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Die Piratenpartei: Von Streit und Selbstdemontage

Foto: Marcus Brandt/ picture alliance / dpa

Streit und Selbstdemontage Bye-bye, Piratenpartei

Die Selbstdemontage der Piratenpartei ist beispiellos. Nirgendwo sonst in der politischen Landschaft werden Machtspiele so offen und aggressiv ausgetragen wie hier. Die Piraten können mit Verantwortung nicht umgehen - und werden so im Wahlkampf scheitern.

Berlin - Eins, zwei oder drei? Der Titel einer Kinder-Quizshow  taugt hervorragend als Kernfrage der Piratenpartei. Dort geht es auch nur noch um eins, zwei oder drei - und zwar Prozent. Niemand rechnet mehr damit, dass im Herbst eine Revoluzzer-Fraktion in Orange in den Bundestag einziehen wird.

Zu Recht. Noch bevor der Wahlkampf begonnen hat, kann man die Piraten als bundesweite Kraft abschreiben. Diese Analyse ergibt sich nicht etwa aus stumpfer Umfragehörigkeit. Längst geht es nicht mehr um wöchentliche Demoskopie-Orakel, ums "Dümpeln", "Absaufen", "Dahinsiechen".

Das Problem ist ein anderes: Keine Partei zelebriert ihre Selbstdemontage so offen und öffentlich, so aggressiv, so tragisch wie diese. Und das Publikum wendet sich mit Grauen von dem Schauspiel ab.

Die internen Machtspiele der vergangenen Tage sind der letzte Beweis dafür, dass die Piraten mit Verantwortung nicht umgehen können - und dass sie das Wahljahr unter "ferner liefen" bestreiten werden. Der Zoff um den "Sandalenpiraten" Johannes Ponader erreichte am Dienstag seinen vorläufigen Höhepunkt. Der umstrittene Geschäftsführer wurde mit einer Online-Umfrage zu möglichen Vorstandsneuwahlen überrumpelt. Prompt drohte er mit Rückzug, um einem möglichen Negativ-Votum zuvorzukommen. Noch am Abend distanzierte sich mit den Saar-Piraten ein ganzer Landesverband in einer Erklärung von Ponader. Ausgerechnet der Landesverband, der den Piraten einst zum bundesweiten Durchbruch verhalf.

Blutige Füße, machtlose Talente

Man kann der Partei dabei zusehen, wie sie auf ihrem eigenen Scherbenhaufen herumspringt und sich dabei noch einmal ordentlich die Füße blutig ritzt. Selbst loyale Parteimitglieder reagieren angesichts der neuesten Volten fassungslos. Gegen die Piraten wirkt selbst die erodierende FDP wie eine echte Solidargemeinschaft.

Dabei gibt es Piraten, denen man politische Gestaltungskraft zutraut. Udo Vetter, ein renommierter Jurist mit Netzkompetenz, der für Nordrhein-Westfalen in den Bundestag will. Oder Anke Domscheit-Berg, frühere Grüne mit Expertise in Open-Government-Fragen. Auch Martin Delius, Vorsitzender des Flughafen-Ausschusses in Berlin, und Michael Hilberer, der besonnene Fraktionschef in Saarbrücken, gehören dazu.

Auffällig ist: All diese Piraten gelten als seriöse Realo-Politiker - aber vor allem als prominente Kritiker ihrer eigenen Leute. Sie werden auch deshalb von außen ernstgenommen, weil sie sich in zentralen Punkten von den Bundespiraten verabschiedet haben. Gibt es ein stärkeres Alarmsignal für eine Partei? Wohl kaum.

Als fähige Köpfe galten auch einmal Christopher Lauer und Marina Weisband. Der eine, Fraktionschef in Berlin, kämpft mit Vorwürfen, er habe Ponader per SMS erpresst. Die andere hat sich für Hintergrundarbeit entschieden, bringt bald ein Buch heraus, will aber kein Amt mehr übernehmen.

Am Mittwoch wurde Lauer in einem Radiointerview gefragt , was an den Erpressungsgerüchten dran sei. "Ich wüsste nicht, warum man das um 8.20 Uhr morgens im Deutschlandfunk diskutieren sollte", pampte Lauer den Moderator an. Souverän ist anders. Erwachsen auch.

Zwei Millionen Stimmen, das ist utopisch

Szenen wie diese zeigen, wie blank die Nerven in der Partei liegen, wie ratlos selbst der engste Führungszirkel ist, wenn es darum geht, die desaströse Lage in den Griff zu kriegen. Das Rezept der selbsternannten Transparenzpartei lautet: abtauchen. Spitzenpiraten gehen seit Tagen nicht ans Telefon, einfache Nachfragen werden abgeblockt oder auf mauernde Sprecher ausgelagert. Die Partei, die den Politikapparat einmal umkrempeln wollte, ist nun da, wo sie nie sein wollte - verschanzt hinter einer Wand aus Worthülsen, zerstritten, frei von Glaubwürdigkeit, ohne stabile Anhängerschaft.

Bei der letzten Bundestagswahl brauchte eine Partei rund 2,2 Millionen Stimmen, um in den Bundestag einzuziehen. Dass die Piraten im Herbst zwei Millionen einsammeln werden, ist utopisch. Wovon sollten diese zwei Millionen Menschen begeistert sein? Die vielgelobte Authentizität gibt es nicht mehr. Parteichef Bernd Schlömer und sein Kontrahent Ponader inszenierten sich erst als Tandem, um sich anschließend in Kleinkriegen zu beharken. Und wenn es schon nicht die Köpfe sind, welche Inhalte sollten überzeugen? Selbst bei Kernthemen wie Grundeinkommen, Datenschutz und Urheberrecht kann sich die Partei seit Ewigkeiten nicht auf eine Strategie einigen.

Eine Partei, die sich ernsthaft und innovativ mit den Herausforderungen des digitalen Wandels beschäftigt, hätte einen festen Platz in der politischen Landschaft verdient. Die Piraten sind nicht diese Partei. Nicht mit dieser Führungsmannschaft, nicht mit diesem Selbstzerstörungstrieb.

So scheint die Prognose klar: Die Piraten werden nach der Bundestagswahl vielleicht nicht verschwinden, aber lediglich als Bewegung und Regionalphänomen weitermachen. Vielleicht erwächst daraus etwas Neues. Doch fürs Erste ist diese Partei gescheitert.

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