Konservatismus-Debatte Herzschmerz bei der CDU

Wie konservativ ist die Union? Hinter der Debatte verbirgt sich konkreter Unmut auch prominenter Parteimitglieder - über den kühlen Führungsstil von Kanzlerin Merkel.
Von Gerd Langguth
Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Partei ist unruhig

Bundeskanzlerin Angela Merkel: Die Partei ist unruhig

Foto: Mario Vedder/ APN

"Mal bin ich liberal, mal bin ich konservativ, mal bin ich christlich-sozial - und das macht die CDU aus."

Angela Merkel

So formulierte es bei Anne Will im März 2009. Damit bemühte sich die CDU-Vorsitzende, das Erfolgsgeheimnis der Noch-Volkspartei CDU zu benennen, die in der Tat von den drei historischen Wurzeln, der christlich-sozialen, der liberalen und der konservativen, geprägt wurde.

Auch wenn die CDU von Beginn an eine pragmatische Partei war, signalisiert Merkels Aussage doch etwas Beliebiges, als könnte christlich-demokratische Politik sich heute mal als "liberal", am nächsten Tag vielleicht "sozial" und am dritten als "konservativ" präsentieren. Nach dem CDU-Grundsatzprogramm ist christlich-demokratische Politik aber alles andere als beliebig, da alle drei Traditionsstränge in jeder Entscheidungssituation gleichermaßen bedacht werden müssen, auch wenn sie jeweils unterschiedlich betont werden können.

Dies zeigt das Problem auf, das viele Parteimitglieder - nicht nur dezidiert Konservative - mit ihrer Vorsitzenden haben. Ohne dass es immer so genau gesagt wird, wird ihr parteiintern eine Politik der Beliebigkeit vorgeworfen. Wahr ist, dass sie es bislang als unideologische, pragmatische Problemlöserin nicht verstanden hat, die geistigen Konturen, das Alleinstellungsmerkmal christlich-demokratischer Politik zu formulieren.

Gleichzeitig fühlten sich manche Konservative schon immer von Merkel vernachlässigt. Sie sehen natürlich, dass die engsten Mitstreiter der Kanzlerin (Ronald Pofalla, Hermann Gröhe, Peter Hintze, Peter Altmeier) einem sozialen und liberalen Reformflügel zuzurechnen sind - mit Ausnahme ihres getreuen Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder, den man getrost als "Konservativen" bezeichnen kann.

Dass jetzt die Konservatismus-Debatte ausgebrochen ist, war nur eine Frage der Zeit. Manche wollen sich auch nicht unmittelbar mit dem Führungsstil der Kanzlerin und der Parteivorsitzenden auseinandersetzen - und nutzen jetzt die Konservatismus-Debatte dafür.

Abweichungen nach rechts werden härter bekämpft

Merkel hat systematisch auf alle Abweichungen nach rechts mit deutlicher Härte reagiert - von Hohmann angefangen, der mit kruden Thesen die Juden im Zusammenhang mit dem Begriff "Tätervolk" genannt hatte, der dann von Partei und Fraktion ausgeschlossen wurde, bis hin zu Oettinger, der als einstiger Ministerpräsident einen seiner Vorgänger, Hans Filbinger, gar zum Widerstandskämpfer gegen Hitler hochstilisierte, was dieser nachweislich nicht war.

Aber es störte manche Parteimitglieder, dass Merkel nicht in gleicher Weise Abweichungen nach links aufgegriffen hatte - wenn etwa ihr früherer Chef und einstiger Ministerpräsident Lothar de Maizière zeitweilig in Frage stellte, ob die DDR ein Unrechtsstaat war. Manchmal verbreitet Merkel den Eindruck, dass sie mit Rigidität alles, was sie als Rechtsabweichung ansieht, bekämpft, sie aber nicht das nutzt, was noch für Helmut Kohl ein wichtiger Kitt war: der Kampf gegen die Linke.

