Szenarien für Koalitionen Das kommt nach dem Wahlkrimi

Wahlplakate bei Pirna: Wer regiert Deutschland?
Foto: Arno Burgi/ dpaBerlin - Jetzt geht es um Sieg oder Niederlage, um den Gang auf die Regierungsbank oder in die Opposition: Rund 61,8 Millionen Deutsche sind an diesem Sonntag aufgerufen, einen neuen Bundestag und damit eine neue Regierung zu wählen. Wenn um 18 Uhr die Wahllokale schließen, sind alle Umfragen Makulatur. Dann entscheidet sich tatsächlich, wer künftig die Geschicke des Landes lenkt.
Es dürfte ein sehr enges Rennen geben, einen echten Wahlkrimi. Ob Angela Merkel ihr erklärtes Ziel erreichen kann, die schwarz-gelbe Koalition fortzusetzen, ist völlig ungewiss. Bis zuletzt sehen die Meinungsforscher Union und FDP zwar deutlich vor dem rot-grünen Lager. Für eine klare Mehrheit aber reicht es nicht mehr. Ist die Ära der Kanzlerin also nach acht Jahren vorbei? Dafür bräuchte SPD-Herausforderer Peer Steinbrück wohl ein kleines Wunder.
Was also erwartet uns nach diesem Wahltag? Wer regiert das Land in den kommenden vier Jahren? SPIEGEL ONLINE beschreibt neun Szenarien und sagt, wie wahrscheinlich sie sind.
1. Schwarz-Gelb

Philipp Rösler, Horst Seehofer, Angela Merkel: Neuauflage für Schwarz-Gelb?
Foto: AFPEs ist das erklärte Wahlziel von CDU, CSU und FDP: Angela Merkel regiert vier weitere Jahre mit einer schwarz-gelben Koalition. Vor einigen Monaten, als sich Union und Liberale gern gegenseitig beschimpften, schien das noch undenkbar. Jetzt ist die Neuauflage des Bündnisses zumindest wieder greifbar. In den vergangenen Wochen sahen Meinungsforscher Schwarz-Gelb immer mal wieder ein Pünktchen vor dem Oppositionslager.
Die internen Kräfteverhältnisse wären allerdings andere, denn ein Rekordergebnis wie 2009 bleibt für die FDP unerreichbar. Auch dürfte die Mehrheit im Bundestag wegen des neuen Wahlrechts und des Ausgleichs von Überhangmandaten knapper ausfallen. Das könnte der Kanzlerin vor allem beim Euro-Rettungskurs Probleme bereiten. Merkel kann auch nicht davon ausgehen, dass eine geschrumpfte FDP plötzlich zum pflegeleichten Partner wird. Und dann gibt es ja noch CSU-Chef Horst Seehofer, der nach der Rückeroberung der Alleinherrschaft in Bayern vor Kraft kaum laufen kann. Ein Spaziergang wird Schwarz-Gelb sicher nicht.
Prognose: möglich
2. Rot-Grün

Jürgen Trittin, Peer Steinbrück: Hoffen auf rot-grünes Wunder
Foto: JOHANNES EISELE/ AFPDas Wunschbündnis der Gegenseite. Die Sozialdemokraten um Kanzlerkandidat Peer Steinbrück und die Grünen um Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt werden nicht müde, ihr Ziel einer rot-grünen Koalition zu proklamieren. Die Umfragen allerdings sprechen eine deutliche Sprache: Eine Mehrheit für SPD und Grüne ist auch bei größtem Optimismus nicht in Sicht. Zwar konnten die Genossen zuletzt zulegen, dafür zeigte der Trend bei den Grünen nach unten. Steinbrück bräuchte ein kleines Wunder, um Merkel aus dem Kanzleramt zu vertreiben.
Wie sieht dieses Wunder aus? Die FDP scheitert knapp an der Fünfprozenthürde; die Euro-Gegner von der Alternative für Deutschland nehmen dem bürgerlichen Lager ordentlich Stimmen weg, schaffen es aber nicht in den Bundestag; und Massen von Merkel-Fans bleiben zu Hause, weil sie glauben, die Wahl sei schon gelaufen. Dazu strömen lange verprellte Sozialdemokraten plötzlich wieder an die Urne, und die gutsituierte Grünen-Klientel blendet Steuererhöhungspläne, Pädophilie-Debatte und Fleisch-Verbote aus. Wohl ein bisschen zu viel des Guten.
Prognose: unwahrscheinlich
3. Rot-Rot-Grün

