Rente und Mindestlohn Schritt für Schritt zum Kompromiss

Rentner im Park Killesberg in Stuttgart: Große Koalition will Verbesserungen für jene, die trotz jahrzehntelanger Arbeit keine gute Rente erhalten
Foto: Marijan Murat/ dpaBerlin - Es war bislang eines der strittigsten Themen zwischen Union und SPD: Die Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes. Die Sozialdemokraten wollen ihn partout und am liebsten mit 8,50 Euro starten. Noch ist darüber nicht endgültig entschieden, doch Stück für Stück nähern sich beide Seiten an.
Denn bei der SPD ist die Stimmung nervös - die Führung muss den für Ende November angepeilten Koalitionsvertrag noch ihren Mitgliedern vorlegen. Bislang, stellten viele Delegierte auf dem in Leipzig zu Ende gegangenen Parteitag fest, herrscht an der sozialdemokratischen Basis aber noch viel Skepsis.
Ein Lockmittel könnte dabei der Mindestlohn sein. In der Arbeitsgruppe "Arbeit und Soziales" kam es nach Informationen von SPIEGEL ONLINE an diesem Wochenende in wichtigen Teilbereichen zu Einigungen. So soll nun eine unabhängige Kommission eingerichtet werden, die über den Mindestlohn entscheidet. Ihr sollen jeweils drei Vertreter der Arbeitgeber und der Gewerkschaften angehören. Zudem könne jede Seite einen Wissenschaftler bestimmen, der jedoch nicht stimmberechtigt sein solle, hieß es aus Kreisen der Verhandler.
Strittig ist, ob die Kommission selbständig jedes Jahr über die Höhe des Mindestlohnes bestimmt. Oder ob bereits zuvor der Mindestlohn auf 8,50 Euro festgelegt wird und die Kommission ab dieser Marke ihre Arbeit aufnimmt - wie es die SPD will. Darüber soll nun in der Großen Runde der Koalitionspartner gesprochen werden.
CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel hat ihre Partei bereits vorsichtig auf einen Kompromiss vorbereitet. In Teilen der Union - insbesondere auf dem Wirtschaftsflügel - gibt es vor allem Bedenken, was eine sofortige Einführung des Mindestlohnes in Höhe von 8,50 Euro im Osten angeht. Befürchtet wird, dass dann massiv Arbeitsplätze vernichtet werden.
Teileinigungen bei Rente
Ein weiteres wichtiges Thema zwischen CDU, CSU und SPD: die Rente. Hier gab es in der Arbeitsgruppe ein Geben und Nehmen. Bei der von der Union verlangten Mütterrente und bei der von der SPD angestrebten Rente mit 63 kam es zu "relativen" Annäherungen, hieß es. Diese Themen sollen deswegen in der Großen Runde besprochen werden. Die Union sei hier vor allem bei der Frage der Finanzierung der Rente mit 63 skeptisch, hieß es. Bei der Mütterrente - bei der bislang die Union auf die Rentenversicherung und den Staatszuschuss setzt - habe wiederum SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles in der Runde erklärt: "So geht das nicht." Daher sei das Thema "nach oben" gereicht worden.
Einigung wurde unter den Fachpolitikern hingegen bei den Geringverdienerrenten erzielt, um der Altersarmut ein Stück weit entgegenzuwirken. Diese sollen auf monatlich bis zu rund 850 Euro aufgestockt werden. Voraussetzung für die "solidarische Lebensleistungsrente" sollen 40 Beitragsjahre in der Rentenversicherung sowie der Nachweis eigener betrieblicher oder privater Altersvorsorge sein.
Die Zugangshürden würden anfangs niedriger gelegt: In den ersten zehn Jahren der Neuregelung - also bis 2023 - reichten 35 Beitragsjahre, und die Pflicht zur eigenen Vorsorge greife erst nach fünf Jahren. Damit soll vor allem jener mittleren Generation im Osten entgegengekommen werden, die nach der Wende in der DDR und der Vereinigung beider deutscher Staaten 1990 in die Arbeitslosigkeit rutschten beziehungsweise Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in Anspruch nehmen mussten.
Zudem soll Einkommen aus anderen Quellen bei der Aufstockung der Rente angerechnet werden. Die Aufstockung der Geringverdienerrenten werde beim Gegenwert von 30 Entgeltpunkten gedeckelt. Das sind derzeit rund 844 Euro.
Die Kosten werden anfangs auf etwa 100 Millionen Euro jährlich geschätzt. Bis zum Jahr 2030 würden sie aber Angaben aus der Verhandlerrunde zufolge auf etwa 2,8 bis drei Milliarden Euro im Jahr steigen. Finanziert werden solle dies grundsätzlich aus Steuermitteln. Die genauen Kosten sollen allerdings noch einmal im Bundesarbeitsministerium durchgerechnet werden, verlautete aus Kreisen der Arbeitsgruppe zu SPIEGEL ONLINE.
Rentenabschläge sollen bestehen bleiben
Auch auf Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente verständigten sich die Teilnehmer den Angaben zufolge. CDU und CSU kamen demnach bei der sogenannten Zurechnungszeit der SPD entgegen. Diese solle auf einen Schlag von 60 auf 62 Jahre hochgesetzt werden. Dadurch erhöht sich die Erwerbsminderungsrente. Die SPD wiederum will dafür im Gegenzug auf eine ihrer Forderungen verzichten: Die Abschaffung der finanziellen Abschläge bei einem früheren Rentenbeginn. Diese sollen in der derzeit gültigen Höhe von bis zu maximal 10,8 Prozent Kürzungen erhalten bleiben, hieß es.
Trotz der Kompromisse im einzelnen: Hervorgehoben wurde zugleich, dass alle Einigungen unter dem grundsätzlichen Vorbehalt der Finanzierung stehen. Somit dürfte erst zuletzt klar sein, was in den Koalitionsvertrag aufgenommen wird. Bis Mittwoch sollen die 16 Arbeits- und Unterarbeitsgruppen von Union und SPD ihre Arbeit abschließen. Fünf Treffen der großen Koalitionsrunde sind bis zum 27. November geplant.
"Bis Ende November sollte der Koalitionsvertrag fertig sein", sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder der "Bild am Sonntag". Und: "Die großen Streitpunkte werden in den letzten zwei Verhandlungstagen entschieden."