
So gesehen WM schauen? Oder nicht?


Lusail-Iconic-Stadium
Foto: kyodo / dpaDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Eine gute Woche noch bis zum Beginn der Fußball-WM der Herren, in vielen Familien und Freundeskreisen wird jetzt heiß diskutiert: Darf man sich die Fußballfestspiele überhaupt anschauen, wenn sie in einem Land stattfinden, in dem Gastarbeiter als Fremdkörper betrachtet, für niedere Tätigkeiten eingesetzt, schlecht bezahlt und übel behandelt werden? Darf man sich am Fußball erfreuen, wenn am Austragungsort ein Gesetz gilt, das Frauen für Kinder, Küche und Wäsche zuständig erklärt? Kann man über Tore jubeln, wenn im Gastgeberland Homosexuelle unter besonderer Beobachtung stehen, weil das angeblich dem Schutz der Öffentlichkeit dient? Ist unbefangene Fußballfreude möglich in einem Land, in dem Schwule Angst haben müssen, sich zu ihrer Sexualität zu bekennen, weil das ihre gesellschaftliche Vernichtung bedeuten kann? Einem Land, in dem zu weiten Teilen auch heute noch verknöcherte Kleriker die Moral diktieren?
Andererseits: Ist es nicht sogar besonders wichtig, so einem rückständigen Land besondere Aufmerksamkeit zu schenken und genau hinzusehen? Wäre es nicht sogar denkbar, dass die Fußball-WM einen positiven Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung der Gastgebernation hat? Dass selbst religiöse Hardliner den Fortschritt nicht mehr lange werden aufhalten können?
Auf diese Fragen gibt es keine allgemeingültige Antwort, es ist eine persönliche Entscheidung: Jedem und jeder bleibt es selbst überlassen, ob er oder sie sich vor ein Empfangsgerät setzt, wenn endlich der Ball rollt beim Eröffnungsspiel in Frankfurt am Main. (Archivtext von 1974)