Hingegen wurde ihr bei vielen Katholiken in ihrer Partei außerordentlich übelgenommen, dass sie Papst Benedikt im Zusammenhang mit seiner Entscheidung hinsichtlich der rechtsextremen "Piusbrüder" öffentlich angegriffen hatte.

Ist Erika Steinbach die letzte Mohikanerin der Konservativen in der Union? Fast möchte man es glauben, wenn man ihre Begründung nachliest, warum sie sich aus dem CDU-Vorstand zurückzieht. Mindestens zwei bekennende CDU-Konservative, der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus und der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, ziehen im November neu in das Parteipräsidium als Stellvertretende Vorsitzende ein. Auch der neue niedersächsische Ministerpräsident David McAllister und der neue Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus werden dem konservativen Lager zugerechnet.

Erika Steinbach

hat es mit ihrer Erklärung aber geschickt geschafft, ihr spezifisches Anliegen als Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen (BdV) gleichzusetzen mit den Anliegen vieler anderer Konservativer in der Union.

Eine verborgene Merkel-Debatte

In Wirklichkeit ist die Konservatismus-Debatte zwar auch eine inhaltliche, im Wesentlichen aber eine verborgene Merkel-Debatte. Die Partei ist unruhig, schaut sorgenvoll auf die sechs Landtagswahlen im kommenden Jahr, insbesondere auf Baden-Württemberg. Sie ist unzufrieden mit dem Regierungsstil der Kanzlerin.

CDU

Zweifelsohne gibt es einen Aderlass der Konservativen bei der . Aber ist das nur die Schuld der Parteivorsitzenden? Sicherlich auch, da sie wenig tut, die konservative Seele ihrer Partei anzusprechen. Dabei fällt auf, dass niemand in der Debatte klar zum Ausdruck bringt, was eigentlich unter Konservatismus zu verstehen ist - in der Tat ist diese Frage auch gar nicht abschließend zu beantworten:

  • Ursula von der Leyen beispielsweise sieht sich selber als eine Konservative, weil sie jungen Müttern ermöglichen will, auch zusätzlich zur Mutterschaft einem Beruf nachzugehen. Sie will damit Familie möglich machen und erhalten. Aber ist es konservativ, die Verbindung von Mutterschaft und Beruf zu ermöglichen - oder ist es konservativ, wenn sich die Mutter für viele Jahre allein auf die Betreuung des Nachwuchses konzentriert.
  • Schwer tun sich manche Fundamentalen auch mit der Haltung der CDU zur Stammzellenforschung. Forschungsministerin Annette Schavan, die sich als überzeugte Katholikin in dieser Frage von einer "liberalen" Seite zeigt, will der Forschung ermöglichen, dass frühzeitig lebensgefährliche Erkrankungen erkannt werden können. Welche Haltung ist jetzt mehr konservativ? Schavan oder die katholische Kirche?

Und so kann man viele Fragen durchdeklinieren und damit feststellen, dass es ein abgeschlossenes "konservatives" Weltbild überhaupt nicht gibt.

Kriterien konservativer Politik - eine Standortbestimmung

Die Konservativen in der Union tun sich schwer, überhaupt eine inhaltliche Konservatismus-Debatte zu entfachen. Denn die Theoriearmut ist mit ein Charakteristikum des deutschen Konservatismus der Gegenwart. Wenn Frau Steinbach, der frühere Innenminister Jörg Schönbohm und andere der Union konservatives Profil weitgehend absprechen, dann hält das aber einer näheren Prüfung nicht stand. Die CDU ist keine rein konservative Partei, sie hat aber von allen politischen Parteien der Gegenwart am ehesten eine konservative Standortbestimmung, die sich an folgenden Beispielen belegen lässt:

