Verschärfungen beim Klimaschutz Erst das Ziel, dann der Weg

Schlote in Oberhausen
Foto: Lukas Schulze / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Die gute Nachricht aus Sicht der Regierungsparteien: Ein Koalitionsausschuss – schlimmstenfalls mal wieder bis in die frühen Morgenstunden – scheint diesmal nicht notwendig zu sein. Dafür glühen derzeit die Drähte zwischen Kanzleramt, den beteiligten Ministerien sowie den Vorsitzenden und Fachpolitikern in den Regierungsfraktionen. Man arbeite unter Hochdruck an dem Ziel, am Mittwoch ein novelliertes Klimaschutzgesetz durchs Kabinett zu bekommen, heißt es gegenüber dem SPIEGEL.
Allerdings dürfte es wohl nur ein abgespecktes Paket sein, das die Koalition unter dem Druck des Urteils aus Karlsruhe auf den Weg bringt. Das Bundesverfassungsgericht hatte vorvergangene Woche schärfere Klimaschutzziele vom Gesetzgeber angemahnt. Diese soll der Entwurf nun auch enthalten, so ist zu hören – doch vor allem konkrete Maßnahmen und weitere Instrumente wie die Erhöhung der CO₂-Preise dürften darin nach SPIEGEL-Informationen noch nicht enthalten sein. Entsprechende Pläne, heißt es, könnten per Protokollerklärung verpackt und in den kommenden Wochen beschlossen werden.
Im Klimaschutzgesetz werden die neuen Ziele für mehr Schutz gegen die Erderhitzung formuliert. Darüber hinaus – das wäre Teil zwei – soll ein Sofortprogramm mit Maßnahmen beschrieben werden, die zwar noch nicht ausreichend sein dürften, um die neuen Zielvorgaben zu erfüllen, aber immerhin ein Signal senden, dass die Regierung nicht einfach nur Ambitionen formuliert. Dieser Vorwurf kommt vor allem von der Fridays-for-Future-Bewegung, den Öko-Verbänden und den Grünen.
Dritter Teil der Last-Minute-Lösung könnten auch noch einmal verschärfte CO₂-Preise sein und eine Kompensation des Ökostrom-Zuschlags (die sogenannte EEG-Umlage) durch den Bundeshaushalt oder die Einnahmen aus dem Emissionshandel.
»Wir sollten dann den Ehrgeiz haben, da im parlamentarischen Verfahren noch draufzulegen«, sagte Unionsfraktionsvize Andreas Jung (CDU) dem SPIEGEL. »Höhere CO₂-Preise und niedrigere Stromkosten, mehr Erneuerbare und Hochdruck beim Wasserstoff – dafür sollten wir noch vor der Wahl wichtige Weichen stellen«, so Jung. »Denn das sind die maßgeblichen Bausteine des Wegs zur Klimaneutralität.«
Änderungen sind kompliziert
Diese Art von Arbeitsökonomie scheint geboten, weil schon die Änderungen im Klimaschutzgesetz äußerst kompliziert sind. Unstrittig ist, dass bis 2030 die Klimaziele von 55 Prozent weniger CO₂-Emissionen auf 65 Prozent angeschärft werden müssen. Klar ist auch, dass die Klimaneutralität fünf Jahre früher erreicht werden soll. Doch was heißt das für die einzelnen Bereiche Verkehr, Gebäude, Energiewirtschaft, Industrie, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft?
Die jahresgenaue Festschreibung der Klimaziele erfordert, dass die Belastungen auf die sechs Bereiche aufgeteilt werden. Die Unionsseite will nach SPIEGEL-Informationen die höheren Einsparmengen vor allem auf Energiewirtschaft und Industrie verteilen. Statt 175 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent, wie bislang vorgesehen, würden fossil befeuerte Kraftwerke im Jahr 2030 nur noch 108 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent ausstoßen dürfen. Das wäre eine drastische Verschärfung des Einsparziels und dürfte den geplanten Kohleausstieg, der in einem separaten Gesetz bis 2038 geregelt wird, noch einmal deutlich beschleunigen. Aber macht die SPD dabei mit?
Falls die Union sich damit durchsetzt, dürfte es Widerstand vor allem aus dem Osten geben – und zwar auch aus der CDU: Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff, der Anfang Juni eine Landtagswahl bestreiten muss, hatte bereits Ende vergangener Woche im SPIEGEL davor gewarnt, am Ausstiegsfahrplan zu rütteln. Haseloff sagte: »Wenn man die Klimaziele generationengerecht neu festlegen will, müssen daher die anderen CO₂-erzeugenden Bereiche durch bereichsspezifische Gesetze ebenso normiert werden.« Mit anderen Worten: Bei Verkehr und Gebäuden solle mehr getan, nicht aber Kohlegruben früher dichtgemacht werden.
Union will Verkehrsbereich mehr ausnehmen
Doch die Koalition könnte genau das Gegenteil beschließen. Die Bereiche Verkehr und Gebäude sollen – jedenfalls nach Wunsch der Union – weniger Beitrag zum 2030er-Ziel leisten. In den beiden Bereichen seien leider keine so schnellen Einsparungen zu erzielen, heißt es dazu aus Verhandlungskreisen. So würden die höheren Belastungen erst Mitte des Jahrzehnts einsetzen. 2030 sollen der Gebäudesektor dann 67 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent jährlich ausstoßen (ursprünglich geplant: 70 Millionen Tonnen) und der Verkehrsbereich 85 Millionen Tonnen statt ursprünglich 95 Millionen Tonnen. So zumindest lauten die Kennziffern für die Klimaziele, wie sie über das Wochenende verhandelt wurden.
Eine Einigung über die genauen Einsparverpflichtungen soll eine Staatssekretärsrunde im Laufe des Montags bringen. Es ist davon auszugehen, dass die verschiedenen Lobbygruppen auch noch einmal versuchen werden, Einfluss zu nehmen.
So erinnerte der Verband der deutschen Autoindustrie (VDA) bereits Ende vergangener Woche an eine durchaus umstrittene Studie des Ifo-Instituts aus dem vergangenen Jahr, wonach eine sozial nicht ausgewogene, zu schnelle Transformation in der Autoindustrie 215.000 Arbeitsplätze gefährden könnte.