Koalitionsgipfel ohne Ergebnisse Schwarz-Gelb blockiert sich selbst

Kanzlerin Merkel, Ministerpräsident Seehofer: Spitzenrunde ohne Spitzenergebnisse
Foto: MICHAELA REHLE/ REUTERSBerlin - Immerhin, verbale Ausfälle gröberer Art werden zunächst nicht überliefert. Das muss bei dieser Koalition ja fast schon dazu gesagt werden. Doch wirklich gut war die Stimmung wohl nicht, als die Spitzen des schwarz-gelben Bündnisses am Freitagabend im Kanzleramt zusammenkamen, eigentlich, um die wichtigsten Projekte der kommenden Monate voranzubringen. Zu groß war der Ärger bei CSU-Chef Horst Seehofer, der sich von CDU und FDP beim jüngsten Steuervorstoß übergangen fühlt. Mit Wut im Bauch aber wächst nicht gerade die Bereitschaft zu Kompromissen.
Und so kam nicht viel heraus bei der Spitzenrunde - auch wenn am Ende alles eine Frage der Perspektive ist. Man habe "fast mehr geschafft, als erwartet", heißt es aus dem CDU-Teil der Koalition mit Blick auf die Verwerfungen im Vorfeld. In führenden CSU-Kreisen dagegen wird betont: "Es gibt keine Einigung über gar nichts." Tatsächlich gibt es nach fünf Stunden Sitzung keine allzu konkreten Ergebnisse, die von diesem Gipfel das erhoffte Aufbruchsignal ausgehen ließen.
Das gilt vor allem für die Steuerpolitik. Die CSU hält das Modell, das Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) am Donnerstag vorgelegt hatten, bereits für gescheitert. Seehofer habe klargemacht, dass er nur einer Lösung zustimmen werde, die auch Chancen habe, später im Gesetzesblatt zu stehen, heißt es bei den Christsozialen. Weil aber der Bundesrat den von Rösler und Schäuble angepeilten Korrekturen am Einkommensteuertarif zustimmen müsse, habe dies keine Aussicht auf Realisierung. Deswegen sei es "vom Tisch". In der CDU wird diese Ansicht jedoch verneint. "Kein Modell ist vom Tisch", widersprach auch CDU-Chefin Angela Merkel bei einem Auftritt vor der Frauen-Union am Samstag in Wiesbaden.
Finanzminister lässt durchrechnen
Auf jeden Fall ist die Lösung vertagt. "Die Koalition stellt sicher, dass kleine und mittlere Einkommen durch eine Steuerreform entlastet werden", heißt es allgemein gehalten im Protokoll der Sitzung vom Freitag. Das Bundesfinanzministerium soll in den kommenden zwei Wochen "unterschiedliche Modelle" durchrechnen. Dazu gehört auch die von FDP und CSU als Plan B bevorzugte Absenkung des Solidarzuschlags. Diese könnte ohne die Länderkammer beschlossen werden. In die Diskussion über die Modelle sollen auch die Unionsgeführten Bundesländer miteinbezogen werden. Am 6. November soll dann eine große Spitzenrunde mit allen Ministerpräsidenten über "konkrete Maßnahmen zur Steigerung des Wachstums" beraten, unter anderem über die Möglichkeiten einer Steuerreform.
Der Steuervorstoß von Rösler und Schäuble kurz vor dem Gipfel hatte die CSU auf die Palme gebracht, weil sie offenbar nicht darüber informiert war. Seehofer war derart sauer über den Vorgang, dass er am Donnerstagabend ein Vorbereitungstreffen mit der Kanzlerin für den Gipfel sausen ließ. Am Freitagabend machte der bayerische Ministerpräsident zum Auftakt der Runde seinem Unmut über die "unglaubliche Unverschämtheit" Luft, berichten Teilnehmer. Er habe klar gemacht, dass er einen solchen Arbeitsstil nicht hinnehmen könne, heißt es.
