NSA-Abhörskandal Die zwei Gesichter der Angela M.

Im Parteienstreit um die NSA gibt Kanzlerin Angela Merkel die Unschuld vom Lande. Tatsächlich erlaubt aber gerade dieser Fall einen tiefen Einblick in ihren ausgeklügelten Politikstil.
Kanzlerin Merkel: Respekt für die Finte

Kanzlerin Merkel: Respekt für die Finte

Foto: JOHANNES EISELE/ AFP

Was macht eigentlich Angela Merkel? Urlaub in der Natur, ach, stimmt ja. Es gab ja diese schönen Bilder, auf denen sie durch die Berge kraxelt. Und in der nächsten Woche erwartet sie ein herrliches Wahlkampfprogramm. An einer Berliner Schule will unsere Kanzlerin eine "Geschichtsstunde über die Einheit" halten, wie schön. Dem Volk zeigt sie sich am Mittwoch bei ihrer großen Wahlkampfkundgebung in Helmut Kohls Heimatstadt Ludwigshafen, auch nett.

Wie schon in den vergangenen Jahren will sie sich als Kanzlerin aller Deutschen präsentieren, als Mutter der Nation, die über den Parteien steht und dem ewigen, scheinbar kleinlichen Gezänk. Nichts soll den Plan der Kanzlerin stören. Ihre Botschaft lautet: Ich bin die Gute.

Knallhart, abgebrüht, kalkulierend

Doch die Kanzlerin hat noch ein zweites Gesicht: Diese Angela Merkel ist knallhart, abgebrüht, kalkulierend. So ist sie weit gekommen. Jetzt gerade erleben wir einen jener seltenen Momente, in denen diese andere Seite der Angela Merkel aufblitzt.

Die Attacke des stellvertretenden Regierungssprechers gegen Frank-Walter Steinmeier, er habe im Grunde die Zusammenarbeit des BND mit der NSA beschlossen, ist ein brutaler Stoß, gezielt gesetzt, ein Wirkungstreffer. Ausgeführt wird er nicht von der Kanzlerin selbst, sondern von einem ihrer Büchsenspanner. Nur Naivlinge würden annehmen, das sei nicht mit ihr abgesprochen.

Die SPD erscheint plötzlich als eine Truppe von Heuchlern, die sich über Dinge erregen, die sie selbst verbockt haben. Das konservative Lager jubelt, allen voran die "Frankfurter Allgemeine Zeitung". Sie sieht die NSA-Affäre quasi bereits als "übles Stück politischer Hysterie" demaskiert.

An der Sache selbst ändert sich dadurch allerdings rein gar nichts. Dass die SPD zur Zeit von Gerhard Schröder Geheimdienstarbeit unterstützt hat, ist längst bekannt. Die Vorwürfe, dass die NSA - mit oder ohne Wissen deutscher Stellen - massenhaft Daten deutscher Bürger absaugt, stehen weiter im Raum. Über die Hintergründe der Spitzelsysteme Prism und Tempora erfährt die Öffentlichkeit so gut wie nichts von offizieller Seite. Und wie glaubwürdig ist es, dass der BND aus Millionen von Daten brav und effektiv alle Deutschen herausfiltert, bevor er sie an die Amerikaner weitergibt?

Respekt für diese Finte

Aber Respekt für diese Finte. Ganz klar: Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt. So geht Wahlkampf à la Merkel: Ihr Vorgänger Schröder hätte wahrscheinlich selbst noch in den politischen Misthaufen gelangt und wäre über den Gegner hergefallen. Das ist nicht Merkels Stil. Sie macht sich die Hände nicht schmutzig. Zumindest nicht sichtbar.

Jeder, der sich mit Merkel angelegt und verloren hat, weiß um die Doppelgesichtigkeit dieser Kanzlerin. Die Liste der Gescheiterten ist lang: Edmund Stoiber, Roland Koch, Norbert Röttgen, Friedrich Merz. Die kennen das.

Die Grausamkeiten des Politikbetriebs wirken auf das Publikum anziehend und abschreckend zugleich. Die meisten Menschen wollen keine Regierungschefin, die unentwegt in politischen Schlammschlachten steht. Sie soll sich im entscheidenden Moment durchsetzen können. In Europa, in Deutschland, in ihrer Regierung. Aber wie das genau geht, will man lieber nicht wissen. Merkel bedient dieses Gefühl perfekt.

Wenn man auf der Suche nach ihrem Erfolgsgeheimnis ist: Da ist es.

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