  • Rolle der Nation: Die CDU profilierte sich von Adenauer bis Kohl als "Europapartei" - und betont dennoch immer die besondere Rolle der Nation. Es war die Union, wie sich auch Frau Steinbach erinnern dürfte, die sich bis zur Deutschen Einheit am intensivsten am Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes orientiert hat und auch völkerrechtlich die "Deutsche Frage" bis zum Abschluss von Friedensverhandlungen als "offen" erklärt hat. Helmut Kohl war allerdings klar, dass die Einheit nur möglich ist, wenn das wiedervereinigte Deutschland die bestehende Westgrenze Polens akzeptierte.
  • Westbindung: Diese war für die Identität der Union im Nachkriegsdeutschland besonders wichtig. Europäische Integration und das Verteidigungsbündnis der Nato sollten den Deutschen Schutz vor einem "sowjetischen Imperialismus" geben. Keine Partei zeigt auch heute noch eine solche Nähe zum atlantischen Bündnispartner USA wie die CDU.
  • Bundeswehr: Von allen im Bundestag vertretenen Parteien ist die CDU diejenige, die besonders konsequent die Notwendigkeit einer Landesverteidigung betont. Die faktische Abschaffung der Wehrpflicht muss zwar für eine "konservative" Partei schmerzlich sein, aber das relativiert nicht die Einschätzung, dass die Union nach wie vor der Institution Bundeswehr eine besonders hohe Wertschätzung entgegenbringt.
  • Europäische Leitkultur: Im CDU-Grundsatzprogramm wird von einer "europäischen Leitkultur" gesprochen, und die Union erhebt die Forderung nach Festschreibung der deutschen Sprache als Amts- und Schulsprache - für die Konservativen sind diese Signale der Abgrenzung gegen einen fundamentalen Islam besonders wichtig.
  • Innere Sicherheit: Es war - trotz der zeitweiligen Ministertätigkeit Otto Schilys - bislang ein Alleinstellungsmerkmal der Union, dass sie für eine konsequente Bekämpfung der Gefährdung der inneren Sicherheit eintrat.
  • Bildungspolitik: Konservative orientieren sich am dreigliedrigen Schulsystem und wehren alle Angriffe auf das Gymnasium ab, weshalb die schärfste Unterstützung für ein Plebiszit gegen die schwarz-grüne Schulpolitik gerade aus der Unionswählerschaft in Hamburg kam.
  • Familienpolitik: Hier sehen viele Konservative die Gefahr, dass das Elternrecht ausgehöhlt wird und Kinder zu früh in die Obhut des Staates gegeben werden. Andererseits zeigen Umfragen auch bei einer Mehrheit der Unionsanhänger, dass der Staat mehr für die Betreuung der unter Dreijährigen tun sollte.
  • Marktwirtschaft: Während Konservative für einen starken Staat nach innen wie nach außen sind, so sind sie sich mit den Liberalen in der Befürwortung des privaten Eigentums und des Marktes einig. Aber im Gegensatz zu den Liberalen haben sie ein eher paternalistisches Staatsverständnis. Gerade in sozialpolitischen Fragen befürworten sie einen intervenierenden Staat.

Warum viele Konservative Merkel misstrauen

Von all diesen Kriterien für "konservative" Politik ist in den Debatten der Gegenwart überhaupt nicht die Rede.

Helmut Kohl

Das Misstrauen vieler Konservativer in der Union gegenüber Merkel kommt aber auch daher, dass Merkel im Gegensatz zu ihrem Vorgänger kein wirkliches Verhältnis zur Geschichte erkennen lässt. Kohl war hingegen ein Geschichtsdeuter. Seine Hinweise auf die Geschichte rührten konservative Seelen an.

Merkel erscheint vielen als eine Hier-und-Jetzt-Kanzlerin, die auf geschichtliche Deutungen verzichtet.

Auch ihre Ankündigung nach dem Rauswurf des erzkonservativen Abgeordneten Martin Hohmann, sie wolle in ihrer Partei eine Debatte über Patriotismus führen, blieb folgenlos. Es müsse "eine breite Diskussion über Patriotismus und Liebe zum Vaterland" geben, meinte sie noch im November 2003. Doch gemerkt hat man davon nichts. Alles Emotionale ist der Naturwissenschaftlerin fremd.

Und so fremdeln die Konservativen in der Partei weiter mit ihr.

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