Gregor Gysi, Claudia Roth, Sigmar Gabriel: Linkes Schreckgespenst
Foto: Sean Gallup/ Getty ImagesEs ist das linke Schreckgespenst, mit dem Union und FDP ihre Wähler mobilisieren wollen. Doch auch wenn die Linkspartei Flirtversuche unternimmt, die maßgeblichen Akteure von SPD und Grünen schließen eine Zusammenarbeit mit Gregor Gysis Truppe nach der Bundestagswahl aus. Dem darf man glauben, ein Wortbruch würde die Parteien zerreißen. Ohnehin trennt Rot-Grün und die Linke inhaltlich noch immer viel, vor allem in der Europa- und Außenpolitik.
Die rot-grünen Dementis gelten aber nicht für die Ewigkeit. Eine Annäherung in den nächsten Jahren ist zumindest vorstellbar, wenn Rot-Rot-Grün auf Dauer die einzige Machtperspektive für das linke Lager in Deutschland bietet.
Prognose: ausgeschlossen
4. Große Koalition

Merkel, Gabriel: Teuer erkaufte Große Koalition
Foto: Kay Nietfeld/ picture alliance / dpaGroße Koalition geht immer, könnte man sagen. Wenn es weder für Schwarz-Gelb noch für Rot-Grün reicht, dann tun sich eben Union und SPD zusammen - hat doch schon von 2005 bis 2009 ganz gut geklappt. Stimmt, und trotzdem sind die Voraussetzungen für ein solches Bündnis diesmal ungleich schwieriger.
Die Sozialdemokraten gingen aus der gemeinsamen Regierungszeit mit Merkel schwer gerupft hervor, entsprechend klein ist die Sehnsucht nach einer Wiederholung. Die Union ihrerseits geht genau deswegen davon aus, dass eine schwarz-rote Koalition diesmal deutlich instabiler wäre. Steinbrück hat bereits ausgeschlossen, noch einmal Minister unter Merkel zu werden. Also würde SPD-Chef Sigmar Gabriel Anspruch auf das Amt des Vizekanzlers erheben - und den halten viele in der Union für unberechenbar.
Zusammenraufen würde man sich wohl trotzdem, auch die SPD-Linke dürfte zähneknirschend mitmachen. Zu groß ist die Sorge, dass eine Verweigerungshaltung bei Neuwahlen bestraft würde. Aber: Je besser ihr Ergebnis, umso teurer werden sich die Sozialdemokraten verkaufen. Gut möglich, dass die Union bei der Steuerpolitik, den Mindestlöhnen und der Rente Zugeständnisse machen muss.
Prognose: wahrscheinlich
5. Ampel-Koalition

Guido Westerwelle, Gabriel, Trittin: Ampel-Phantasien ohne Chance
Foto: Rainer Jensen/ picture alliance / dpaMancher Stratege in der SPD-Zentrale mag vielleicht noch an ein Dreierbündnis mit FDP und Grünen denken. Doch die Gräben zwischen dem rot-grünen Lager und den Liberalen sind zu tief. Die Brüderle- und Rösler-FDP ist vor allem in den Augen der meisten Grünen eine Partei der Besserverdiener, die sich lieber um das Wohl ihrer Klientel sorgt als um gesellschaftliche Gerechtigkeit.
Die Abneigung beruht auf Gegenseitigkeit: Die Freidemokraten haben einer Ampel-Koalition eine Absage erteilt. Eine Öffnung zur SPD seitens der FDP ist mittelfristig erst mit neuem Personal an der Spitze vorstellbar, falls sich mit dem natürlichen Partner CDU dauerhaft keine Machtoption mehr bieten würde.
Prognose: ausgeschlossen
6. Schwarz-Grün

