Aufstand der Anständigen? Fehlanzeige. Trotz des Attentats eines Rechten auf eine Lokalpolitikerin hat nicht einmal jeder zweite Kölner gewählt. So viel Apathie war nie.
Wahllokal im Kölner Stadtteil Braunsfeld: Apathie der Vielen
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Die Kölner sind sehr stolz auf ihre Weltoffenheit. Auf ihre Toleranz, die Liberalität der Stadt. "Arsch huh - Zäng ussenander", das war 1992, als mehr als 100.000 Menschen auf dem Chlodwigplatz gegen Fremdenfeindlichkeit und Gewalt Flagge zeigten. Es gab Musik und Kölsch und alle schunkelten in der Beseeltheit, gute Menschen zu sein. Damals durfte Köln stolz auf sich sein.
An diesem Sonntag aber haben die Kölner erneut Maßstäbe gesetzt - in Sachen tief eingesesselter Gleichgültigkeit. Nach dem feigen Attentat eines Rechtsextremisten auf die Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker am Samstagmorgen hätte es eines kraftvollen Aufstands der Anständigen bedurft. Parteien, Medien, Prominente riefen dazu auf, unbedingt zur Wahl zu gehen. Vergeblich.
Dabei wäre es so einfach gewesen. Die Bürger der Stadt konnten zwischen 8 und 18 Uhr wählen. Zehn Stunden Zeit, ein paar hundert Meter zur Urne, es wäre das beste Zeichen für ein intaktes Gemeinwesen gewesen, auch ohne Musik und Kölsch. Am Ende ging noch nicht einmal jeder zweite Kölner zur Wahl. So viel Apathie war nie.
Video: Reker gewinnt Oberbürgermeister-Wahl in Köln
Für die niedrigste Wahlbeteiligung (40,3 Prozent) in der Geschichte Kölns gibt es viele Gründe: Die CDU konnte mangels befähigtem Personal keinen eigenen Kandidaten aufbieten. Die Wahl musste wegen einer Panne bei der Gestaltung der Stimmzettel einmal verschoben werden. Hinzu kam, dass im Frühjahr eine Neuauszählung in einem Bezirk eklatante Fehler bei der Kommunalwahl zu Gunsten der SPD offenbart hatte. Und der FC spielte am Sonntag auch noch - und verlor. Eine Entschuldigung aber kann all das nicht sein.
Die Oberbürgermeisterwahl 2015 ist eine einzige Blamage für Köln. Und sie ist ein alarmierendes Signal. Nicht in irgendeiner strukturschwachen Problemgemeinde mit hoher Arbeitslosigkeit haben sich die Menschen von der Politik abgewandt, sondern in einer florierenden Großstadt, die sich selbst für ungeheuer fortschrittlich hält.
Was also muss noch passieren, damit wir den Wert unseres politischen Systems wieder erkennen? Warum rücken wir nicht sofort zusammen, wenn Extremisten Repräsentanten unseres Staates attackieren? Und weshalb ist es den meisten Kölnern trotz ihres ausgeprägten Lokalpatriotismus anscheinend vollkommen egal, wer die Geschicke ihrer Heimatstadt lenkt?
Für engagierte Bürger, für die schwer verletzte Henriette Reker insbesondere, ist das unverhohlene Desinteresse der Mehrheit ein Schlag ins Gesicht. Darüber kann auch ein Wahlerfolg nicht hinwegtrösten. Man muss es so deutlich sagen: Die meisten Kölner kriegen ihren "Arsch" eben nicht "huh". Nicht einmal nach einem Attentat.