CDU und Lebensschutz-Bewegung Radikal - aber nur ein bisschen

Kritiker sehen im Paragraf-219a-Kompromiss ein Zugeständnis an fundamentale Abtreibungsgegner - und die wähnen sich im Aufwind. Wie nah sind sich Union und militante Bewegung noch?
Teilnehmer am "Marsch für das Leben" (im September 2018 in Berlin)

Teilnehmer am "Marsch für das Leben" (im September 2018 in Berlin)

Foto: Paul Zinken/ picture alliance/dpa

Jetzt geht alles ganz schnell. Nur sechs Tage nachdem der Bundestag die Reform des Paragrafen 219a erstmals behandelt hat, wird das Gesetz zur Änderung des Werbeverbots für Schwangerschaftsabbrüche an diesem Donnerstag schon verabschiedet. Es wirkt, als wolle die Koalition das Thema einfach rasch vom Tisch haben.

Elisabeth Winkelmeier-Becker will davon nichts wissen. Es sei jetzt über ein Jahr diskutiert worden, betont die rechtspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, als sich am vergangenen Freitag in der Bundestagsdebatte ein Linken-Abgeordneter über das Tempo des Gesetzgebungsverfahrens beklagt. Die Positionen seien klar, die Vorlage verfassungsmäßig, "da sehe ich überhaupt kein Problem".

Eigentlich wollte die CDU-Politikerin - wie ihre Partei - den Paragrafen 219a überhaupt nicht verändern. Nun aber hat ihre Partei einen Kompromiss mit dem Regierungspartner SPD gefunden, der den Paragrafen ergänzen soll. Künftig dürfen Ärzte, die Abtreibungen vornehmen, dies auf ihrer Internetseite veröffentlichen. Mehr aber auch nicht: Auf weiterführende Informationen, etwa zur Methode, müssen sie verlinken.

Kompromiss für den Koalitionsfrieden

Der Kompromiss mag die Koalition vorerst befrieden. Die Debatte über das Abtreibungsrecht wird er nicht beenden. Auch wenn die SPD die Änderung nun mitträgt - sie hätte den 219a lieber komplett abgeschafft. Das gilt auch für Grüne, Linke und FDP. Sie werfen der Union eine frauenfeindliche Politik vor, die radikalen Abtreibungsgegnern und sogenannten Lebensschützern in die Hände spiele. Solchen, die vor den Praxen stehen und Plastikembryonen verteilen. Oder die Ärztinnen anzeigen, wenn sie auf ihren Websites zu viele Informationen liefern. Diese würden sich über die Gesetzesvorlage freuen.

Beispielhaft nannte die Grünenabgeordnete Ulle Schauws in der Bundestagsdebatte vergangenen Freitag einen Mathematikstudenten, dessen Hobby es sei, Ärztinnen anzuzeigen, die Abtreibungen vornehmen. CDU-Politikerin Winkelmeier-Becker wehrte sich. Für solche Leute habe auch sie keine Sympathie: "Sie kommen mir ein bisschen vor wie die Deutsche Umwelthilfe für Abtreibungsärzte."

Die Kritiker stört besonders, dass zum Kompromisspaket - auf Drängen der Union - eine Studie zu den gesundheitlichen Folgen von Schwangerschaftsabbrüchen gehört. Fünf Millionen Euro hat das Kabinett Gesundheitsminister Jens Spahn dafür bereits genehmigt. Die Studie sei "ideologisch motiviert", sagt Hilde Mattheis (SPD). Nicole Bauer (FDP) meint, es handele sich um ein "Zugeständnis an radikale Lebensschützer".

Gesundheitsminister Jens Spahn

Gesundheitsminister Jens Spahn

Foto: Fabrizio Bensch/ REUTERS

Wirklich? Formal versucht sich die Union von der Lebensschützer-Bewegung abzugrenzen. Und tatsächlich sind deren direkte Verbindungen in die Politik, speziell zur Union, in den vergangenen Jahren immer weniger geworden, ist die Nähe längst nicht mehr so ausgeprägt wie früher.