Merkel bemühte sich dem Vernehmen nach um Schadensbegrenzung - wobei es unterschiedliche Darstellungen darüber gibt. In hochrangigen CSU-Kreisen heißt es, sie habe in der Runde eingeräumt, dass Seehofer die Vorstellung des Steuermodells tatsächlich abgelehnt habe. FDP-Chef Rösler sagte der "Bild am Sonntag": "Sie hat die Panne in der Abstimmung mit Horst Seehofer auf ihre Kappe genommen."Kurioserweise wurde das autorisierte Zitat Röslers wenig später korrigiert: Statt "Panne" wollte er nun nur noch von "Missverständnissen" reden. Tatsächlich hört man das Wort Panne in Merkels Umfeld nicht gerne, es wird sogar zurückgewiesen. Zudem, heißt es in Regierungskreisen, habe sich die Kanzlerin keinesfalls entschuldigt. Stattdessen habe Merkel den Zwist der letzten Tage offensiv angesprochen und dabei betont, dass sie den Auftritt Röslers und Schäubles "ganz bewusst" gutgeheißen habe und zu deren Vorschlag stehe.
In der CDU heißt es, der Groll Seehofers habe sich "in Grenzen gehalten", man habe in "insgesamt guter Atmosphäre" beraten. Rösler erklärte am Samstagvormittag beim Bundeskongress der Jungen Liberalen, das Klima sei deutlich entspannter gewesen, nachdem Merkel erklärt habe, "dass das eine oder andere an Kommunikationsschwäche auf Seiten der Union zu finden ist". Die CSU will dagegen von Entspannung nichts wissen, hier spricht man von einer Stimmung, "wie sie zu erwarten war". Soll heißen: Sie war schlecht.
Verständnis für Seehofers Ärger in der CDU
In der CDU gibt es durchaus Verständnis für Seehofers Ärger. Es sei nicht in Ordnung, wenn Seehofer über die Pläne von CDU und FDP nicht rechtzeitig informiert worden sei, sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs (CDU) am Samstag im Deutschlandfunk. Sein Erklärungsversuch: die hohe Belastung in der Euro-Krise. "Die letzte Woche war eine der härtesten, die ich im Bundestag erlebt habe", sagte Fuchs, "alle Beteiligten, von der Bundeskanzlerin bis zu Abgeordneten, waren höchst angespannt." Philipp Mißfelder, Chef der Jungen Union und CDU-Präsidiumsmitglied, rügte beim Bundestreffen des CDU-Nachwuchses in Braunschweig, der Zusammenhalt der Koalition sei leichtfertig aufs Spiel gesetzt worden. Das Bündnis sei besser beraten, "die Grundregeln von professioneller Arbeit einzuhalten".
Der Krach über die Steuern bremste auch die Verhandlungen über andere Themen. Bei der Reform der Pflegeversicherung ist weiterhin kein Kompromiss in Sicht, auch wenn die Koalitionsspitzen dem Vernehmen nach lange darüber verhandelten. Die Vorfestlegungen gehen immer noch weit auseinander: Die FDP pocht auf individuelle Zusatzprämien, die jeder Versicherte zum Aufbau eines Kapitalstocks zahlen soll. Die CSU lehnt diese ab. Einig ist man sich offenbar, die Leistungen der Pflegeversicherung auf Demenzkranke auszuweiten. Wie das möglichst kostengünstig zu gestalten ist, soll nun eine große Arbeitsgruppe prüfen.
Eine Grundsatzeinigung gebe es über höhere Investitionen im Infrastrukturbereich, um das derzeit schwächelnde Wachstum wieder zu stärken, heißt es. Etwa eine Milliarde Euro mehr soll es dafür Bundeshaushalt geben, unter anderem für den Straßenbau. Die CSU tritt aber weiterhin für eine Pkw-Maut ein, Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) will hier bis Anfang nächsten Jahres Modellrechnungen vorlegen. CDU und FDP sind aber skeptisch, ob eine sozial gerechte Autobahngebühr möglich ist.
Auch den Zuzug ausländischer Fachkräfte sprach die Runde im Kanzleramt an. Aus FDP und CDU heißt es, man erwäge, die jährliche Einkommensgrenze von 63.000 Euro auf 55.000 Euro zu senken, um die Anwerbung zu erleichtern. In CSU-Kreisen wird allerdings betont, dass es auch hierzu keinen Beschluss gegeben habe. Auch dieser Punkt könne erst vereinbart werden, wenn es am 6. November eine "Gesamtlösung für alle Themen" gebe. Wenn keine Kommunikationspanne dazwischen kommt.