
Marius Müller-Westernhagen Echolos in die Nacht


Marius Müller-Westernhagen 2017 bei der Echo-Verleihung
Foto: Rainer Jensen/ dpaMarius Müller-Westernhagen will seine Echos zurückgeben. Eine Industrie, die ohne Bedenken Menschen mit sexistischen oder rassistischen Positionen unter Vertrag nehme und diese dann auch noch auszeichne, sei skrupellos und korrupt, schrieb er am Dienstag auf seiner Facebook-Seite. Außerdem sei der Echo kulturell nie relevant gewesen.
Ich bin auch gegen Rassismus und Sexismus. Ich würde die Liste der Dinge, die wir in Deutschland nicht mehr tolerieren wollen, allerdings gerne erweitern. Wenn ich eine Bitte äußern dürfte, sollten auch Westernhagen-Texte künftig zu den Erzeugnissen gehören, denen die deutsche Musikindustrie keinen Platz mehr bieten sollte.
Ich gebe zu, ich habe Westernhagen nie gemocht. Ich halte ihn für einen Kitsch-Produzenten, der im Gegensatz zu anderen Popgrößen den Dreh raushat, seine Ware mit politischen Statements so aufzubrezeln, dass er im Kulturfeuilleton als Denker durchgeht. Er hat nie den Spott aushalten müssen, der sich regelmäßig über Schlagerstars wie Helene Fischer ergießt, dabei trennt die beiden weniger, als man denkt.
Wie ich auf Wikipedia gelesen habe, hat der Musiker sein 50-jähriges Bühnenjubiläum hinter sich. Über zwölf Millionen Klangträger hat er über die Zeit verkauft, was ihn zu einem der erfolgreichsten deutschen Sänger macht. Merkwürdig, dass ihm erst mit solcher Verspätung auffällt, dass die Firmen, für die er gearbeitet hat, seelenlose Maschinen sind, deren Chefs sich nur fürs Geld interessieren, wie er sich ausdrückt.
Irgendwie scheint ihm bis Anfang der Woche auch entgangen zu sein, dass der Echo, den er in Serie in Empfang nahm, kein Grammy ist, sondern eine Auszeichnung, mit der sich die Branche selbst feiert.
Kann man die Dinge nicht auch anders sehen?
Irgendein Missverständnis hat aus Leuten wie Westernhagen moralische Instanzen gemacht, die man praktisch zu allen befragen kann, was politisch bedeutsam scheint, vom Klimawandel bis zur Frage der Einwanderung. Dabei ist Gratismut eine Tugend, die unter Künstlern besonders ausgeprägt ist. Das Bekenntnis zur guten Sache erfolgt in der Regel dann, wenn der Applaus garantiert ist. Ich habe dafür vollstes Verständnis. Wer von den Launen des Marktes abhängt, sollte es sich zweimal überlegen, ob er sein Publikum mit Aussagen vergrätzen will, die dieses nicht goutiert. Aber muss man diese Form der vorausschauenden Rücksichtnahme unbedingt als besonders kühne Gewissensentscheidung verkaufen?
Ich habe gemerkt, wie bei mir in den vergangenen Tagen mit jeder weiteren Echo-Rückgabe das Bedürfnis zum Widerspruch wuchs. Noch drei Künstler, die ihre Preise loswerden, und ich schreibe eine Verteidigung der beiden Rapper, die den Skandal auslösten. Rechnen Sie es meinem Oppositionsgeist zu, aber wenn alle ihr Gewissen entdecken, wenn klar ist, dass man dafür nur Beifall bekommt, regt sich bei mir eine Stimme, die sagt: Kann man die Dinge nicht auch anders sehen? Ich misstraue aus Prinzip Leuten, die mit der Verspätung des Opportunisten zu ihrer Überzeugung finden.

Echo-Verleihung: Nach dem Glitzer kommt der Skandal
Die Wahrheit ist, dass man jetzt über die beiden Knalltüten, die mit dem Echo ausgezeichnet wurden, alles sagen darf, was man normalerweise nie über Leute sagen dürfte, die über einen Migrationshintergrund verfügen oder muslimischen Glaubens sind. Plötzlich fällt auch im Feuilleton auf, dass mit einem bestimmten ethnischen oder religiösen Hintergrund die Wahrscheinlichkeit für frauen-, schwulen- und judenfeindliche Aussagen steigt. Die beiden erfüllen so ziemlich jedes Klischee des geistig etwas zurückgebliebenen Kleingangsterdarstellers, das ist ihre Masche.
Hirnlosigkeit begründet noch keinen Straftatbestand
Wir müssen nicht darüber reden, dass es eine ziemliche Dämlichkeit ist, Leute auszuzeichnen, die in ihren Liedern über alles trampeln, was einer Gesellschaft wie der unseren wichtig ist. Wie ich mir habe sagen lassen, ist allerdings an der Auszeichnung genau das Prinzip schuld, das nun allenthalben zur Reform des Echo eingefordert wird.
Früher hatte allein die Industrie das Sagen und prämierte nach Charterfolg. Inzwischen zählt zu 50 Prozent das Votum einer Jury, die mit mehr oder weniger bekannten Branchengrößen besetzt ist. Zur Überraschung der Preisveranstalter wurde mehrheitlich für Kollegah und seinen deutschmarokkanischen Freund Farid Bang gestimmt, trotz aller Warnungen im Vorfeld. Hätten die Industriebosse die Sache unter sich ausgemacht, wäre das vermutlich nicht passiert, so viel verstehen sie in den Plattenfirmen dann doch von Öffentlichkeitsarbeit.
Wenn ich Westernhagen richtig verstehe, dann kritisiert er nicht nur die Preisvergabe an die Künstlerkollegen mit den dicken Sprüchen und den noch dickeren Armen. Ginge es nach ihm, dürften solche Lieder, wie sie die zwei Rapper am laufenden Band produzieren, gar nicht mehr erscheinen. Das geht deutlich über die Kritik an der Echo-Verleihung hinaus. Aber es ist absehbar, dass sich die Diskussion in diese Richtung bewegen wird. Die nächsten, die in die Schusslinie geraten, sind die Manager bei Bertelsmann, auf deren Labels so etwas erscheint.
Ständig davon zu faseln, wen man gern ficken würde, sich mit Auschwitz-Überlebenden zu vergleichen oder über Schwule herzuziehen, ist hirnlos. Aber Hirnlosigkeit begründet in Deutschland noch keinen Straftatbestand. Ich denke in der Hinsicht ganz legalistisch. Die Grenzen der Kunstfreiheit werden durch die Gesetze bestimmt, in denen Tatbestände wie Beleidigung, Gewaltandrohung oder Volksverhetzung beschrieben sind.
Für die Anwendung sind die Gerichte zuständig, nicht Geschmackskommissionen, in denen dann Leute wie Marius Müller-Westernhagen sitzen, die ohnehin finden, dass die deutsche Jugend die falschen Lieder hört.