Christina Hebel

Medienschelte nach Köln CSU entdeckt die Lügenpresse

Die Medien lügen - diesen Vorwurf erheben Rechtsextreme, Pegida und AfD schon lange. Und jetzt auch die CSU. Nach den Übergriffen von Köln sprechen christsoziale Politiker vom "Schweigekartell" und von "falsch verstandener Vorsicht".
CSU-Generalsekretär Scheuer: "Über Klarheit und Wahrheit berichten"

CSU-Generalsekretär Scheuer: "Über Klarheit und Wahrheit berichten"

Foto: Sven Hoppe/ picture alliance / dpa

Der Generalsekretär ist von Amts wegen der Lautsprecher seiner Partei. Das gilt besonders für die CSU. Dass Andreas Scheuer nach den Silvester-Übergriffen von Köln aufdreht, muss also nicht unbedingt erstaunen. Von einer "neuen Qualität sexueller Gewalt" spricht Scheuer, er fordert die sofortige Abschiebung von Flüchtlingen, die Frauen sexuell belästigen.

Wohl gemerkt sind bisher erst wenige Einzelheiten über die Nacht des Jahreswechsels in der Domstadt bekannt (lesen Sie hier die Hintergründe), vor allem über die Täter. Das scheint den CSU-General wenig zu stören.

Noch bemerkenswerter allerdings ist die Medienschelte, zu der Scheuer und andere CSU-Kollegen nun ausholen - und mit der sie sich auf das Niveau rechtsextremer, rechtspopulistischer oder islamfeindlicher Gruppierungen begeben.

Im Deutschlandfunk erhob Scheuer den Vorwurf, die Medien würden nicht angemessen über die Kölner Übergriffe berichten, womöglich sogar Informationen bewusst vorenthalten. "Ich appelliere an alle, dass wir über Klarheit und Wahrheit berichten", sagte Scheuer, um dann den Mahner zu geben: "Die Menschen, die in Sorge sind in unserer Gesellschaft, wie sich unsere Gesellschaft entwickelt, die kritisieren genau das, dass es eine veröffentlichte Meinung teilweise gibt, die nicht die Realität widerspiegelt, weil man meint, man muss hier eine falsch verstandene Vorsicht an den Tag legen." (Das komplette Interview finden Sie hier )

Noch forscher äußerte sich Scheuers Parteifreund Hans-Peter Friedrich, ehemals Bundesinnenminister, heute stellvertretender Fraktionschef der Union im Bundestag. Friedrich sprach von einem "Skandal", weil es Tage gedauert habe, bis die öffentlichen Medien die Berichte in Köln aufgegriffen hätten. Mit einem "Schweigekartell und Nachrichtensperren lassen sich die Folgen der unkontrollierten Zuwanderung jedoch nicht lösen".

Friedrich erwähnte dabei nicht, dass lokale Medien sehr wohl frühzeitig über die Vorfälle berichtet hatten. Dass die Polizei selbst zunächst von einer friedlichen Silvesternacht gesprochen hatte. Dass das ganze Ausmaß der Übergriffe erst mit Verzögerung bekannt wurde und sich dann auch in den überregionalen Medien niederschlug. Dass dann sehr wohl auch jene Zeugenaussagen wiedergegeben wurden, die die mutmaßlichen Täter vor allem dem nordafrikanischen oder arabischen Raum zuordnen.

Nicht berücksichtigt wird bei der CSU-Kritik auch, dass es zu den Standards der journalistischen Arbeit gehört, nicht zu spekulieren und auf Verdacht zu berichten, worauf unter anderem bereits der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) hingewiesen hatte.

NPD und Pegida machen Stimmung mit "Lügenpresse"-Vorwurf

Mit dem Vorwurf angeblich bewusst unterdrückter Berichterstattung bedient die CSU jene Stimmung, welche in Kreisen rechtsextremer Parteien wie der NPD schon lange geschürt wird: Sie behaupten, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und die großen Verlage würden die ganze Wahrheit verschweigen und nur Auszüge berichten - sie würden manipulieren und lügen.

Vor allem Pegida heizte diese Anfeindungen noch einmal an, "Lügenpresse - halt die Fresse" wird auf Kundgebungen der islamfeindlichen Bewegung regelmäßig skandiert. Reporter von Zeitungen und öffentlich-rechtlichen Sendern wurden sogar körperlich angegangen.

Diese Anti-Stimmung hat auch die rechtspopulistische AfD übernommen, auch wenn deren Parteichefin Frauke Petry den Begriff "Lügenpresse" lieber meidet. Dieser war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff für die Medien, die angeblich die damaligen deutschen Interessen zu wenig vertraten. Auch die Nationalsozialisten nutzten ihn, um pauschal unabhängige Medien zu diffamieren. Womöglich auch deshalb spricht die AfD-Chefin lieber von "Pinocchiopresse".

Nun scheint auch die CSU die Medien als Feindbild für sich entdeckt zu haben. Explizit griff Scheuer das ZDF an - dort sitzt der CSU-Mann auch im Fernsehrat. Er zeigte sich verärgert darüber, dass der Sender in den sozialen Medien darüber habe abstimmen lassen, wie in Köln berichtet werde. Die ZDF-Sendung "heute plus" hatte auf Twitter etwas unglücklich gefragt, wie sie über die Übergriffe in der Silvesternacht in Köln berichten sollte:

Später rechtfertigte sich "heute plus", man habe nur ein "Stimmungsbild" einholen wollen. Das ZDF hatte zudem eine "klare Fehleinschätzung" eingeräumt, weil es über die Übergriffe am Montag erst am späten Abend in seinen Nachrichtensendungen berichtete.

Rechtfertigt das eine Pauschalkritik? Wohl kaum. Scheuer aber findet: "Wir müssen aufpassen, dass wir die gesellschaftliche Spaltung durch solche falsch verstandene Vorsicht in der Berichterstattung nicht aufs Spiel setzen." Mal abgesehen davon, dass der CSU-General wohl den gesellschaftlichen Zusammenhalt meinte, der nicht aufs Spiel gesetzt werden dürfe - die Spaltung forciert er allemal mit seinen Vorwürfen.

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