In der Union sind kaum noch Bundestagsabgeordnete Mitglieder in Vereinen der Bewegung oder richten Grußworte an den "Marsch für das Leben", die jährliche Veranstaltung zu der der Dachverband der Bewegung, der Bundesverband Lebensrecht, Tausende Demonstranten gegen Abtreibungen auf die Straße ruft. 2010 hatten mit Karl-Theodor zu Guttenberg , Ronald Pofalla und Annette Schavan sogar noch Mitglieder der Bundesregierung solche Grußworte übermittelt.

Im Video: Radikale Abtreibungsgegner - Psychokrieg mit Babyfotos

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Heute taugen die neuen Konservativen nicht mehr als Lebensschützer-Galionsfiguren: Gesundheitsminister Spahn wurde für seine geplante Studie zu Schwangerschaftsabbrüchen in christlichen Medien von Abtreibungsgegnern gefeiert. Doch er hat sich auch dafür eingesetzt, dass Präimplantationsdiagnostik von den Krankenkassen bezahlt wird. Das nahm die Bewegung nicht gut auf.

Parlamentarier treten für Lebensschützer-Verein auf

Doch im Streit über den Paragrafen 219a zeigt sich, wie wichtig das Thema noch immer für eine Partei ist, die sich christlich nennt und dies auch im Namen trägt. Neun Bundestagsabgeordnete der Union tauchen in einem Video des Lebensschutzvereins Durchblick auf, beziehen dort unter dem Motto "Fürs Leben und nicht fürs Töten werben" Position gegen eine Änderung oder Abschaffung des Werbeverbots. Der Verein hat schon verschiedene Aktionen zum Lebensschutz initiiert, zum Beispiel die "Embryonenoffensive", bei der kleine Plastikmodelle von Embryos verteilt und verschickt wurden.

Er habe nur ein Statement abgegeben, sagt einer der CDU-Politiker, Patrick Sensburg, auf Nachfrage. Den Verein kenne er nicht. Er finde es nicht gut, wenn Menschen den Zugang zu Praxen verhindern, und Frauen unter Druck setzten. Aber: "Lebensschutz ist eines der zentralen Themen in unserer Gesellschaft".

Ein anderer, der in den Videos zu sehen ist, ist Uwe Schummer. Der ehemalige Beauftragte für Menschen mit Behinderung sieht sich selbst als "Lebensschützer", er ist Mitglied bei den "Christdemokraten für das Leben", denen die CDU-Führung erst vergangenes Jahr den Status als Sonderorganisation der Partei entzog. Auch Schummer sagt: Er habe nur ein Interview gegeben.

Die Opposition und Frauenrechtlerinnen ärgern sich über solche Auftritte der CDU-Parlamentarier. Sie sehen darin den Versuch, errungene Frauenrechte wieder umzukehren, um der neuen Rechten Themen zu klauen. Denn auch die AfD versucht den Lebensschutz für sich zu vereinnahmen.

"Nicht mehr ideologiefest"

Sozialwissenschaftlerin Kirsten Achtelik, die im vergangenen Jahr ein Buch über die Lebensschützer veröffentlicht hat, beschreibt die Lobbyarbeit der Bewegung als Kulturkampf. Dieser finde aber längst nicht mehr so stark in der CDU statt: "Die CDU-Mitglieder, die sich in der Lebensrechtsbewegung verorten, sind nicht mehr in Vereinen organisiert und nicht mehr ideologiefest", sagt sie.

"Ich glaube, weder in der CDU noch in der CSU gibt es einen wirklichen Lebensrechtler." Diesen Satz twitterte jüngst einer der bekanntesten und radikalsten Abtreibungsgegner, Klaus Günther Annen, nach einem Auftritt des CDU-Abgeordneten Philipp Amthor in der TV-Talkshow "Anne Will" zum Abtreibungsrecht.

