Klimaschutz-Paket der GroKo Es war doch klar, worauf die Leute warten

Jeden Tag quält sich unsere Autorin mit der Frage, ob sie umweltbewusst genug lebt. Vom Klimapaket erhoffte sie sich Antworten. Die Ergebnisse nimmt sie der Bundesregierung ganz persönlich übel.
Demonstration in Hannover: Das gesellschaftliche Klima war doch erkennbar in den letzten Monaten deutlich mehr erhitzt als das ökologische

Demonstration in Hannover: Das gesellschaftliche Klima war doch erkennbar in den letzten Monaten deutlich mehr erhitzt als das ökologische

Foto: Sina Schuldt / dpa

Das Schöne an realpolitischen Kommentaren ist ja, dass sie einem das Übel als Notwendigkeit erklären. Die autofreie Stadt? Klappt vielleicht in den Niederlanden, aber doch nicht im Autowunderland Deutschland!

Mehr Ökologie? Wäre großartig, ist aber im Wirtschaftswunderland nicht durchzusetzen. Mehr Transparenz? Großartige Idee, aber die Lobbygruppen, die sind dagegen.

Ein Wechsel im Verkehrsministerium? Fänden alle richtig, aber der Parteienproporz lässt das leider nicht zu.

Ich bin gespannt, wie man mir schlüssig erklären kann, warum die Große Koalition nun politischen Selbstmord begeht. Die Demonstrationen des heutigen Tages waren größer, als viele erwartet hatten: Mehr Leute auf den Straßen, allein 270.000 in Berlin, mehr als 70.000 in Köln und Hamburg, viele Zehntausende in anderen Städten. Okay.

Das gesellschaftliche Klima war doch erkennbar in den letzten Monaten deutlich mehr erhitzt als das ökologische. Es war doch klar, worauf die Leute warten, nicht nur die Schüler von "Fridays for Future", nicht nur die 2000 Wissenschaftler, die sich klar positioniert haben für eine andere Politik - sondern auch fast alle anderen im Land.

Die es unendlich leid sind, im Supermarkt die Avocado hin und her zu drehen bei der Frage, ob, was der Gesundheit guttut, ökologisch denn noch vertretbar ist. Die grimmig Bioblaubeeren in der Plastikbox kaufen und noch grimmiger ein marodes öffentliches Verkehrsnetz nutzen. Die sich fassungslos fragen, warum in diesem Land noch immer die Massentierhaltung mehr ökonomische Vorteile bringt als die biologische Landwirtschaft und warum Deutschland mehr Gülle in seine Böden lässt als die EU erlaubt.

Die es satthaben, den offensichtlichen Wahnsinn als Konsumenten noch zu befördern, wenn sie nur das Nächstliegende und das Preiswerte tun.

Die meisten von ihnen haben darauf gewartet, dass die Große Koalition den politischen Willen der Vernünftigen umsetzt. Dass sie handelt, dass sie ihre Macht und ihre Möglichkeiten nutzt, dass sie Verantwortung übernimmt.

Aber nichts davon ist geschehen.

Ein untaugliches, noch dazu kompliziertes Bündel von Kleinstmaßnahmen, eine schädliche Pendlerpauschale, ein Weitermachen "in kleinen Schritten bei bleibendem Wohlstand", eine Fortsetzung der "konventionellen", sprich: ökologisch verheerenden Landwirtschaft. Eine Blamage und ein Desaster.

Warum?

Falls es die Angst sein sollte, dass einschneidende Maßnahmen unpopulär sind: Eine ganze Generation hat den "autofreien Sonntag", den Kanzler Brandt verordnete, in belebender und lustiger Erinnerung.

Das Rauchverbot in Gaststätten, die Anschnallpflicht: wurden erst murrend, dann dankbar akzeptiert. Wenn der Staat nicht durchsetzen würde, was im Interesse des Allgemeinwohls ist, dann hätten wir heute noch keine allgemeine Schulpflicht und die Kinder würden im Bergbau schuften, weil sie ja so gut in die engen Schächte passen.

Union und SPD, Ihr habt Eure Möglichkeit gehabt. Und Ihr habt sie verplempert, verläppert, vergeigt. Der heutige Tag hat gezeigt, dass Ihr mit Eurer Kraft so wenig anfangen könnt wie die Dinosaurier mit der ihren, sobald es auch auf den Verstand ankommt. Die Welt ist dabei nicht untergegangen. Die Dinos schon.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version hieß es, Kanzler Helmut Schmidt habe den "autofreien Sonntag" angeordnet. Tatsächlich fiel diese Maßnahme in die Amtszeit von Willy Brandt.

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