Mauer neben der Kanzlerin keinen Minister mit ostdeutscher Biografie im Kabinett mehr gebe.
Kritische Stimmen kommen auch vom Arbeitnehmerflügel der CDU: Ingrid Sehrbrock, in seltener Amtsunion Vorstandsmitglied sowohl bei der CDU wie auch beim , hätte sich "mehr Mut zur Wahrheit" in der Steuerpolitik gewünscht, der Ausstieg aus der solidarischen Kranken- und ist für sie "ein bisschen viel FDP". IG-Metall-Vertreterin Regina Görner, einst CDU-Sozialministerin im Saarland, brandmarkt den künftigen Koalitionspartner gar als "neoliberale Partei, die nichts aus der Krise gelernt hat".
Ähnlich dürfte Görner auch über Parteifreund denken, der den Koalitionsvertrag am Morgen im Deutschlandfunk noch kritisierte, ihn auf dem Parteitag nun aber als "gutes Fundament" lobt. Er will darin sogar "eine Brücke nach Leipzig" erkennen, sagt er mit Blick auf den Parteitag 2005, auf dem Merkel radikale, neoliberale Reformen gefordert hatte, von denen sie sich allerdings längst wieder verabschiedet hat. Merkels Gesichtsausdruck während Schlarmanns Worten verrät, dass sie dessen Argumentation nicht folgen kann.
So bekommt die CDU-Vorsitzende trotz der formal einhelligen Zustimmung an diesem Tag sehr deutlich zu spüren, dass der erfolgreiche Abschluss der "harten und intensiven Verhandlungen", wie sie die Gespräche mit FDP und CSU wiederholt bezeichnet, noch lange keinen Frieden bringt. "Wir werden noch schwierige Auseinandersetzungen bekommen", sagt sie - und meint dabei auch die eigenen Reihen.