Köhlers Rücktritt Der unglückliche Präsident
Der Bundespräsident tritt zurück, bei seinem kurzen Auftritt im Schloss Bellevue kommen ihm fast die Tränen. Was ist das für ein seltsamer Moment? Was für eine unwirkliche Minute in der deutschen Geschichte? Es ist, als würde für einen Augenblick die politische Zeitrechnung stehenbleiben. Einem ganzen Land verschlägt es den Atem.
Nach der Schreckminute muss die nüchterne Analyse folgen. Sie offenbart eine harte, aber einfache Wahrheit: Das Amt und passten nicht zusammen. Sie waren nicht füreinander gemacht. Er hat das gemerkt, schon lange vor diesem Montag. Deshalb war er ein unglücklicher Präsident, deshalb hat ihn die Kritik an seinen Afghanistan-Äußerungen aus der vorigen Woche zu dieser Reaktion gebracht. Deshalb muss es ihn so gekränkt haben, dass niemand aus dem eigenen Lager von Union und FDP ihm danach wirklich zur Hilfe eilte, ihn unterstützte, verteidigte. Auch Angela Merkel nicht.
Mann und Amt passten nicht zusammen: Die Art des Rücktritts, dieses Beleidigtsein, diese Mischung aus Selbstmitleid und Wut auf Andere, bestätigt diesen Befund. Ein Bundespräsident tritt nicht zurück, weil er - im Rahmen des üblichen demokratischen Debattenprozesses - kritisiert wird. Das ist eine Überreaktion, die dem Amt nicht angemessen ist.
Horst Köhler hat sich große Verdienste erworben. Er hat als Staatssekretär im Bundesfinanzministerium gearbeitet, als IWF-Chef wollte er das Leid Afrikas mildern. Auch als Bundespräsident war das eine seiner wichtigsten Missionen. Er hat im Ausland stets eine ordentliche Figur gemacht, das Land mit Anstand und Würde vertreten. Das verdient Respekt und Anerkennung.

Aber wahr ist eben auch: Horst Köhler ist nie in dieses Amt hineingewachsen. Er war kein Richard von Weizsäcker, kein Roman Herzog. Sie alle hatten ihre Anlaufschwierigkeiten, doch irgendwann waren sie angekommen im Schloss Bellevue. Sie gaben dem Land mit den begrenzten Möglichkeiten des Präsidenten etwas, das in der Demokratie sehr wichtig ist: Orientierung.
Das hat Horst Köhler nicht geschafft, seine Versuche, Orientierung zu geben, verpufften. Sein Wunsch, sich anfangs als halb neoliberaler Reformpräsident zu präsentieren, löste sich im Nichts auf. Mit dem miserablen Abschneiden von Union und FDP bei der Wahl 2005 musste er erkennen: Viele Menschen im Land wollten diese Politik nicht. Seine Mission war gescheitert, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte. Angela Merkel verabschiedet sich von der Reformpolitik, Horst Köhler, ihr Präsident auch.
Was blieb, war inhaltliche Leere.
Die wichtigste Waffe des Präsidenten ist das Wort. Doch Köhler fehlten die richtigen Worte. Er schwieg, wenn ein klärendes Wort von ihm geholfen hätte. Das war in der Finanzkrise so, und das war so, als die schwarz-gelbe Koalition am Anfang ihrer Regierungszeit nicht regierte. Wenn er sich dann doch einmal zu Wort meldete, überzog er häufig: Seine Kritik war dann plötzlich maßlos, er traf einfach nicht den richtigen Ton. Seine letzten Äußerungen zu Afghanistan zeigten das einmal mehr. Ja, Köhler erschien im Umgang mit dem Wort einfach ungelenk.
Ein Präsident baut Brücken, doch auch das tat Köhler nicht. Er stilisierte sich als "Bürgerpräsident", schimpfte über die Politiker - und verbreiterte so nur die Kluft zwischen dem Wahlvolk und den gewählten Repräsentanten. Er erkannte, dass dies seinen Umfragewerten half, weil Kritik "an denen da in Berlin" an den Stammtischen schon immer gut ankam. Da machte er billige Punkte.
Dabei wäre es eigentlich seine Aufgabe gewesen, das Vertrauen der Wähler in die demokratischen Institutionen zu stärken.
Was bleibt? Das Land wird auch diesen politischen Schock überstehen. Die Lücke, die Köhler hinterlässt, wird geschlossen werden. In den meisten Parteien gibt es kluge Kandidaten für das höchste Staatsamt. Angela Merkel, Guido Westerwelle, Sigmar Gabriel und Co. könnten sich schnell einigen. Klar. Überparteilich. Weise. Ohne parteitaktische Manöver. So könnten sie die Würde des hohen Amtes wahren, das Vertrauen der Bürger in die Verlässlichkeit der Demokratie sichern. Werden sie es tun?
Dazu fällt einem an diesem merkwürdigen Tag nur ein Seufzer ein: Bitte, ja!