Merkel, Trittin: Ideologische Barrieren abgebaut
Foto: Michael Kappeler/ dpaVor ein paar Jahren noch träumten viele vom neuen schwarz-grünen Farbenspiel. Die Konstellation ist noch immer interessant, schließlich wurde mit dem Atomausstieg die letzte große ideologische Barriere überwunden. Zudem sprechen die Grünen längst zutiefst bürgerliche Wählerschichten an. Und Angela Merkel könnte sowieso mit jedem, wenn es drauf ankommt.
Tatsächlich haben sich Union und Grüne in den vergangenen Jahren wieder voneinander entfernt. Gerade die CSU sieht in den Grünen noch ihren Lieblingsfeind. Und die Basis beider Parteien hat große Vorbehalte.
Auch strategisch birgt ein solches Bündnis Risiken. Die Grünen würden ihren natürlichen Partner SPD auf lange Sicht verprellen und so das rot-grüne Projekt beerdigen. Im Bundesrat hätte eine schwarz-grüne Bundesregierung zudem keinerlei Rückhalt, weil es keinen solchen Pakt auf Landesebene gibt. In Hamburg war die bisher einzige schwarz-grüne Koalition 2010 nach zweieinhalb Jahren zerbrochen.
Prognose: unwahrscheinlich
7. Jamaika-Koalition

Rainer Brüderle, Trittin: Jamaika liegt weit weg
Foto: Hannibal Hanschke/ dpaWenn Schwarz-Grün schon schwierig ist, dann wird es nicht einfacher, wenn noch die FDP dazu stößt. Die Grünen werden sich nicht dafür hergeben, den Steigbügelhalter für ein christlich-liberales Bündnis zu spielen.
Das einzige Experiment dieser Art auf Landesebene scheiterte im Saarland vorzeitig. Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer ließ das 2009 gebildete Jamaika-Bündnis im Januar 2012 platzen - übrigens nicht wegen der Grünen, sondern wegen der FDP.
Prognose: ausgeschlossen
8. Bahamas-Koalition

Bernd Lucke: Hoffnung auf den Bundestag
Foto: Hendrik Schmidt/ dpaJeder Bündnisoption ihre Flagge: In Anlehnung an die schwarz-gelb-blauen Farben der Bahamas wird unter diesem Label über eine Koalition aus Union, FDP und der neuen Alternative für Deutschland (AfD) um den Ökonomen Bernd Lucke spekuliert.
Doch SPD und Grüne können sich noch so große Mühe geben, die Gefahr einer solchen Zusammenarbeit heraufzubeschwören (als Retourkutsche für die ebenso abwegigen rot-rot-grünen Phantasien der Konservativen). Union und FDP werden mit den Euro-Gegnern von der AfD nicht verhandeln, sollte diese in den Bundestag einziehen und es deswegen für Schwarz-Gelb nicht reichen. Genauso wenig würden SPD und Grüne eine Zusammenarbeit mit den Piraten in Erwägung ziehen, falls diese überraschend über die Fünfprozenthürde springen.
Prognose: ausgeschlossen
9. Neuwahlen

Leere Regierungsbank im Bundestag: Neuwahlen als letzter Ausweg?
Foto: Arno Burgi/ picture-alliance/ dpaKeine Mehrheit für Schwarz-Gelb, keine Mehrheit für Rot-Grün - und Union und SPD finden nicht zusammen? Was dann? Spätestens 30 Tage nach der Wahl muss sich der Bundestag konstituieren, so sagt es das Grundgesetz. Solange kein tragfähiges Bündnis zustande kommt, bleibt Merkels Regierung geschäftsführend im Amt, auch ohne eigene Mehrheit.
Eine ewige Hängepartie samt kaum handlungsfähiger Minderheitsregierung kann sich die stärkste Volkswirtschaft in Europa gerade in Krisenzeiten jedoch nicht leisten. Schafft es niemand, eine Mehrheit hinter sich zu vereinen und sich zum Kanzler wählen zu lassen, wären Neuwahlen der einzige Ausweg. Auch das wäre aber nicht gerade ein Signal der Stabilität und Verlässlichkeit.
Schwer vorstellbar, dass Union und SPD es aus parteitaktischen Erwägungen so weit kommen lassen und den Ruf Deutschlands aufs Spiel setzen. Dann rauft man sich wohl doch zur Großen Koalition der Vernunft zusammen.
Prognose: unwahrscheinlich