Kommentar Merkels Alptraum

Schlimmer geht's nicht für die Union: Am Ende einer Zitterwahl gewinnt Rot-Grün in Niedersachsen, Schwarz-Gelb verliert das nächste Bundesland. Für die Bundestagswahl liefert dieser Ausgang ein klares Signal: Der Kampf ums Kanzleramt wird viel brutaler, als Angela Merkel sich das vorgestellt hat.
Pech für Merkel: Der Start ins Wahljahr ist missglückt

Pech für Merkel: Der Start ins Wahljahr ist missglückt

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Zunächst einmal: Wer in den letzten Tagen glaubte, diese Wahl würde mit einem schwarz-gelben Triumph die Bundestagswahl vorwegnehmen, wurde eines Besseren belehrt. Nichts ist entschieden. Angela Merkel und die Union, die Umfragekönige, sind abgestürzt. Schwarz-Gelb verliert haarscharf ein weiteres Bundesland an Rot-Grün. So wie Ministerpräsident David McAllister kann es Angela Merkel auch ergehen: Sie wird abgewählt, ein paar Stimmen entscheiden über ihr Schicksal. Aus. Vorbei.

Die Sieger freuen sich, aber so richtig kraftstrotzend sind sie nicht. Sie sehen eher aus wie Glückspilze. Der Wahl-Gott hat eine Münze geworfen, und zufällig hat Stephan Weil aus Hannover gewonnen. Genauso gut hätte auch Schwarz-Gelb knapp vorne liegen können. Wenn es einen Trend gibt, dann lautet der: Es gibt keinen eindeutigen Trend.

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Der Wähler, dieses unberechenbare Wesen, erlaubt sich wieder einmal einen großen Spaß mit den Parteien - und lässt sie ratlos zurück. Zwei (fast) gleich große Lager stehen sich gegenüber, Regierungsbildungen werden zum komplizierten Rechenspiel, zur Millimeterarbeit. Das ist kein Gleichgewicht des Schreckens, sondern ein erschreckendes Gleichgewicht.

Rückenwind wird zum Unwort des Jahres

Peer Steinbrück hat Glück gehabt. Ja, man mag es kaum glauben. Nicht wegen, sondern trotz ihres Kanzlerkandidaten schafft die SPD den Erfolg in Hannover - und bekommt mit einem Mal doch noch eine Chance auf einen Sieg auch bei der Bundestagswahl. Rote und Grüne werden sich den knappen Sieg nun schönreden, natürlich schafft das neue Zuversicht. Aber gewonnen ist die Bundestagswahl damit noch lange nicht. Eher wird Rückenwind zum Unwort des Jahres.

Für Schwarz-Gelb ist dieser Abend ein Alptraum, unerwartet, grausam. Für Angela Merkel und die Union hätte es nicht schlimmer kommen können. Fast glaubten sie sich schon auf der Siegerstraße. Jetzt schaffen sie es nicht - und das trotz der Beliebtheit der Kanzlerin, trotz der haarsträubenden Fehler ihres Gegners Steinbrück. Was ist nur los?

Die CDU hat bittere Verluste erlitten. Zugleich hat sich die FDP erholt, aber auf Kosten der Union. Um Ministerpräsident David McAllister zum Sieg zu verhelfen, wählten Konservative an diesem Sonntag die FDP. Aus eigener Kraft hat die FDP diesen Triumph nicht geschafft. Sie ist gedopt bis Oberkante Unterkiefer, vollgepumpt mit Leihstimmen von der CDU, das wird die Union mächtig ärgern. Und dürfte das Verhältnis zwischen CDU und FDP weiter belasten. Jeder in der Koalition weiß das. Nur einer freut sich: Philipp Rösler. Denn er darf nun bleiben.

Noch eine Erkenntnis: Die Union setzt für die Bundestagswahl auf die Popularität der Kanzlerin. Aber auch McAllister ist populär, für ein starkes Ergebnis hat es trotzdem nicht gereicht. Das schwarz-gelbe Lager wächst nicht. Es kannibalisiert sich, zugleich zerbröselt es, langsam und anscheinend unaufhörlich. Schwarz-Gelb ist nicht wirklich beliebt als Projekt, als Koalition, als Modell. Viele in der Union werden für die Bundestagswahl nun die Parole ausgeben: Jeder kämpft für sich allein. Gut möglich, dass die ärgsten Gegner vieler Schwarzer die Liberalen werden. Das ist keine besonders gute Grundlage für eine harmonische Zweierbeziehung. Der Wahlkampf wird brutal.

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Die FDP ist Deutschlands seltsamste Partei. Sie kann einen großen Erfolg verbuchen, obwohl sich ihr Spitzenpersonal alle Mühe gibt, das Gegenteil zu erreichen. Den eigenen Vorsitzenden Rösler bis zur Öffnung der Wahllokale zu mobben, ist einzigartig gemein und dämlich. In der Regierung in Berlin hat diese Partei kaum etwas durchgesetzt. Was kann den Freien Demokraten noch passieren, wenn ihr die Wähler sogar all dies verzeihen?

Wenn Peer Steinbrück vielleicht doch noch Bundeskanzler wird, dann wird er das den Grünen zu verdanken haben. Sie sind wirklich stark. Auf sie ist Steinbrück dringend angewiesen. Er wolle nach den Irritationen um seine Äußerungen während des Wahlkampfs in Niedersachsen seine Worte künftig "sehr bedachtsam" wählen, sagt Peer Steinbrück - sicherlich auch in Richtung Grüne. Das ist ein großes Versprechen. Mal sehen, wie lange er sich daran hält.

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