Annen hat eine der bislang wohl ausführlichsten Listen von Ärzten, die Abtreibungen vornehmen, im Internet veröffentlicht - und sie mit Mördern verglichen. Eine ganze Reihe von ihnen hat Annen bereits angezeigt. Abtreibungen, so heißt es auf seiner Seite unmissverständlich, sind für ihn vergleichbar mit dem Holocaust, mit der Euthanasie der Nazis. Er tut das, was die ganze Szene tut: Laut sein, obwohl man in der Minderheit ist. Auf Twitter folgen Annen gerade mal sieben User.

Lebensrechtsbewegung sieht sich im Aufwind

Wie viele Menschen in der Bewegung organisiert sind, lässt sich schwer nachprüfen. Doch nach der einjährigen Debatte sieht sich zumindest der Verein Durchblick im Aufwind. Die Broschüre "Wendepunkt § 219a StGB", so steht es auf der Seite des Vereins, hätten viele Bundestagsabgeordnete "gern angenommen und nachbestellt". Damit habe man ihnen eine "fundierte und übersichtliche Sammlung von Argumenten an die Hand gegeben" und letztlich sei die darin geforderte wissenschaftliche Studie zu den psychischen Folgen von Abtreibungen ja auch in Auftrag gegeben worden.

Von Abtreibungsgegner Annen habe er nie gehört, sagt der 26-jährige CDU-Mann Philipp Amthor. Der blonde Mann mit der Hornbrille gilt als konservative Hoffnung der CDU. Das Thema Abtreibungsrecht ist ihm wichtig, auch er hat deshalb sein Gesicht für die Durchblick-Kampagne hergegeben. "Man wird eben nicht zum Menschen geboren, sondern als Mensch", sagt Amthor.

Es ist ein Satz, den sie alle schon gesagt haben: die Lebensrechtler mit den Plastikembryonen und die Mitglieder der Partei mit dem C im Namen. Amthor hat Jura studiert. Er argumentiert gern mit der Verfassung und achtet penibel darauf, die richtigen Worte zu benutzen. "Ich bin weit davon entfernt, Frauen irgendwelche Belehrungen zu erteilen", hat er schon bei "Anne Will" gesagt.

Amthor: Es geht wieder um Paragraf 218

Kürzlich war Amthor wirklich ergriffen. Nachdem er bei "Anne Will" in einer Frauenrunde als einziger Mann saß und die Position seiner Partei verteidigte, schrieb ihm ein junges Mädchen. Ihre Mutter habe ihr während der Sendung erzählt, dass das Beratungsgespräch ihre Mutter dazu bewegt hat, damals nicht abzutreiben.

Das zeige ihm, sagt Amthor, dass diese Lösung, dass 218 und 219a nicht sinnlos seien. Er wäre gern dabei geblieben. Stattdessen aber versuche die Debatte, den Kompromiss aufzubrechen: Es geht wieder um Paragraf 218, das Abtreibungsverbot.

Und dieser Streit, das weiß auch Amthor, wird hochemotional geführt. Der CSU-Abgeordnete Alexander Hoffmann wiederholt im Bundestag, was er schon beim Verein Durchblick im Video gesagt hatte. Ein Schwangerschaftsabbruch dürfe nichts Normales sein. Eines werde bei der Debatte übersehen: "Das eigentliche Problem ist doch mit der Abtreibung nicht gelöst."

Aus dem Plenum ruft ihm eine Abgeordnete wütend dazwischen: "Das ist unser Bauch!"

Wut liegt im Plenarsaal. Die Paragraf-219a-Debatte wird seit mehr als einem Jahr hitzig geführt - auf beiden Seiten. Auch mit dem Kompromiss ist der Streit noch nicht vorbei.

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