Nikolaus Blome

Europavotum Wir sind Wahlsieger

Trotz vielerorts sinkender Wahlbeteiligung und obwohl Populisten Erfolge feiern konnten: Diese Wahl ist historisch. Denn sie hat die Macht in Europa verschoben - in Richtung der Wähler.
Europäisches Parlament in Straßburg: Zentrale Personalie vom Wähler diktiert

Europäisches Parlament in Straßburg: Zentrale Personalie vom Wähler diktiert

Foto: GEORGES GOBET/ AFP

Es war ein Experiment, eines mit mehr als 400 Millionen Probanden.

Zum ersten Mal überhaupt traten die großen Parteien bei einer Europawahl mit Spitzenkandidaten an, die sich um das Amt des EU-Kommissionschef bewarben. Die Spitzenkandidaten sollten der Europawahl ein zentrales Merkmal nationaler Wahlen verschaffen, das der Personalisierung, das der Zuspitzung im TV-Rampenlicht. Das ließ hoffen, die Wahlbeteiligung würde derart steigen, dass die Populisten in allen Ländern klein gehalten werden könnten.

Doch es hat nicht funktioniert wie gewünscht.

Jean-Claude Juncker für die Konservativen, Martin Schulz für die Sozialdemokraten, beide Kandidaten haben sich bis zur Erschöpfung bemüht, einen europaweiten Wahlkampf aufzuziehen. Sie hatten dabei mit vielen kleinen und großen Widrigkeiten zu kämpfen, die ihren Elan bremsten.

Unter dem Strich haben sie die Wahlbeteiligung nicht besonders bewegt; am ehesten gelang es ihnen noch in Ländern wie Deutschland, denen es wirtschaftlich gut geht. Dagegen vermochte es ihr Duell in Ländern wie Frankreich, Italien, Großbritannien, Österreich oder Griechenland nicht, die heimischen Debatten und Befindlichkeiten zu verdrängen. Stattdessen rechneten die Wähler von links oder von rechts mit ihren jeweiligen Regierungen ab. Die antieuropäischen Parteien waren ihnen Mittel zum Zweck, das Nationale überwog das Europäische. Es waren, wie früher schon, Denkzettel-Wahlen.

In diesem Punkt ist das Experiment mit den Spitzenkandidaten wohl gescheitert. Historisch ist die Wahl dennoch.

Sie wird zwar nicht in Deutschland, aber in anderen Mitgliedstaaten innenpolitische Beben auslösen und die Verhältnisse zum Tanzen bringen. Vor allem aber hat sie die Machtverhältnisse in Europa verschoben, und zwar in Richtung Europaparlament; in Richtung, ja, der Wähler.

Die beiden Spitzenkandidaten haben über die Personalisierung des Wahlkampfes Fakten geschaffen: Es ist kaum vorstellbar, dass die Staats- und Regierungschefs dem Wahlsieger Jean-Claude Juncker das Amt des Präsidenten der EU-Kommission verwehren können, wenn er das neue Parlament mehrheitlich hinter sich versammelt. Die traditionelle Große Koalition im Europaparlament, diesmal unter der Führung der Konservativen, müsste diese Mehrheit zustande bringen. Das heißt: Merkel und Co. wird die zentrale Personalie in Europa letztlich vom Wähler diktiert. Den Rest der freien Posten können "die Chefs" nach parteipolitischem und regionalem Proporz hinzu mischen, mehr nicht. So soll es sein, gut so.

Das Experiment mit den Spitzenkandidaten hat also nicht funktioniert wie erhofft. Aber es hat sich gelohnt. Die Wahlen, wenn auch gewiss nicht alle Wähler, haben Europa demokratischer gemacht.

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