Milliardenpoker Koalition streitet über Nachfolger für "Tornado"-Kampfjets

"Tornado"-Jet auf dem Fliegerhorst Jagel (Archivfoto)
Foto:Thomas Trutschel/ photothek/ imago images
Die Verteidigungsministerin schien sich sicher zu sein. Sie werde dafür sorgen, versprach Annegret Kramp-Karrenbauer am vergangenen Freitag, "dass in den nächsten Tagen die Entscheidung zur "Tornado"-Nachfolge gefällt werden kann". Seit heute Mittag ist klar, dass die CDU-Frau dieses Versprechen nicht halten kann.
Wenige Stunden bevor die wichtigste Rüstungsentscheidung ihrer Amtszeit öffentlich werden sollte, ruderte das Verteidigungsministerium zurück. Die Bekanntgabe der "Tornado"-Nachfolge müsse auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden, hieß es. Was war passiert?
Seit Monaten beobachten die Sozialdemokraten mit wachsendem Misstrauen, wie Kramp-Karrenbauer die Beschaffung von neuen Kampfflugzeugen vorantreibt - ohne den Koalitionspartner einzubinden. Der "Tornado" absolvierte 1974 seinen Erstflug und ist damit selbst nach Bundeswehrmaßstäben ein uraltes Flugzeug. Er muss dringend ersetzt werden.
"Wir sind uns einig, dass es einen Nachfolger geben muss", sagt Fritz Felgentreu, der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagfraktion, "doch klar ist, dass wir die Lösung erst koalitionsintern beraten sollten, bevor wir an die Öffentlichkeit gehen."
"Tornado"-Maschinen sollen durch "Eurofighter" und F-18-Jets ersetzt werden
Doch genau das sei nicht passiert, sagt Felgentreu. Dabei ist es im Verteidigungsministerium ein offenes Geheimnis, dass Kramp-Karrenbauer die entsprechende Beschaffungsvorlage ihres Hauses schon vor Wochen abgezeichnet hat. Danach sollen die 93 "Tornados" der Luftwaffe ab 2025 durch bis zu 90 "Eurofighter" von Airbus und 45 Kampfflugzeuge vom Typ F-18 des US-Konzerns Boeing ersetzt werden - eine Investition in vermutlich zweistelliger Milliardenhöhe.
Natürlich habe es Gespräche der Ministerin "mit den Kollegen und Kolleginnen der Koalition gegeben, und sie werden weiter fortgesetzt", versichert eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. In der Tat hat Kramp-Karrenbauer in den vergangenen Wochen mit Außenminister Heiko Maas und Finanzminister Olaf Scholz über das Beschaffungsvorhaben gesprochen.
Rolf Mützenich allerdings, den einflussreichen Chef der SPD-Bundestagsfraktion, ließ sie außen vor. Dabei soll selbst die Kanzlerin darauf gedrängt haben, Mützenich einzubinden. Am Ende waren es dann die Sozialdemokraten, die verhinderten, dass die "Tornado"-Entscheidung bekannt gegeben werden konnte.
SPD-Fraktionschef Mützenich spielt auf Zeit
Kramp-Karrenbauer müsse sich langsam daran gewöhnen, dass sie nicht mehr im Saarland unterwegs sei, sondern in Berlin, kritisiert ein einflussreiches Mitglied der Unionsfraktion die Ministerin. Ihr Politmanagement lasse nicht zum ersten Mal zu wünschen übrig. Schon mit ihrem unabgesprochenen Vorstoß, eine Schutzzone im Norden Syriens einzurichten, habe sie den Koalitionspartner im vergangenen Jahr unnötig vergrätzt.
Mit ihrem ungeschickten Vorgehen hat die Ministerin dem SPD-Fraktionschef ungewollt in die Hände gespielt. Mützenich ist Atomwaffengegner und spielt auf Zeit. Am "Tornado" hängen im Ernstfall amerikanische Atombomben, die von deutschen Piloten eingesetzt werden könnten. Gibt es keinen rechtzeitigen Ersatz für den "Tornado", müsste sich Deutschland aus dieser "nuklearen Teilhabe" der Nato verabschieden, weil die altersschwachen Maschinen diese Rolle irgendwann nicht mehr erfüllen könnten. Mützenich hat deshalb kein Interesse an einer schnellen Lösung.
Wie lange es nun noch dauern wird, ist unklar. Genauso wie bei der Finanzierung des gewaltigen Beschaffungsprogramms. Schon jetzt befürchten die Strategen im Ministerium, dass der Kampf gegen das Coronavirus und eine drohende Weltwirtschaftskrise erhebliche Folgen für den Wehretat haben könnte. Die Rechnung ist simpel: Milliardenschwere Hilfsprogramme für die Wirtschaft könnten in den nächsten Monaten und Jahren sinnvoller erscheinen als die teure Modernisierung der Bundeswehr.
Verteidigungsministerium rechnet mit Abkehr von gemeinsamen Militärprojekten in Nato und EU
Die Beamten schlagen Alarm. In einer vertraulichen Analyse für die Verteidigungsministerin heißt es, die großen Hilfsprogramme für die Wirtschaft hätten "bereits jetzt spürbare Auswirkungen auf die Sicherheits- und Verteidigungspolitik" der wichtigsten Partner. Man müsse deswegen in den nächsten Monaten mit "Infragestellung und Abkehr" von gemeinsamen Militärprojekten in der Nato und der EU rechnen, entsprechende Signale gebe es bereits aus Ungarn, Polen und Finnland. In Deutschland, aber auch bei den Partnern, werde es "absehbar schwieriger, ambitionierte Streitkräftemodernisierungsprogramme umzusetzen oder engagierte Beiträge zur globalen Sicherheit und Stabilität gesellschaftlich und parlamentarisch zu begründen".
Der Ministerin raten die Strategen, den Kampf ums Geld früh zu beginnen. Daheim und gegenüber den Nato-Partnern solle die Ministerin umgehend vor "Verdrängungseffekten bei den Verteidigungsausgaben" warnen. Statt die "zu erwartenden Einschnitte" einfach abzuwarten, müsse AKK darauf drängen, dass sowohl das Zwei-Prozent-Ziel der Nato für die Verteidigungsausgaben gültig als auch die eingeleiteten Reformprogramme für die Bundeswehr trotz der Coronakrise auf Kurs blieben.
Erst mal aber wird Kramp-Karrenbauer zu Hause ihren Etat stabil halten müssen. Schon bei den jüngsten Beratungen über die mittelfristige Finanzplanung bis 2023 gestand ihr Finanzminister Scholz nur homöopathische Steigerungen zu. Kommt es jetzt durch die Coronakrise zu massiven Einsparungen, könnte es für die angepeilte "Tornado"-Nachfolgelösung eng werden. Auch ohne den Widerstand von Rolf Mützenich.